Madame empfängt. Ursula Neeb
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»Es geht um den Fall Gerlinde Dietz. Ich befasse mich damit, weil es mir an die Nieren geht, dass da so geschlampt wird, und da wollte ich dich fragen, ob du die Tote vielleicht seziert hast?«
»Ja, das habe ich, und ich sagte auch diesem Inspektor, dass die junge Frau keines natürlichen Todes gestorben ist, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit vergiftet wurde. Das hat ihm nicht gepasst, weil er dadurch nur Arbeit hat, und die scheint dem Guten ja nicht so zu schmecken, und es hat ihn auch gar nicht interessiert. Ich habe so meine Mutmaßungen, womit die Ärmste vergiftet wurde. ›Mutmaßung‹ deswegen, weil sich ein solches Gift im menschlichen Körper kaum nachweisen lässt. Dennoch gibt es Anzeichen, die darauf hindeuten, dass es sich um Aconitin handeln muss. Aconitin ist das Alkaloid des Blauen Eisenhuts, auch Sturmhut genannt, einer hochgiftigen Pflanze, die überall in Europa heimisch ist. Das Aconitin ist ein Stoff, der sich im menschlichen Körper schnell auflöst und daher keine Rückstände hinterlässt. Glücklicherweise aber ist es ein sehr berüchtigtes, altes Gift, das schon bei den Ägyptern und den Griechen Verwendung gefunden hat. In den alten Gifthandbüchern werden nicht nur die Wirkungsweisen von Aconitin, sondern auch die Vergiftungsmerkmale der Opfer genau beschrieben. Dazu sei angemerkt, dass eine Aconitin-Vergiftung immer tödlich endet. Das Gift ist hochwirksam, und es gibt bis heute kein Gegenmittel. Anhand der organischen Beschaffenheit des toten Fräulein Dietz, ihrer Zungenverfärbung und Pupillengröße, auch der verkrümmten Haltung des Körpers und der Gliedmaßen, kann mit ziemlicher Sicherheit darauf geschlossen werden, dass sie mit Aconitin vergiftet wurde. Und das ist insofern erstaunlich, weil man dieses Gift heutzutage kaum noch verwendet. Die Destillation ist sehr aufwendig und erfordert fundierte Kenntnisse. Der Mörder muss demnach ein Fachmann sein – und er muss das Opfer sehr gehasst haben. In der Geschichte hat man häufig zu Aconitin gegriffen, wenn man einen Feind unschädlich machen wollte. Schwerverbrecher wurden damit hingerichtet, aber auch Fürsten und mächtige Kirchenmänner gemeuchelt. Die Vergiftungserscheinungen gelten als besonders qualvoll, weil sie bei vollem Bewusstsein durchlebt werden und sich je nach der Dosierung des Giftes bis zu 60 Minuten hinziehen können«, erläuterte der Doktor.
Sidonie hatte ihm mit angespannter Miene zugehört. »Schwerverbrecher, Fürsten und Kirchenmänner. Warum aber ein harmloses, kleines Dienstmädchen? Und warum nur hat der Mörder sie so gehasst?«, murmelte sie gedankenverloren.
»Das, meine Liebe, wird uns nur der Mörder selbst beantworten können. Vielleicht finden sich aber im Umfeld der Ermordeten aufschlussreiche Hinweise. Ich habe nur meine Zweifel, ob unsere liebe Polizei der Sache auch so nachgeht, wie es nötig wäre.«
»Mit diesen Zweifeln, mein lieber Heinrich, stehst du nicht allein da. Das Einzige, was dieser Brand bisher unternommen hat, war, ein paar arme Gassenhuren zu verhaften und zu befragen«, stimmte Sidonie ihm ärgerlich zu. »Aber ich finde diesen Kerl! Immerhin gibt es zwei übereinstimmende Täterbeschreibungen, und vorigen Samstag habe ich von einer Bekannten des ermordeten Dienstmädchens einen interessanten Hinweis erhalten.« Sidonie berichtete Doktor Hoffmann von Rudis Erlebnis auf dem Roßmarkt und Irmgards Eröffnung in der Kutsche.
»Demnach liegt es nahe, dass der Mörder aus der guten Gesellschaft stammt und sich mit Giften auskennt. Infrage kommen daher vor allem die Berufsgruppen Arzt, Chemiker und Apotheker.«
»Apotheker. Genau. Deswegen werde ich auch als Nächstes einmal in der Villa Saltzwedel vorstellig werden. Wie ich mich dort einführe, das überlege ich mir noch. Der Mörder muss also das Opfer aus bisher unbekannten Gründen sehr gehasst haben. Heinrich, wie ich weiß, bist du nicht nur ein vortrefflicher Arzt, sondern auch ein Kenner der menschlichen Seele und ihrer Abgründe. Ich muss jetzt einmal ganz naiv fragen: Welche Gründe könnte es für solche Gefühle geben?«
»Homo homini lupus! Der Mensch ist des Menschen Wolf. Das liegt nun einmal in unserer Natur. Genauso wie die Liebe. Liebe und Hass sind Geschwisterkinder. Hass ist nur die andere Seite der Medaille. Aber vielleicht sollte in unserem Zusammenhang die Frage lauten: Warum hegt ein Mann einer Frau gegenüber solche Gefühle? Da stehen doch die Weichen schon ganz anders, mehr ins Geschlechtliche weisend. Doch auch hier hat der Hass unzählige Gesichter, auch wenn er sich immer aus denselben Quellen nährt, die da lauten: Verletzung, Abweisung, Demütigung. Der Hass gegen eine bestimmte Frau kann sich oft zur tiefen Abneigung gegen Frauen im Allgemeinen ausweiten. Zuweilen wird der Grundstock dafür sehr früh gelegt, in Gestalt einer kalten, grausamen Mutter«, belehrte der Arzt seine aufmerksame Zuhörerin.
