Madame empfängt. Ursula Neeb
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Kurz darauf servierte Herr Adam seinen Gästen eine wohlschmeckende Erbsensuppe mit Speck. Dennoch war Johann der Einzige am Tisch, der seinen Teller leer aß. Das Fräulein, zu angespannt, um die Mahlzeit zu genießen, ließ mehr als die Hälfte übrig. Und Thekla, der, obgleich sie seit Tagen kaum etwas gegessen hatte, der Sinn eher nach Branntwein stand als nach fester Nahrung, rührte lustlos in ihrem Teller herum und rang sich schließlich dazu durch, ganze drei Löffel Suppe zu sich zu nehmen. Im Gespräch mit dem Mädchen erfuhr das Fräulein, dass Thekla gerade einmal 16 Jahre alt war und bereits seit drei Jahren anschaffen ging. Den größten Teil ihres Verdienstes setzte sie in Branntwein um. Sidonie hatte den Eindruck, dass Thekla trotz ihrer Jugend mit dem Leben bereits abgeschlossen hatte, was die Dichterin sehr traurig stimmte. Nachdem Johann die Rechnung beglichen hatte, bedankte sich Sidonie höflich bei Herrn Adam und bei Thekla für ihr Entgegenkommen. Bevor sie aufbrachen, streichelte sie dem jungen Mädchen über die Wange und flüsterte ihr zu: »Wenn dir mal der Sinn nach einem Glas Milch steht, Mädchen, dann komm vorbei. Ich wohne in der Töngesgasse Nummer 15. Es würde mich sehr freuen.«
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Als Sidonie und Johann in die Kutsche stiegen und Johann dem Kutscher als Ziel die übel beleumundete Wirtschaft in der Breiten Gasse angegeben hatte, zog er ein missmutiges Gesicht. Sidonie, die das bemerkte, erkundigte sich bei ihrem alten Jugendfreund, was ihm nicht behagte.
»Ach, Sido, du weißt genau, dass ich dir gerne jede Gefälligkeit erweise. Aber dass wir uns jetzt auch noch in den Schlupfwinkeln der Invertierten herumtreiben müssen, will mir gar nicht gefallen«, brummelte der Lebemann unwirsch.
»Lieber Johann, jetzt bleib doch bitte auf dem Teppich. Meinst du, die Herren in diesem Etablissement warten nur darauf, dass der berühmt-berüchtigte ›Don Johann‹ seinen Fuß über die Schwelle setzt, um sogleich über ihn herzufallen und ihn ans andere Ufer zu zerren?«, konterte Sidonie spöttisch. »Mir ist durchaus bekannt, was man sich über Homosexuelle so erzählt. Es wird gerne behauptet, dass sie Schmuck und glitzerndes Geschmeide, Puder und Parfüm lieben, mit den Hüften wackeln wie eine Frau und ebenso eitel sind. Angeblich neigen sie zu Geschwätzigkeit, Klatschsucht, Wankelmut und Doppelzüngigkeit und sind von niederträchtiger Wesensart. Früher habe ich diese Vorstellungen mehr oder weniger geteilt. Wenn ich Invertierte auch nicht direkt als sündige Frevler verurteilen mochte, so war ich doch der Meinung, dass es sich bei ihnen um abartige, kranke Menschen handelt, womöglich auch erblich belastet, denen geholfen werden muss. Inzwischen bin ich aber skeptisch, ob das alles so zutrifft.«
»Nun ja, meine Liebe, ich denke schon, dass da etwas Wahres dran ist«, entgegnete Johann ausweichend. »Erst kürzlich hatte ich die Gelegenheit, in einem seriösen, wissenschaftlichen Journal den Aufsatz eines namhaften Anthropologen zu lesen, der sich mit dieser ›Spezies‹ beschäftigte. In dem Artikel wurden die typischen körperlichen Merkmale von Invertierten beschrieben. Demnach erkennt man sie bereits an der eigentümlichen Beschaffenheit des Gesäßes. Sie neigen dazu, aufgeworfene, wulstige Lippen zu haben und helle Stimmen …«
»Ja, und am liebsten tragen sie Frauenkleider und treffen sich zum Damenkränzchen. Da habe ich allerdings ganz andere Erfahrungen gemacht. Ein Schriftstellerkollege, dessen Namen ich hier nicht nennen möchte, hat mich kürzlich zum Tee eingeladen. Er ist ein guter Freund des Dichters Lord Byron, der aus seiner Veranlagung bekanntlich keinen Hehl macht. Auch über meinen jungen Kollegen wird gemunkelt, dass er einen Hang zum eigenen Geschlecht hegt, was er mir gegenüber auch einmal ein wenig verstohlen andeutete. Jedenfalls traf ich in seinem Hause andere, ähnlich veranlagte Herren, und ich kann von ihnen wirklich nur das Allerbeste berichten. Sie alle waren in höchstem Maße kultiviert und gebildet und mir gegenüber von einer Zuvorkommenheit, wie ich sie selten erlebt habe. Keineswegs aber wirkten sie auf mich krank oder gar monströs, und ich frage mich, warum man einen solchen Abscheu vor ihnen hat. Ich denke, mein lieber Johann, deine Abneigung vor diesen Menschen liegt zu einem guten Teil auch in der Furcht begründet, von ihnen begehrt und umworben zu werden. Nur, dass in diesem Falle der Spieß einmal umgedreht ist und es dir ebenso ergehen könnte wie den armen Weibsbildern.«
»Also, das muss ich mir nicht sagen lassen! Eine jede Frau, die mit mir eine Affäre eingegangen ist, tat dies aus freien Stücken. Und ich darf behaupten, die meisten haben sich sehr wohl dabei gefühlt«, entrüstete sich Johann.
