Madame empfängt. Ursula Neeb

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Madame empfängt - Ursula Neeb страница 13

Madame empfängt - Ursula Neeb

Скачать книгу

und wirkte mit einem Mal merklich entspannter.

      »Herzlichen Dank und noch einen angenehmen Abend.« Sidonie erhob sich und eilte mit Johann im Schlepptau zielstrebig in Richtung Tresen. Die Betreiber der Wirtschaft, die Gebrüder Weck, beleibte, glatzköpfige Zwillinge von etwa 40 Jahren, musterten die Neuankömmlinge argwöhnisch und erkundigten sich nach ihren Wünschen.

      »Zwei Gläser Portwein und, wenn möglich, auch eine Zigarre«, bestellte Johann, der zunehmend wieder an Selbstbewusstsein gewann. »Außerdem suchen wir eine Dame namens Irmgard Stocklossa. Die soll hier am Tresen stehen, wurde uns gesagt.«

      »Irmgard, dein Typ wird verlangt, komm doch mal her!«, rief einer der Brüder zur linken Thekenecke hin. Gleich darauf näherte sich eine junge Dame und blickte den Wirt, der auf Sidonie und Johann deutete, fragend an.

      »Die Herrschaften hier haben nach dir gefragt«, erklärte er ihr knapp.

      »Sie sind Frau Irmgard Stocklossa?«, richtete Sidonie das Wort an die verwunderte Frau. »Bitte entschuldigen Sie die Störung, aber wir hätten ein paar Fragen an Sie. Eine Bekannte von Ihnen, ein Fräulein Thekla, die wir soeben im Weinlokal Adam auf dem Klapperfeld kennengelernt haben, war so freundlich, uns zu sagen, dass wir Sie möglicherweise hier antreffen würden. Mein Name ist Sidonie Weiß, und das ist Herr Johann Konrad Friedrich. Hätten Sie vielleicht einen Augenblick Zeit, dann erkläre ich Ihnen gerne, worum es geht.«

      »Viel Zeit habe ich nicht, in einer Stunde muss ich mich auf den Weg machen. Was wollen Sie denn von mir?«, fragte Irmgard beklommen.

      Sie war schlank und wohlproportioniert und insgesamt von großer Anmut. Das glänzende, rotblonde Haar war zu einem schlichten Knoten zusammengesteckt, und die feinen Gesichtszüge und der volle rote Mund waren von natürlicher Schönheit. Ihre Kleidung war dezent und geschmackvoll. Sidonie war erstaunt über Irmgards Erscheinung. Es schien so gar nicht zu ihr zu passen, dass sie als Prostituierte arbeitete. Auf das Fräulein wirkte sie eher wie das makellose Ebenbild einer vielversprechenden höheren Tochter. Sidonie teilte ihr mit, dass ihr die Aufklärung des Mordfalls Gerlinde Dietz besonders am Herzen liege und dass Irmgard ihr möglicherweise behilflich sein könne. Als Irmgard Sidonies Worte hörte, zuckte sie leicht zusammen und machte ein betroffenes Gesicht.

      »Gehen wir da hinten in die Ecke, da haben wir noch am ehesten Ruhe«, erwiderte sie und begab sich, gefolgt von Sidonie und Johann, an das Ende des Tresens. Lediglich ein junger Mann hielt sich dort auf, den Irmgard Sidonie und Johann als einen lieben Freund vorstellte. Als Sidonie der schönen Frau gleich darauf auseinandersetzte, dass es sich bei dem Herrn, mit dem Gerlinde noch kurz vor ihrem Tod im Weingarten auf dem Klapperfeld verabredet war, möglicherweise um ihren Mörder handelte, war Irmgard sehr bemüht, eine genaue Personenbeschreibung von Gerlindes Begleiter abzugeben, die sich im Wesentlichen mit Rudis Aussagen deckte.

      »Mehr kann ich leider nicht sagen. Ich weiß auch nicht, ob ich den Mann vorher schon einmal gesehen habe. Bekannt kam er mir jedenfalls nicht vor. Ein großer, schlanker Herr mit Gehrock und Zylinder … aber so sehen doch viele aus, besonders Herren der besseren Gesellschaft«, äußerte Irmgard nachdenklich und blickte auf ihren Begleiter, auf den die Beschreibung gleichermaßen zutraf. »Es ist schade um die Gerlinde, glauben Sie mir, und ich hätte Ihnen gerne mehr geholfen. Ich finde es auch gut, dass Sie sich um die Aufklärung des Falles kümmern, denn die Polizei scheint sich nicht sehr dafür zu interessieren. So ist das halt, wenn einer von uns so etwas widerfährt. Letztendlich denken doch alle, das geschieht ihr recht. Am meisten tut es mir um Gerlindes Buben leid. Die armen Würmchen stehen jetzt ganz allein da und sind ins Waisenhaus gekommen. Wenn Gerlinde das wüsste, würde sie sich im Grab rumdrehen. Wo sie ihre Kinder doch so geliebt hat! Sie waren ihr ein und alles, und ich bin mir sicher, sie war eine gute Mutter, und sie hat sie auch nicht abgeschoben, wie es in der Zeitung stand. Das musste sie wegen ihrer Stellung machen, denn welche Herrschaft lässt es schon zu, dass eine Dienstmagd ihre Kinder mitbringt. Das kümmert die doch nicht. Die ganze Plackerei, und das alles für die paar Kröten, die hinten und vorne nicht reichen, erst recht, wenn man daheim noch welche durchzufüttern hat. Und das haben die meisten. Kein Wunder, dass so viele von uns noch nebenbei was dazuverdienen müssen. Und die Gerlinde, das weiß ich, hat das alles nur für ihre Buben getan.« Irmgard hielt inne und wischte sich über die Augen. Der junge Mann an ihrer Seite nahm sie in den Arm und versuchte sie zu trösten, was zur Folge hatte, dass bei Irmgard alle Dämme brachen und sie sich bebend an seiner Schulter ausweinte. Dazwischen murmelte sie immer wieder: »Ich liebe dich, ich liebe dich so sehr!«