»Und einer, der Freude daran findet, geschlagen und gedemütigt zu werden? Woraus ist der gestrickt?«, fragte das Fräulein.
»Der ist sehr widersprüchlich. Dazu weiß ich aber wenig zu sagen. Es gibt bisher nur Spekulationen darüber. Manche Kollegen behaupten, wer in jungen Jahren häufig Schmerz und Erniedrigung erfahren hat, der gewöhnt sich sozusagen daran und wandelt mit der Zeit die Schmerzerfahrung in eine Lusterfahrung um, sodass es ihm Lust bereitet, malträtiert zu werden. Andere Nervenärzte dagegen sind der Meinung, der Dulder gehört einem bestimmten, zu zwanghaftem Verhalten neigenden Charaktertypus an, der zu übersteigerter Reinlichkeit, Pedanterie und einem krankhaften Waschzwang tendiert. Oftmals bekleidet er eine verantwortungsvolle Position, die es ihm erlaubt, andere zu kujonieren und zu gängeln, denn in der Regel ist er das Abbild des gestrengen Despoten. Angeödet davon, dass alle vor ihm kriechen, verwandelt sich der Tyrann im stillen Kämmerlein zuweilen gerne in den ergebenen Diener. Falls du mehr darüber wissen möchtest, empfehle ich dir die Romane eines gewissen Marquis de Sade. Eigentlich sind die zwar alle verboten, aber gerade darum nicht weniger gefragt und unter der Hand ohne Weiteres erhältlich …«
»Hör mir nur damit auf«, unterbrach ihn das Fräulein angewidert. »Natürlich kenne ich diesen de Sade. Er beschreibt in seinen Werken ganz abscheuliche Dinge. Bei der Lektüre einer seiner Romane ist mir übel geworden. Immerhin saß er wegen seiner Abhandlungen 27 Jahre im Gefängnis und seine letzten Lebensjahre verbrachte er in der Irrenanstalt, wo er meines Erachtens auch hingehörte. Trotzdem, Heinrich, du hast mir sehr geholfen. Vielen Dank. Und jetzt will ich dich auch nicht mehr länger aufhalten.« Sidonie reichte Doktor Hoffmann die Hand, die dieser formvollendet küsste, worauf er die Besucherin zur Tür geleitete.
»Halte mich auf dem Laufenden, meine Liebe. Und wenn ich dir in der Angelegenheit irgendwie weiterhelfen kann, so melde dich bitte jederzeit«, verabschiedete sie der Doktor zuvorkommend.
H
Am Dienstagvormittag um Viertel nach elf Uhr betätigte Sidonie Weiß den schweren eisernen Türklopfer am Portal der Villa Saltzwedel am Sachsenhäuser Mainufer. Es war ein milder, sonniger Herbstmorgen, und die Vögel in dem weitläufigen englischen Garten zwitscherten fröhlich. Dem jungen Dienstmädchen, das Sidonie kurze Zeit später die Tür öffnete, erklärte die Dichterin, nachdem sie sich vorgestellt hatte, dass sie die Eheleute Saltzwedel zu sprechen wünsche.
»Treten Sie ein, Madame, und nehmen Sie einstweilen in der Halle Platz. Ich sage der gnädigen Frau Bescheid«, antwortete die Bedienstete und entfernte sich.
Nach etwa fünf Minuten kehrte die Magd zurück und bat das Fräulein, ihr zu folgen. Sie geleitete Sidonie den langen Flur entlang bis zu einer hohen Flügeltür, trat nach kurzem Anklopfen ein und meldete ihrer Herrschaft die Besucherin.
»Madame empfängt«, bedeutete sie Sidonie und hielt ihr die Tür auf. In dem großen, ganz in Pastellgelb gehaltenen Salon wirkte die zierliche Pauline Saltzwedel fast ein wenig verloren. Beim Eintreten des Fräuleins erhob sie sich von ihrem Stuhl am Fenster, legte ihren Stickrahmen zur Seite, trippelte Sidonie entgegen und reichte ihr zur Begrüßung die Hand.
Was für ein winziges, kaltes Händchen, ging es Sidonie durch den Sinn, als sie Frau Saltzwedels zaghaften Händedruck erwiderte.
»Frau Weiß, welche Freude, Sie