»Das bezweifle ich auch nicht, mein Guter! Aber warum soll das bei Homosexuellen denn anders sein? Auf, lass uns jetzt da reingehen. Du brauchst dich auch nicht zu fürchten, ich bin ja bei dir«, beschwichtigte Sidonie ihren Freund belustigt und drängte ihn aus der Kutsche, als sie vor dem ›Süßen Weck‹ angekommen waren.
Es war halb sechs, und die Dämmerung hatte an diesem verregneten Abend früher eingesetzt. In der abgelegenen Gegend war kaum jemand unterwegs. Lediglich ein paar junge Männer hielten sich am Rande der Gärten auf. Als sie Sidonie und Johann wahrnahmen, huschten sie verschreckt hinter die Büsche.
»Das sind bestimmt auch welche von denen«, bemerkte Johann abfällig und schloss den obersten Knopf seines Gehrocks. »Und daran, dass sie sich so davonstehlen, wenn jemand kommt, siehst du, dass sie alles andere als ein reines Gewissen haben.«
»Was heißt denn hier ›reines Gewissen‹? Die Leute haben Angst! Hast du nicht letzte Woche in der Zeitung gelesen, dass man einen jungen Mann, der in den Wallanlagen immer auf Kundenfang gegangen ist, halb tot geprügelt hat?«
»Ja, das hab ich«, entgegnete Johann kleinlaut. »Aber trotzdem halte ich es für eine Schnapsidee, hierherzukommen. Im wortwörtlichen Sinne. Da wollte sich dieses betrunkene Gör doch nur einen Schabernack mit uns machen. Ein Freudenmädchen unter lauter Päderasten! Die wird sich vor Kundschaft kaum retten können.«
»Also, jetzt reicht es mir aber bald mit dir. Wenn du nur am Nörgeln bist, dann steig in deine Kutsche und fahr heim.«
»Und lasse dich allein, hier draußen bei diesen Perversen. Nichts da, ich erfülle meine Pflicht als Kavalier und bleibe bei dir. Wie ich dich kenne, bist du doch sowieso durch nichts zu bewegen, dein Vorhaben aufzugeben.« Resigniert bot er Sidonie den Arm und schritt mit ihr die Stufen zur Eingangstür hinauf.
»Richtig, mein Lieber! Und du solltest dich vielleicht fürs Erste von deinen Vorurteilen verabschieden und die Dinge einfach auf dich zukommen lassen. Schließlich bist du kein verknöcherter Philister. Wo also bleibt deine liberale, weltmännische Gesinnung?«
»Diesbezüglich, meine Liebe, lasse ich dir momentan gerne den Vortritt. Bitte nach Ihnen, die Dame!«, flötete ›Don Johann‹ schlitzohrig und öffnete seiner gestrengen Begleiterin galant die Tür.
Als Sidonie und Johann den Gastraum betraten, wurden sie von den anwesenden Gästen mit verhaltenem Argwohn beäugt. Im Gegensatz zum Weinlokal auf dem Klapperfeld herrschte hier reger Betrieb. An sämtlichen Tischen des engen, verräucherten Schankraumes saßen Leute. Einige Gäste drängten sich um die langgezogene Theke. Das Publikum bestand zum überwiegenden Teil aus Männern unterschiedlichen Alters. Aber auch ein paar Frauen waren anwesend.
Beherzt näherte sich das Fräulein einem Tisch, an dem noch freie Stühle waren, und fragte höflich, ob sie und Johann Platz nehmen dürften. Die beiden Herren stimmten zu und rückten ein wenig zur Seite. Ihr Gespräch verstummte auf der Stelle, und sie senkten betreten den Blick.
»Bitte entschuldigen Sie die Störung, meine Herren! Wir sind auf der Suche nach einer Dame namens Irmgard Stocklossa. Uns wurde gesagt, dass sie möglicherweise hier ist und vielleicht können Sie uns weiterhelfen?«, wendete sich Sidonie, um das beklommene Schweigen aufzulockern und eventuelle Missverständnisse zu zerstreuen, an ihre Tischnachbarn.
»Ach,