Zertrumpelt. Corey Taylor
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Zurzeit von Reagan und Clinton I. kam tatsächlich schon einmal Bewegung in die alten Lager. Reagan repräsentierte den neuen Konservativen: einen auf Freiheit bedachten Familienmenschen, sauber und ordentlich und bodenständig, in eine Flagge gewickelt wie ein Schwein in eine Decke und etwas wacklig beim Management von Steuerthemen. Clinton I. war genauso, er orientierte sich an einer neuen, demokratischen Parteilinie, dem so genannten Dritten Weg. Damit sollte die Partei wieder stärker zur Mitte finden und konservativer werden, aber gleichzeitig ihre liberale Haltung in Menschenrechtsfragen beibehalten. Dass Politiker ihre Standpunkte verschieben oder ändern, das hat es immer schon einmal gegeben. Aber meiner Meinung nach brauchen wir diese ganze Scheiße nicht. Wir brauchen ein völlig neues Regelwerk. Wollt ihr, dass wir zu der Zeit zurückfinden, in der man bei der Regierungsarbeit noch das Motto „aus dem Volk, für das Volk und durch das Volk“ beherzigte? Dann, liebe Freunde, habe ich einen Vorschlag für euch. Passt gut auf, denn ich erzähle das alles nur einmal. Es mag ein bisschen verrückt klingen, aber es ist ja nur ein schmaler Grat zwischen verrückt und kreativ, auch wenn die Entwickler solcher Ideen dann oft an der Praxis scheitern. Aber ich habe eine Idee und eine Lösung.
Zwischen den Präsidentschaftswahlen liegen vier Jahre. Das bedeutet, wir haben vier Jahre Zeit, um nach einer besseren Option zur Regierungsführung zu suchen. Mein Vorschlag wäre, dass wir in diesen vier Jahren im ganzen Land – an jeder Küste, in jedem Staat, jeder Stadt, jedem Vorort – nach Menschen Ausschau halten, die bereit sind, gegeneinander anzutreten. Wir stellen Gruppen von Kandidaten zusammen und lassen über das Internet und im Fernsehen darüber abstimmen, wen wir wirklich mögen. Im Laufe der Zeit werden immer mehr Leute „herausgewählt“, bis nur noch zehn übrig sind. Diese zehn machen ein Jahr lang „Wahlkampf“, an dessen Ende die „große Auswahl“ steht. So ganz ähnlich wie in diesen beschissenen Fernsehshows, die mir das Fernsehen und die Musik inzwischen gleichermaßen verleidet haben. Und am Ende lassen wir Amerika per SMS darüber abstimmen (das ist meiner Meinung genauso verlässlich wie die Stimmzettelabgabe in der Wahlkabine), welche zwei ihnen am besten gefallen. Damit ist das Rennen eröffnet. Anschließend reisen diese beiden vom Volk nominierten Kandidaten sechzig Tage lang Seite an Seite durch das ganze Land, diskutieren, reden und beantworten Fragen. Dann wird gewählt, und wer die meisten Stimmen bekommt, wird die nächsten vier Jahre Präsident. Aber der Trick bei der Sache ist: Es gibt keine Verlierer, denn derjenige, der nicht gewinnt, wird Vizepräsident. Die acht anderen aus der letzten Runde werden Teil des Kabinetts, und alle anderen zuvor Beteiligten werden Sonderbeauftragte für ihre Bundesstaaten in beiden Häusern des Kongresses, im Senat und im Repräsentantenhaus. Ihre Aufgabe wird es sein, die Berufspolitiker an den Willen des Volkes zu erinnern, für dessen Durchsetzung sie überhaupt in diesem Gremium sitzen. Eine wirklich demokratische Regierung sollte nie vergessen, dass die Bevölkerung, die sie vertritt, sie in jedem Augenblick abberufen kann.
