Madame empfängt. Ursula Neeb

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Madame empfängt - Ursula Neeb страница 14

Madame empfängt - Ursula Neeb

Скачать книгу

sowieso schon spät dran.

      Die Fahrt verlief anfangs recht schweigsam. Irmgard fasste sich zwar wieder, wirkte aber sehr niedergeschlagen und brütete dumpf vor sich hin.

      »Darf ich mir erlauben, junge Dame, Ihnen eine Frage zu stellen?«, meldete sich Johann schließlich zu Wort. Als Irmgard stumm nickte, sprach er weiter: »Wieso hängt sich eine so bildhübsche Person, wie Sie es sind, meine Liebe, an solch einen Kostverächter? Es gibt doch bestimmt mehr als genug normale Mannsbilder, die Sie auf der Stelle heiraten würden – vorausgesetzt, Sie geben Ihren Nebenerwerb auf. Mit Verlaub, laufen Sie doch diesem komischen Heiligen nicht länger nach. Das sind doch Perlen vor die Säue geworfen! Das haben Sie doch gar nicht nötig, mein Kind.«

      »Ich will aber kein ›normales Mannsbild‹! Ich hasse diese geilen Kerle, mir graust es vor ihnen, können Sie das denn nicht verstehen? Alfred ist der erste und einzige Mann in meinem ganzen widerwärtigen Leben, für den ich etwas empfinde«, fügte Irmgard mit zitternder Stimme hinzu.

      »Er liebt Sie doch auch, Kindchen. Halt auf seine eigene Art. Sie sind ihm eine liebe Freundin. Aber nicht mehr. Seine Leidenschaft, sein Begehren indes gehen in eine andere Richtung. Das müssen Sie akzeptieren. Und gerade darum lieben Sie ihn ja so sehr. Spielen Sie also nicht verrückt, wenn er sich anderswo holt, was er braucht«, bemerkte Sidonie nüchtern.

      »Ich kann aber nicht anders. Ich bin ganz krank vor Eifersucht.«

      »Das wird Ihnen nicht viel nützen, glauben Sie mir. Es wird immer wieder passieren, dass er eine Affäre hat. Das liegt in der Natur der Sache. Wenn Sie ihn wirklich lieben, gönnen Sie ihm dieses kleine, vergängliche Glück. Lieben Sie ihn doch einfach weiter. Ganz für sich, ganz um der Liebe willen. Niemand kann Ihnen diese Freiheit nehmen.«

      Irmgards Rage hatte sich während Sidonies Worten verflüchtigt. Ergriffen schaute sie das Fräulein an. »Sie sind eine kluge Frau. Ich danke Ihnen«, sagte sie leise.

      »Im Übrigen bin ich der Meinung, liebe Irmgard, dass Sie mit Ihrem Nebenerwerb unbedingt aufhören sollten. Das macht Sie nur kaputt, und Ihren Seelenfrieden werden Sie so niemals finden. Seien Sie froh darüber, dass Sie überhaupt noch etwas empfinden können, und lassen Sie sich das nicht auch noch zerstören.«

      »Ich brauche aber das Geld. Meine Schwester hat die Franzosenkrankheit im Endstadium. Sie hat schlimme Wahnsinnsanfälle und ist im Tollhaus untergebracht. Ich muss für sie sorgen. Außerdem lege ich mir immer was zurück und will damit einmal was beginnen«, erklärte Irmgard.

      »Ach, hören Sie doch auf! Das wird sowieso nicht wahr. Machen Sie Schluss mit dem ganzen Zinnober, sonst ergeht es Ihnen noch genau wie Ihrer Schwester. Außerdem weiß ich, dass Ihre Schwester trotzdem versorgt wird. Wenn es keine zahlenden Angehörigen gibt, übernimmt nämlich die öffentliche Wohlfahrt die Kosten für die Pflege.«

      Inzwischen war die Kutsche vor der herrschaftlichen Villa am Untermainkai angekommen, und Irmgard verabschiedete sich von Sidonie und Johann. Bevor sie ausstieg, hielt sie jedoch plötzlich inne und ließ sich wieder neben dem Fräulein nieder.

