Madame empfängt. Ursula Neeb

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Madame empfängt - Ursula Neeb

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      Als Sidonie am Freitagmorgen mit Rudi durch die Töngesgasse in Richtung Liebfrauenberg ging, goss es in Strömen. Sidonie trug einen haubenartigen, rosafarbenen Filzhut, an dessen Seiten rötliche Korkenzieherlocken hervorquollen, und ein grau gestreiftes, leicht zerknittertes Musselinkleid. Der braune Kaschmirschal, den sie sich um die Schultern gelegt hatte, war schon recht aufgeweicht und hatte bald die Konsistenz eines nassen Putzlappens angenommen. Sidonie, die nicht viel größer war als der zwölfjährige Rudi, hatte den Jungen untergehakt und versuchte mit dem zierlichen, geblümten Schirm vergeblich, die Regengüsse abzuhalten. Rudis zuvor von Tante Tilla so sorgfältig gestrählter Haarschopf war durchnässt und so zerzaust wie ehedem. Nachdem sie in die Katharinenpforte eingebogen waren, erreichten sie endlich die Hauptwache. Sidonie glättete noch einmal Rudis widerspenstiges Haar, spannte den Regenschirm zusammen und öffnete entschlossen das Portal.

      »Guten Morgen, wir hätten gerne den mit dem Fall Gerlinde Dietz betrauten Inspektor gesprochen«, erklärte Sidonie dem in der Wachstube sitzenden Gendarm.

      »Der Herr Oberinspektor ist noch nicht da. Der kommt meistens erst gegen neun«, antwortete der Beamte.

      »Gut, dann warten wir so lange«, erwiderte das Fräulein entschieden.

      Der Wachmann wies mit einer knappen Geste auf eine lange Holzbank an der Stubenseite. Das ungleiche Paar nahm Platz und wartete schweigend auf die Ankunft des Beamten. Nach gut einer Stunde traf Oberinspektor Brand ein. Als ihm der diensthabende Gendarm erklärte, er werde erwartet, und dabei auf Sidonie und den Jungen deutete, verzog Brand, der die Besucher flüchtig taxiert hatte, ungehalten das Gesicht und bedeutete ihnen, sie sollten sich noch ein wenig gedulden, er werde sie zu gegebener Zeit rufen lassen.

      Die Rathausuhr auf dem Römerberg schlug gerade zur zehnten Stunde, als Brand die Wartenden endlich in sein Büro bat. Die kleine Amtsstube war voller Rauchschwaden, und auf dem Schreibtisch lagen noch die Überreste einer Brotzeit. Sidonie, die daraus schloss, dass der Inspektor gefrühstückt und geruhsam sein Pfeifchen geschmaucht hatte, hüstelte demonstrativ und warf Brand einen indignierten Blick zu, doch dieser machte keinerlei Anstalten, das Fenster zu öffnen, um zu lüften.

      »Was liegt an?«, erkundigte er sich stattdessen in schroffem Tonfall.

      »Wir sind gekommen, um in dem Fall Gerlinde Dietz eine Zeugenaussage zu Protokoll zu geben«, entgegnete das Fräulein förmlich.

      Nachdem Brand Sidonie und Rudi noch einmal mit abschätziger Miene in Augenschein genommen hatte, bemerkte er barsch, er wolle nur darauf hinweisen, dass in dem Fall Dietz keine Belohnung ausgesetzt sei.

      »Davon sind wir auch nicht ausgegangen«, beschied ihn Sidonie kühl. »Uns geht es, wie der Polizeibehörde hoffentlich auch, einzig um die Wahrheitsfindung. Der Junge kann möglicherweise eine Täterbeschreibung abgeben.«

      Der Inspektor beorderte den diensthabenden Beamten mit Papier und Feder zu sich ins Büro und wies Sidonie und Rudi an, auf den beiden Holzstühlen vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen.

      Nachdem die Personalien aufgenommen und Rudi vom Inspektor aufgefordert worden war, seine Aussage zu machen, begann der Junge, dem die Situation offensichtlich wenig behagte, mit seinem Bericht: »Also, ein paar Tage, bevor man das tote Dienstmädchen in der Kutsche gefunden hat, hat mich auf dem Roßmarkt so ein Mann angesprochen. Der war ganz vornehm angezogen und hat einen Zylinder aufgehabt …«

      »Moment, Moment. Wir brauchen das genaue Datum und die Uhrzeit. Wenn du uns das nicht zu sagen vermagst, kannst du dir das Ganze auch schenken«, unterbrach ihn Brand gereizt.

      »Des muss der Montag gewesen sein, der Montag vor dem Samstag, wo des passiert ist«, murmelte Rudi unsicher.

      »›Der Montag vor dem Samstag‹«, äffte Brand den Jungen nach. »Was soll denn das heißen? Damit können wir hier gar nichts anfangen. Nenne mir Ross und Reiter, oder geh wieder! Wir sind doch hier nicht in der Dummenschul!«, herrschte er Rudi an.

