Madame empfängt. Ursula Neeb
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Um elf Uhr trank Johann Konrad Friedrich genüsslich seinen ersten ›Frankfurter‹5 und zündete eine Zigarre an, um sich in Ruhe der morgendlichen Zeitungslektüre widmen zu können, was für ihn einem heiligen Ritual gleichkam. Die Herren an den übrigen Tischen im separaten Raucherzimmer des großen Kaffeehauses in der Bleidenstraße taten es ihm gleich, und so war der Raum erfüllt von dichten Rauchschwaden, denn im Gegensatz zu öffentlichen Orten war es den Gästen hier erlaubt, dem Tabakgenuss zu frönen. Einige Kaffeehausbesucher spielten Schach, andere debattierten, lasen Journale oder schrieben. In der Hauptsache waren hier Angehörige der besseren Gesellschaft vertreten. Nicht wenige der Anwesenden brachten in dem altehrwürdigen Kaffeehaus, das ein wenig versteckt hinter der Katharinenkirche lag, den ganzen Tag zu. Für Künstler, Schriftsteller und Gelehrte war es ein Ort schöpferischer Muße, der ihnen Gelegenheit zu Rückzug und Austausch bot. Das Interieur der weitläufigen Räumlichkeiten war von großer Eleganz und Behaglichkeit und erfüllte so die gehobenen Ansprüche seiner Besucher. Der Kaffee, in vielerlei Varianten angeboten, sowie das Gebäck und die Speisen waren von feinster Qualität. Zudem war das Kaffeehaus eine wahre Nachrichtenbörse. Hier erfuhr man alle Neuigkeiten aus Frankfurt und der großen, weiten Welt. Menschen der verschiedensten Nationalitäten gaben sich hier ein Stelldichein, und man vernahm neben der muttersprachlichen auch englische, französische und italienische Konversation. Das spiegelte sich auch in den Zeitungen und Zeitschriften wider, die den Gästen zur Verfügung standen. Nicht nur die gängigen Frankfurter Tageszeitungen wie das Frankfurter Intelligenzblatt, das Frankfurter Journal, die Frankfurter Kaiserliche Reichs-Ober-Post-Amts-Zeitung, das Frankfurter Konversationsblatt, die Didaskalia und das Journal de Francfort lagen hier aus, sondern auch eine reiche Auswahl der internationalen Presse war vertreten.
Für Johann Konrad Friedrich war das große Kaffeehaus in der Innenstadt seit nunmehr fünf Jahren zu einem zweiten Zuhause geworden. Der in die Jahre gekommene Lebemann, der bereits viel herumgekommen war in der Welt, arbeitete hier an seinen Memoiren.
Als Sohn einer wohlhabenden Frankfurter Kaufmannsfamilie trat er im Alter von 14 Jahren in den französischen Militärdienst ein und führte in Frankreich, Italien, Spanien und auf der griechischen Insel Korfu ein abenteuerliches Leben. Im Anschluss daran wechselte er zum Preußischen Heer, wo er den Rang eines Leutnants innehatte. Neben seiner Muttersprache sprach er fließend Französisch, Italienisch, Griechisch und Englisch. Schon immer hegte er eine große Vorliebe für die Literatur, insbesondere für Theaterstücke, und liebte es, zeitgenössische ausländische Klassiker ins Deutsche zu übersetzen, womit er sich ein Zubrot verdiente. Außerdem spielte Johann ausgezeichnet Klavier. Zu seinen auserkorenen Lieblingsstücken gehörte Mozarts ›Don Giovanni‹, gab er den Don Juan doch selbst oft genug im wahren Leben. In jungen Jahren ein wahrer Herzensbrecher, haftete ihm der Ruf des charmanten Verführers noch heute an, was ihm auch den Spitznamen ›Don Johann‹ eingetragen hatte. Schwarzlockig, mit dunklen, glutvollen Augen und eher klein gewachsen, konnte man ihn leicht für einen Italiener oder Südländer halten. Nicht wirklich schön, verfügte er doch über das gewisse Etwas, und bei seinen Verehrerinnen galt er als hervorragender Liebhaber. Im Alter von 30 Jahren nahm er Abschied vom Militär und kehrte in seine Heimatstadt Frankfurt zurück, wo er die Damenwelt im Klavierspiel unterrichtete und zahlreiche Affären mit Damen der guten Gesellschaft unterhielt. Oft war er verliebt gewesen, jedoch immer unverheiratet geblieben, und inzwischen war es um den einstigen Frauenliebling stiller geworden. ›Don Johann‹ lebte allein in der elterlichen Villa in Rödelheim und war recht einsam. Hätte er sein geliebtes Kaffeehaus nicht gehabt, wäre ihm zu Hause mitunter die Decke auf den Kopf gefallen. Seit Jahren hatte er keine Amouren mehr und sie fehlten ihm auch nicht. Nicht länger auf der Suche nach dem Abenteuer, das er so reichhaltig ausgekostet hatte, vermisste Johann auf seine alten Tage eher eine verlässliche Gefährtin.
Doch so eine fällt ja nicht einfach vom Himmel!
