Depeche Mode - Die Biografie. Steve Malins
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„Etwa einen Monat nach unserem ersten Zusammentreffen sah ich sie spielen“, erzählt Daniel Miller, der nun seine zweite Chance bekam. „Dabei brachte ich sie aber nicht mit jener Band in Verbindung, der ich im Büro von Rough Trade begegnet war. Sie spielten als Vorgruppe für Fad Gadget im Bridgehouse in Canning Town, und ich fand sie einfach brillant. Fad Gadget hatte gerade den Soundcheck hinter sich, und normalerweise wäre ich mit ihm und der Band weggegangen, aber aus irgendeinem Grund blieb ich und beobachtete diese Gruppe, die aussah, als wäre sie eine miese New-Romantics-Band. Ich hasste die Neuen Romantiker, aber was da aus den Lautsprechern kam, das war einfach unfassbar. Zuerst dachte ich: ‚Nun ja, der erste Song ist bei allen gut.‘ Aber es wurde immer besser. Die meisten Songs, die sie an diesem Abend spielten, landeten tatsächlich auch auf dem ersten Album. Und sie waren unglaublich bescheiden. Dabei muss man bedenken, dass damals Leute wie ich, die irgendeine Art von künstlerischem Hintergrund hatten, die meiste elektronische Musik machten – Gruppen wie The Human League oder Cabaret Voltaire. Wir waren auch alle schon etwas älter und hatten daher einen starken Krautrock-Einfluss.“
In seinem Kopf hatte Miller „eine Vision von einer viel jüngeren Band aus der elektronischen Szene. Das war im Grunde auch das Konzept hinter meiner imaginären Gruppe Silicon Teens. Die gab es zwar in Wirklichkeit gar nicht, aber wir stellten sie als erste rein elektronische Teenagerpopgruppe der Welt dar. Es brauchte nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, dass diese Musiker als erste Instrumente Synthesizer statt Gitarren spielten. So sah ich auch damals Depeche Mode, obwohl mir später klar wurde, dass das eigentlich nicht stimmte, denn sie konnten ja durchaus auch Gitarre spielen.“
Miller traf die Jungs nach dem Konzert hinter der Bühne und sagte: „Ich würde wirklich gern was mit euch machen, zum Beispiel eine Single.“ In der Woche darauf sah er sie wieder. „Damals arbeitete ich mit Boyd Rice von Non zusammen, der mit mir zum zweiten Gig kam, und auch er war total überwältigt. Ich hatte ein weiteres Gespräch mit den Jungs, und das war’s dann auch.“ Gahan entsinnt sich: „Daniel sagte, er könne eine Platte von uns rausbringen. Wenn wir danach nicht mehr bei ihm bleiben wollten, seien wir nicht dazu verpflichtet. Es war das ehrlichste Angebot, das wir bislang bekommen hatten.“ Vince Clarke dazu: „Wir konnten uns zunächst nicht entscheiden, welches Angebot wir nun annehmen sollten, denn Stevo war ja auch an uns interessiert. Warum wir schließlich Daniel die Zusage gaben, weiß ich gar nicht mehr, aber so fing damals alles an.“
Die neuen Partner besiegelten ihre Vereinbarung per Handschlag und nicht durch einen schriftlichen Vertrag. Miller wollte unbedingt eine rebellische, unabhängige Atmosphäre bei seinem Label walten lassen, was die Künstler wie auch die Geschäftsmethoden anging. Mute waren eine noch sehr kleine Firma, als Depeche Mode als dritte Gruppe zu Fad Gadget und Non hinzukamen. „Damals hatte ich nur einen einzigen Angestellten“, sagt Miller im geschäftigen, modernen Firmensitz in der Londoner Harrow Road, wo heute zahlreiche Beschäftigte arbeiten. Ende 1980 betrieb Miller die Firma noch von seiner Privatwohnung in Nordlondon nahe Golders Green aus.