      »Ich muss Ihnen noch was sagen«, platzte es aus ihr heraus. »Es betrifft einen Freier. So ein perverser Drecksack, der sich auspeitschen und quälen lässt. Mit dem hatte ich mich ein paar Mal eingelassen, und der hat immer sehr gut gezahlt. Jedenfalls bin ich einmal mit dem in einem Stundenhotel in der Schäfergasse gewesen, und als wir aus dem Zimmer kommen, sind wir der Gerlinde auf dem Flur begegnet. Die hatte auch einen Freier dabei und hat so verschämt geguckt, als sie mich und den Perversen gesehen hat. Und das letzte Mal, als wir uns getroffen haben, hat sie mir dann erzählt, dass sie den kennt. Das war ihr Dienstherr, der Herr Apotheker, Ottmar Saltzwedel, und ihr war das ganz schön peinlich, dass die dem da über den Weg gelaufen ist. Natürlich hat der Mistkerl sie deswegen nicht zur Rede gestellt, was sie da gemacht hat und so. Der hat ja selbst zu viel Dreck am Stecken. Aber die Gerlinde hat gesagt, dass er sie seither immer so komisch anguckt, und es wäre ihr so mulmig zumute, dass sie sich schon überlegt hätte, sich eine andere Stellung zu suchen. Ich habe oft darüber nachgegrübelt, ob am Ende nicht dieser ekelhafte Widerling etwas mit der Sache zu tun hat. Sicher, der Kerl, mit dem ich die Gerlinde noch kurz vor ihrem Tod gesehen habe, sah anders aus und war mit Sicherheit nicht der Saltzwedel. Aber vielleicht war der junge Stutzer ja gar nicht der Mörder. Ich weiß es nicht genau, aber wenn ich an den Saltzwedel denke und wie abartig der sich gebärdet hat, dreht sich mir förmlich der Magen um. Und glauben Sie mir, in unserem Geschäft erlebt man viel Absonderliches, und ich bin weiß Gott nicht zimperlich. Normalerweise mach ich so was ja nicht. Diskretion wird in unserem Gewerbe groß geschrieben, und ich würde nie mit anderen Leuten über einen Freier reden und schon gar nicht seinen Namen nennen. Deswegen hab ich auch vorhin nichts gesagt. Aber verdammt noch mal! Die Gerlinde ist vergiftet worden, und der Kerl ist Apotheker. Und, unter uns gesagt: Der ist nicht ganz dicht im Oberstübchen. Vielleicht können Sie dem auf den Zahn fühlen.«

      6

      Am Montagnachmittag um drei Uhr verließ Heinrich Hoffmann den Krankensaal der Armenklinik und eilte den langen Flur entlang zu seinem Dienstzimmer, um die Nachmittagssprechstunde zu eröffnen.

      Vor zwei Jahren hatte der umtriebige junge Arzt gemeinsam mit sechs Kollegen das Frankfurter Armenhospital in der Meisengasse gegründet. Daneben organisierte er den Frankfurter Bürgerverein und versah seinen Dienst als Leicheninspektor in der Anatomie des Senckenbergischen Instituts.

      Die Armenklinik hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das durch Krankheit und Mangel an ärztlicher Versorgung entstandene Elend armer Leute in Frankfurt und seiner Umgebung zu lindern. Dabei wurden höchste Ansprüche an die medizinische Ausbildung der Ärzte, insbesondere der Chirurgen, gestellt, denn gerade die ärztliche Pfuscherei bei der Behandlung armer Patienten hatte in der Vergangenheit dazu beigetragen, die Missstände noch zu vermehren.

      Bislang verfügte die Klinik lediglich über zehn Betten, was dem Andrang bedürftiger Patienten keineswegs gerecht wurde. Daher wurde unlängst eine regelmäßige Sprechstunde eingerichtet, und Kranke erhielten an drei Tagen in der Woche Hausbesuche. Finanziert wurde das Hospital ausschließlich durch Spenden, die allerdings nicht besonders üppig flossen und kaum ausreichten, dem engagierten Personal ein angemessenes Honorar zu zahlen.

      Für den jungen Familienvater Heinrich Hoffmann war es keine Seltenheit, dass er 12 bis 16 Stunden am Tag arbeitete, die Wochenend- und Nachtdienste nicht mitgerechnet. Somit blieb ihm wenig Zeit für Frau und Kinder und seine vielseitigen sozialen Aktivitäten. Dennoch gelang es dem hageren jungen Mann auf wundersame Weise immer wieder, alles unter einen Hut und vor allem zu gutem Gelingen zu bringen. Die Natur hatte ihn mit einem fröhlichen Wesen und einer unerschütterlichen Lebensfreude ausgestattet, die er mit anderen zu teilen verstand.

      Auch an diesem Nachmittag verlor er, obgleich er ein überfülltes Wartezimmer vorfand und noch etliche Hausbesuche anstanden, nicht seine gute Laune und erkundigte sich humorvoll bei den Wartenden, wer am ›dransten‹ sei. Mehrere der Anwesenden wiesen auf Sidonie Weiß, die ganz hinten in der Ecke stand, sodass der Doktor sie gar nicht wahrgenommen hatte.

      »Ach, das Fräulein. Na, komm nur rein«, forderte er sie mit schwungvoller Geste auf, einzutreten.

      »Danke, Heinrich, das hat Zeit. Behandle erst mal deine Patienten. Ich warte so lange«, erwiderte Sidonie lächelnd.

      Nach etwa einer Stunde bat der Arzt sie in sein Sprechzimmer.

      »Ich quetsch dich jetzt einfach dazwischen, sonst wird das heute nix mehr mit uns. Und das wär doch schade! Also, liebe Sidonie, was liegt an?«, erkundigte sich Doktor Hoffmann. Die beiden kannten sich seit vielen Jahren, und es war nicht zuletzt den Wohltätigkeitsaktivitäten des Fräuleins zu verdanken,

Скачать книгу