      »Das war am Montag, den 20. August 1836, gegen zwölf Uhr mittags. Bitte mäßigen Sie Ihren Ton, sonst werde ich mich bei Ihrem Vorgesetzten, Polizeisenator Hessenberg, mit dem ich gut bekannt bin, in aller Form über Sie beschweren!«, maßregelte ihn das Fräulein scharf wie einen ungezogenen Schuljungen.

      »Mit Verlaub, Fräulein Weiß, sind Sie die Zeugin, oder ist es der Junge?«

      »Der Junge ist der Zeuge, wie wir es am Anfang auch angegeben haben. Aber Sie lassen ihn ja gar nicht zu Wort kommen, sondern machen ihn mit Ihrer aufbrausenden Art ganz konfus.«

      »Also gut. Kleinhans, schreiben Sie bitte mit: Am Montag, den 20. August, um zwölf Uhr mittags, sprach den oben aufgeführten Zeugen, Rudolf Schickel, auf dem Platze des Roßmarktes ein Mann an. Punkt. Fahre er nun fort«, forderte Brand den Jungen auf.

      »Also, der Mann hat mich gefragt, ob ich mir vielleicht ein paar Kreuzer verdienen will. Da hab ich dann ja gesagt, denn ich kann das Geld gut gebrauchen.«

      »Das denk ich mir, mein lieber Schickel, das denk ich mir«, mokierte sich der Inspektor. »So, und jetzt bitte eine genaue Personenbeschreibung!«

      Rudi konzentrierte sich kurz, bevor er, sichtlich um Genauigkeit bemüht, antwortete: »Der Mann war groß und schlank und hat einen schwarzen Zylinder und einen schwarzen Gehrock angehabt, mit dunkelgrauen, langen Hosen. Er hat wie ein vornehmer Herr ausgesehen und auch so gesprochen. Nur dem seine Stimm hat sich so komisch angehört. Die war ganz hell, fast wie bei einer Frau. Er hat einen dunklen Backenbart gehabt und war ziemlich blass. Seine Augen hab ich nicht richtig sehen können, denn er hatte eine Brille mit so dunklen Gläsern auf. Seine Haarfarbe auch nicht, denn der hat ja auch einen Hut aufgehabt. Der Mann war vielleicht so alt wie mein großer Bruder, der ist im Juli 20 geworden. Sonst ist mir noch aufgefallen, dass er sehr unruhig war und sich die ganze Zeit umgeguckt hat, und wie er mir dann das Geld gegeben hat, hat er ganz schön gezittert. Also, er hat gesagt, dass ich da rübergehen soll, zur Blumen-Nelly, und der sagen soll, dass er ein Dienstmädchen haben will. Die darf aber nicht älter als 20 sein, soll dunkle Haare und braune Augen haben und darf nicht ›verlebt‹ oder ›billig‹ aussehen, sondern ›frisch‹ und ›adrett‹, so hat er sich, glaub ich, ausgedrückt. Die Nelly soll mir dann sagen, ob sie so jemanden kennt, und dann mit der Mamsell ein Treffen ausmachen. Er käm dann morgen um die gleiche Zeit wieder zum Roßmarkt, und ich sollte das dann mit der Nelly ausmachen. Also bin ich am nächsten Tag wieder hin und hab ihn auch getroffen. Dann bin ich gleich zur Nelly an den Blumenstand. Die hat mir dann gesagt, sie hätt mit einer Dienstmagd, die genauso wär, wie der Herr es will, gesprochen, und die hätt am kommenden Samstag ihren freien Nachmittag, der Herr müsst nur noch eine Uhrzeit vorschlagen und sagen, wo sie hinkommen soll. Und wenn alles klappt, müsst er ihr für ihre Vermittlung 20 Kreuzer bezahlen. Der Mamsell müsst er dann noch mal 50 Kreuzer geben. Der Mann hat einen Augenblick überlegt und dann als Treffpunkt den Weingarten vom Herrn Adam auf dem Klapperfeld vorgeschlagen. Er wär um vier Uhr dort. Die Jungfer sollt sich separat an einen Tisch setzen und als Erkennungszeichen ein Veilchenbukett am Hut tragen, er würd sie dann ansprechen. Dann hat er mir das Geld für die Nelly gegeben und noch mal fünf Kreuzer für mich und ist dann verschwunden.« Rudi schaute den Inspektor abwartend an. Als dieser keine Reaktion zeigte, fügte er hinzu, er habe sich halt so seine Gedanken gemacht, wo doch das ermordete Dienstmädchen genau an diesem Samstag tot in der Kutsche aufgefunden worden sei und weil das mit der Uhrzeit ja auch hinkommen könne.

      Der Inspektor fragte Rudi, ob dies alles sei, und erklärte in amtlichem Tonfall, ohne ein einziges höfliches Wort an den Zeugen und seine Begleiterin zu richten, die Befragung für beendet.

      Als sich Sidonie daraufhin erkundigte,

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