Obwohl Miller und Depeche Mode immerhin eine formlose und mündliche Vereinbarung getroffen hatten, wartete aber auch Stevo immer noch im Hintergrund auf seine Chance. Der Einzelgänger sagt: „Die Jungs von Depeche Mode waren sich sehr unschlüssig, ob sie sich Mute anschließen sollten oder Some Bizzare, denn wir hatten gute Möglichkeiten, sie bei den Medien bekannt zu machen. Also ging ich bei einem Gig backstage und sagte Daniel: ‚Ich habe Depeche Mode gerade versichert, dass du ein großartiger Mensch bist und sie sich für dich entscheiden sollten.‘ Ihnen sagte ich, dass Daniel grundehrlich und vertrauenswürdig ist. Damals hatte ich The The und Soft Cell auf meinem Label, und Daniel hatte Fad Gadget. Damit war er künstlerisch auf dem richtigen Weg. Seither pflegten wir immer gute Beziehungen. Wenn ich in Schwierigkeiten geriet, hat mir Daniel immer ausgeholfen.“
Miller bestätigt, dass der exzentrische, lebhafte und instinktsichere Pionier Stevo eher ein Verbündeter als ein Rivale war: „Ich hatte schon seit Ewigkeiten mit Stevo zusammengearbeitet. Als er noch DJ war, schickte ich ihm immer unsere Mute-Platten zu. Dann machte er Promotion für Konzerte im Clarendon unter dem Motto ‚Stevo’s Electronic Parties‘. Alle unsere Bands waren dabei – DAF, Fad Gadget, Boyd Rice. Wir waren richtig gute Freunde, und Stevo erzählte mir von seinem geplanten Some Bizzare Album. Er wollte für das Projekt Throbbing Gristle, Cabaret Voltaire und mich gewinnen. Wir bekamen eine Menge Demo-Tapes zugeschickt, und er wollte alle diese jungen Bands, von denen niemand jemals etwas gehört hatte, auf der Platte haben. Zwischen uns gab es keinerlei Rivalität. Ich hatte Soft Cell schon lange vor Stevo gehört, denn Frank Tovey war mit Marc Almond von Soft Cell auf dem College gewesen. Stevo hatte Depeche Mode ein paar Tage vor mir live erlebt, aber er begeisterte sich restlos für Soft Cell – und ich für Depeche Mode. Da sagte er: ‚Also gut, du nimmst Depeche Mode, und ich nehme Soft Cell.‘ Ich glaube, Depeche Mode wollten sowieso lieber mit mir zusammenarbeiten – aber schließlich kam es dann doch so, dass ich die Single ‚Memorabilia‘ von Soft Cell produzierte und dass Depeche Mode auch einen Song zu Stevos Some Bizzare Album beisteuerten.“
Stevo erinnert sich daran, wie Daniel Miller und Soft Cell „Memorabilia“ einspielten. „Ich kam um halb elf Uhr vormittags ins kleine Studio im East End. Ich war betrunken. Es war Daniels Geburtstag, und er war die ganze Nacht auf gewesen. Also sagte ich: ‚Happy birthday, Daniel.‘ Und er kotzte den Fußboden voll. Das stank. Noch immer bin ich davon überzeugt, dass die Platte dadurch ihren scharfen Klang bekam. Hat je einer versucht, unter solchen Umständen eine Platte zu produzieren? Ich wollte nur so schnell wie möglich wieder raus.“
Ende 1980 gingen Depeche Mode in ein Studio im Osten von London, um „Photographic“ für das Some Bizzare Album einzuspielen. „Ich wollte für Stevos Album einen wirklich guten Song liefern, aber nicht unbedingt den allerbesten“, sagt Miller, der bei dieser Aufnahme als Produzent einsprang. Die Band baute ihre Ausrüstung auf, und ihr neuer Mentor bat sie, „Dreaming Of Me“, „Ice Machine“ und „Photographic“ live zu spielen. Ihre Instrumente waren damals ein Moog-Prodigy-Synthesizer, ein Yamaha C55, ein kleiner Kawai-Synthie und eine Dr. Rhythm, eine sehr einfache, programmierbare Drum Machine. Miller hatte einige Synthesizer, die ein wenig, aber nicht allzu viel raffinierter waren, darunter einen ARP 2600, einen Synthie in Modulbauweise mit zusätzlichem Analogsequenzer. „Vince sagte nur ‚Wow!‘, als er das sah“, lacht Miller. „Er war am meisten vom Sequenzer beeindruckt, denn er wollte einen sehr präzisen Klang haben, also benutzten wir den für ‚Photographic‘. Wir schafften den Track sehr schnell; innerhalb nur eines Tages war er eingespielt und abgemischt.“
Daniel Miller fand es toll, eine Teenagerpopband entdeckt zu haben, die auch noch eine ganz einfache, rein elektronische Gruppe war. „Das Besondere an Depeche Mode war die minimalistische Art zu spielen; da gab es keinen Ton und keine Passage, die nicht unbedingt da zu sein hatten. Diese Musik war rein funktional. Und das war auch die einzige Art zu spielen, denn die vier hatten ja nur das allereinfachste Equipment. Sie hatten nur monofone und keine polyfonen Synthesizer, auf denen sie immer nur eine Note zur gleichen Zeit spielen konnten, keine Akkorde. Aber sie wussten diese Beschränkungen gut zu nutzen. Ich hatte schon viele Tapes mit sehr aufwendiger, vielschichtiger Musik geschickt bekommen, die aber nicht sehr gut waren. Depeche Mode hingegen waren so gänzlich unaufwendig, und genau das gefiel mir.“
Millers ehrgeizige puristische Einstellung zu elektronischer Musik war zum Teil von der minimalistischen Art von Kraftwerk inspiriert, die auf den höchst einflussreichen Alben Die Mensch-Maschine und Trans Europa Express in den Siebzigerjahren zu hören war. Ralf Hütter von Kraftwerk sagt dazu: „Wir können eine Idee mit ein oder zwei Noten rüberbringen, und das ist besser, als es mit etlichen Hundert Noten zu versuchen. Bei unseren Musikmaschinen