Während Johann sich noch konzentrierter seiner Lektüre widmete, wurde ihm plötzlich von hinten auf die Schulter getippt. Er schreckte auf und wendete den Kopf ungehalten in Richtung des Störenfrieds, wollte gar schon seinen Unmut kundtun, als er Sidonie Weiß erblickte. Nicht nur ihre äußere Erscheinung wirkte derangiert, auch ihre Stimmung schien alles andere als aufgeräumt zu sein, und so hielt Johann, der Sidonie aus Kindertagen kannte, zunächst einmal die Luft an, besann sich auf seine guten Umgangsformen und lud die Freundin und den Knirps, der neben ihr stand, freundlich ein, an seinem Tisch Platz zu nehmen. Bei dem ob der unüblichen Damenpräsenz durchaus konsterniert dreinschauenden Kaffeehauskellner bestellte er einen Kaffee Mélange für das Fräulein und eine heiße Trinkschokolade für den Jungen und wartete gespannt, den missbilligenden Mienen der anderen Kaffeehausgäste gegenüber gleichgültig, was Sidonie ihm zu berichten hatte. Denn es musste schon etwas Besonderes vorgefallen sein, wenn eine Dame, selbst eine, die es mit den Konventionen nicht so genau nahm wie das Fräulein, in die Männerdomäne des Kaffeehauses eindrang. Und wie es ihre Art war, kam Sidonie auch gleich zur Sache: »Hast du morgen Nachmittag Zeit? Ich muss unbedingt ein bestimmtes Lokal aufsuchen, und da brauche ich eine Begleitung.«
Johann, der seine liebgewordenen Gewohnheiten so zu schätzen gelernt hatte, dass ihm jegliche Störungen derselben verhasst waren, fühlte sich von des Fräuleins Stippvisite zwar einigermaßen überrumpelt, es lag ihm jedoch fern, Sidonie dafür zu schelten, wie er es bei jedem anderen getan hätte. Dazu war sie ihm viel zu lieb, und er konnte ihr eigentlich auch nicht gut etwas abschlagen. Dennoch gab er sich zunächst reserviert. Man springt ja schließlich nicht gleich, wenn der andere pfeift.
»Liebe Sido, hättest du vielleicht die Güte, mir erst einmal auseinanderzusetzen, worum es überhaupt geht?«, erkundigte er sich bedächtig.
»Ganz einfach: Der taugt keinen Schuss Pulver, dieser Kriminalinspektor Brand! Also habe ich mich entschieden, im Falle des ermordeten Dienstmädchens Gerlinde Dietz eigene Ermittlungen anzustellen«, entgegnete Sidonie aufgebracht. Anschließend berichtete sie Johann von Rudis Erlebnis auf dem Roßmarkt, dass sie den Jungen zu einer Zeugenaussage in der Hauptwache gedrängt und wie der Inspektor darauf reagiert hatte.
»Na ja, diese Gerlinde Dietz ist halt nur ein kleines Dienstmädchen gewesen, und dann hat die sich auch noch für Geld mit Herren eingelassen. Wegen so einer legt sich unsere liebe Polizei doch nicht ins Zeug. Ganz abgesehen davon, dass sie das ohnehin nicht gerne tut, denn die Frankfurter Polizeibehörde besteht nun einmal zu einem Großteil aus Schlafmützen, das, meine Liebe, ist hinlänglich bekannt. Mehr als den werten Herren vom Bundestag lieb ist. Man denke dabei nur an den Wachensturm vor drei Jahren, den unsere geschätzten Ordnungshüter ja vollends verschlafen haben. Schließlich hat unser lieber Herr von Metternich, dem die laxe Haltung der hiesigen Gendarmerie aufs Äußerste missfällt, nicht umsonst seine eigene Geheimpolizei eingesetzt, damit niemand in der Stadt es wagt, seine Zensur zu durchbrechen. Und unser Polizeisenator Hessenberg macht allenthalben keinen Hehl daraus, dass er ein Demokrat ist. Kein schlechter Mann übrigens, dieser Hessenberg. Sag mal, willst du dich nicht vielleicht bei ihm über Brand beschweren?«
»Das kann ich später immer noch tun. Einstweilen würde ich vorschlagen, wir zwei gehen morgen in den Adam’schen Weingarten und stellen dort weitere Erkundigungen an. Wenn sich die Dietz da wirklich mit ihrem Mörder getroffen hat, dann haben ihn auch noch andere gesehen. Vielleicht kennt ihn ja sogar jemand oder weiß Genaueres über ihn zu sagen. Außerdem ist morgen Samstag, und da haben viele Dienstmägde ihren freien Tag. Die kennen sich doch häufig untereinander. Ich denke, da können wir vielleicht auch in anderen Lokalen, wo die immer verkehren, etwas in Erfahrung bringen!«, entgegnete das Fräulein und trug Johann auf, für den braven Rudi noch einen Kakao zu bestellen. Als der Kellner das Getränk brachte, orderte sie, mit der Bemerkung, sie genieße es, endlich einmal ein Kaffeehaus von innen zu sehen, für sich noch eine weitere Mélange.
H
Es regnete in Strömen, als Sidonie