      Johann und das Fräulein waren betroffen und wussten angesichts von Irmgards Gefühlsausbrüchen nicht so recht, wie sie sich verhalten sollten. Johann räusperte sich betreten. »Können wir Ihnen vielleicht auf irgendeine Art und Weise helfen, junge Dame? Soll ich Ihnen einen Kognac bestellen?«, erkundigte er sich ritterlich.

      »Ich denke, wir sollten die Herrschaften jetzt am besten allein lassen und nicht länger belästigen«, beschied Sidonie und machte Anstalten, sich zu erheben.

      »Nein, nein, bleiben Sie nur! Sie stören nicht«, hielt Irmgard sie zurück, putzte sich die Nase und wirkte wieder gefasster. In der Ecke war ein Tisch frei geworden, und sie schlug vor, sich dort niederzulassen. Johann bestellte noch eine Runde Portwein, und die Stimmung entspannte sich. Nach und nach stellte sich heraus, dass Irmgard und ihr Begleiter seit vielen Jahren ein Paar waren, das in platonischer Liebe verbunden war. Obgleich Sidonie ihr fremd war, hatte die junge Frau Zutrauen zu ihr gefasst und schüttete dem Fräulein das Herz aus, ein Phänomen, das Sidonie schon häufiger erlebt hatte. Gerade auf die Unglücklichen und Gestrauchelten schien die Dichterin eine eigentümliche Anziehungskraft auszuüben. Selbst Menschen, die das Leben bitter und verschlossen gemacht hatte, öffneten sich ihr zuweilen.

      So erfuhr das Fräulein, dass Irmgards Begleiter der Sohn ihrer Herrschaft war. Nachdem es für seine Familie außer Frage stand, dass mit ihm etwas nicht stimmte, zogen die besorgten Eltern einen namhaften Nervenarzt zurate, der ihren Sprössling mit verschiedenen Therapien zu kurieren suchte. Zunächst gelangte die Hypnose zur Anwendung, dann musste Alfred seltsame gymnastische Übungen vollführen, sich in freier Natur betätigen, kalte Wassergüsse vornehmen lassen, doch es half alles nichts gegen seine krankhafte Veranlagung, die darin bestand, dass er dem weiblichen Geschlecht einfach nicht zugetan war. Um ihn von seiner Verirrung abzubringen, brachte ihn sein Vater schließlich mit Irmgard zusammen, mit der er selbst eine heimliche Affäre unterhielt. Dabei kamen sich die beiden jungen Leute wenn auch nicht körperlich, so doch menschlich sehr nahe und vertrauten sich einander an. Alfred gestand Irmgard seine homosexuelle Veranlagung, und Irmgard beichtete Alfred, dass sie sich seit ihrer frühen Jugend für Geld hingab, obgleich es sie unsagbar grauste vor dem männlichen Geschlecht. Trotz aller Standesschranken standen sie sich gegenseitig bei, so weit es die Verhältnisse erlaubten, und im Laufe der Zeit entstand daraus eine tiefe Freundschaft, eine Art Symbiose, die beide als eine besondere Form der Liebe empfanden.

      »Doch jetzt hat er jemanden kennengelernt und sich verliebt, und seitdem gelte ich nichts mehr«, bemerkte Irmgard traurig und hatte erneut mit den Tränen zu kämpfen.

      »Das stimmt doch gar nicht! Du bist mir immer noch eine liebe Freundin, und daran wird sich auch nichts ändern«, warf Alfred mit kummervoller Miene ein und versuchte Irmgards Hand zu streicheln, die sie ihm unwirsch entzog. Plötzlich tauchte aus der Menge ein junger Mann auf und blieb vor dem Tisch stehen. Er war groß und muskulös und trug die einfache Kleidung eines Arbeiters. Alfred bat ihn, sich zu ihnen zu setzen, und stellte ihn den Anwesenden als einen guten Bekannten vor.

      Irmgard konnte nun gar nicht mehr an sich halten. Bebend vor Wut sprang sie auf und stürzte nach draußen. Sidonie und Johann verabschiedeten sich hastig von den beiden jungen Männern und eilten ihr nach. Unweit der Eingangstür stand Irmgard laut schluchzend im Regen. Sidonie und Johann hakten sie unter und nahmen sie mit in die Kutsche.

      Unter Tränen bat

Скачать книгу