Ich kann mir schon vorstellen, wie mich die Sozialen Medien für solche Ideen grillen werden. „Pah, was für ein Scheiß“, wird es heißen, „der saubere Herr Taylor hat null Ahnung, wie ein wirklich demokratischer Prozess abläuft. Ein derart verdorbenes System würde heutzutage nie funktionieren, sondern schon allein wegen der albernen Vorgehensweise zum Scheitern verdammt sein.“ Meine Antwort würde natürlich lauten: Wieso? Was macht die aktuelle Auswahlmethode so viel besser als die, die ich gerade präsentiert habe? Wir haben doch gerade gesehen, dass das Democratic National Committee bei der eigenen Kandidatenkür Scheiße gebaut hat, und ich würde mit ziemlicher Sicherheit behaupten, dass es der republikanischen Konkurrenz heute noch leid tut, diese Arschkanone Trump jemals ernst genommen zu haben. Sie haben nichts anderes gemacht, als nach der etablierten Vorgehensweise „die Besten aus unserem Zweiparteiensystem“ zu ermitteln. Jetzt kann man zu den beiden stehen, wie man will, sie wurden jedenfalls allgemein als die schlimmsten Kandidaten für die Präsidentschaftswahl seit Gottweißwielange betrachtet (gebräuchliche Zeiteinheit im zirkulären Maya-Kalender, bezieht sich hier auf „das letzte Mal, dass die Weißen den Eindruck machten, als hätten sie den richtigen Durchblick“).
Das wäre jedenfalls mein Vorschlag für die Lösung des ganzen Präsidentschafts-Fiaskos. Ich weiß schon, was die meisten von euch dazu sagen werden: „Ey, Arschgesicht, bleib bloß beim Singen und überlass die Politik den Profis.“ Oder: „Es kotzt mich nichts so sehr an wie diese Typen aus der Unterhaltungsbranche, die keine Ahnung von Politik haben, aber dauernd davon quatschen.“ Ich antworte dann meistens: „Du hast da gerade den Typen beschrieben, den du höchstwahrscheinlich gewählt hast, du hinterwäldlerische Muschibürste.“ Aber ihr kennt mich ja: Ich hasse Irritationen auf geistiger Ebene. Außerdem hasse ich Leute, die meinen, weil ich ein bisschen Erfolg hatte und sogar etwas Geld verdient habe, hätte ich plötzlich jede Art von Überblick über die Politik in meinem Land verloren und kein Recht mehr, darüber zu reden. Das ist eine echte Scheiß-Reaktion auf eine Meinung, mit der man nicht übereinstimmt, und mich kotzt es echt an, dass so viele Leute damit durchkommen. Das sind normalerweise dieselben, die damit rumgeprotzt haben, dass sie vor „den Wahllokalen gelauert haben, um alle einzuschüchtern, die nicht für Trump stimmen wollten“. Ist denn das zu glauben – im Jahr 2016 gibt es Amerikaner, die meinen, sie müssten zu Taktiken greifen, die in den 1920er-Jahren von den Nazi-Braunhemden etabliert wurden? Mich beruhigt lediglich, dass es dagegen auch reichlich Widerstand gab und gibt. Die Menschen in Amerika haben die Schnauze voll davon, sich bedrohen zu lassen, und schlagen jetzt zurück.
Reagan hätte all das auch nicht gefallen. Von all den republikanischen Präsidenten, die ich bisher erlebt habe, war keiner so nahe bei den Menschen wie er. Er hatte begriffen, dass man ein Land nicht regieren kann, indem man die Bevölkerung auseinanderdividiert – es läuft alles nur dann, wenn man die Menschen zusammenbringt und dafür sorgt, dass sie auch miteinander auskommen. Deswegen bekennen sich die erfolgreichsten Politiker weder zum linken noch zum rechten Lager, sondern arbeiten mit der Mitte. Da spielt sich das Leben nun mal ab. Klar, natürlich gibt es auch bei uns Ärsche mit extremen Positionen, die nicht mehr wissen, wo der Hammer hängt, aber die Mehrheit kommt eben doch in der Mitte des Spektrums zusammen, wo sich die guten Ideen von beiden Seiten treffen und verbinden. Erfolgreiche Politiker wissen: Um die Massen zu begeistern, muss man die „Hits“ präsentieren – rhetorische Ideale, grundsätzliche Anziehungskraft und eine einfache Botschaft. Wenn man den Einzelnen erreichen will, die Leute mit ihren persönlichen Sorgen und Nöten, dann pendelt man sich besser irgendwo in der Mitte ein, denn letztlich ist das der Ort, an dem wir uns alle wiederfinden. Am Ende verbindet uns doch viel mehr, als uns trennt, auch wenn man das vielleicht anders sieht, wenn man gerade seine Band auflösen möchte. Wir neigen wohl alle zu Extremen, aber die beziehen sich nicht ausschließlich auf Schlagworte wie Hass und Rassenideologie, Steuergesetzgebung, konservativ oder progressiv, Friedensstifter oder Kriegstreiber und dergleichen, manchmal bestehen Extreme auch