Zertrumpelt. Corey Taylor
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Dabei war auch nicht gerade hilfreich, dass niemand eine klare Vorstellung oder eine Vision für die Identität der USA zu haben schien. Die Menschen fühlten sich eher mit den Regionen verbunden, in denen sie lebten. Es gab kein großes, einigendes Konzept für das gesamte Land, nichts, was uns stolz gemacht hätte, Amerikaner zu sein. Wir lagen eher im Clinch mit den Vorstellungen, die wir von uns selbst zu haben glaubten. Unsere Verbündeten ging es da besser: In Großbritannien gab es das Königshaus, Frankreich galt als Land der Künste und der feinen Lebensart, Japan hatte Kultur und Geschichte. Selbst bei unseren Feinden sah es besser aus: Die UdSSR (oder, in russischer Schreibweise, die CCCP) hatte den Kommunismus, und im Nahen Osten gab es Öl und Allah. Amerika hatte eine zerrissene Flagge und gebrochene Versprechen. Was ein eigenes nationales Konzept anging, steckten wir noch in den Kinderschuhen. Auch in denen hätten wir natürlich laufen können – aber wohin?
Und dann betrat der Gouverneur von Kalifornien die Bühne.
Bei den Republikanern galt Ronald Reagan schon eine Weile als ein echter Star. Dabei hatte er ursprünglich den Demokraten angehört, bevor er 1962 zum anderen Lager überlief – wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass er in den goldenen Zeiten Hollywoods zum großen Filmstar aufgestiegen war, und die Filmhauptstadt ist bekanntlich eine demokratische Hochburg. Ron und seine Frau Nancy galten in den besten Kreisen von La La Land als Vorzeigepaar mit Stil und Klasse, und als es mit seiner Karriere vor der Kamera bergab ging, stellte er fest, dass er ein Naturtalent auf der Politbühne war. Er hatte offenbar kein Problem mit der Kommunistenhetze, der sich die meisten Republikaner in den Sechzigern bedienten, und indem er eine solche Haltung mit seinem Charme und seinem Megawatt-Strahlerlächeln verknüpfte, gelang ihm ein ziemlich schneller Aufstieg. Die GOP bot ihm in ihrem damaligen Zustand genügend Raum, um einen riesigen Schatten zu werfen. Mit Leichtigkeit gewann er die Gouverneurswahl in Kalifornien, und anschließend machte er sich sofort daran, den Grundstein für eine Kandidatur im Weißen Haus zu legen. Mit der Unterstützung einiger visionärer Parteifreunde wurde er zum Sinnbild für den Look und die Botschaft der neuen Republikanischen Partei, die geprägt waren von der Flagge mit den Stars & Stripes, Country & Western-Musik, Patriotismus, den Adlern als Wappentier und der Vorstellung vom zupackenden, bodenständigen amerikanischen Arbeiter. Unser Bild der modernen Vereinigten Staaten entstand in den Jahren der Reagan-Administration.
Nachdem er sich zuvor schon zweimal um den Einzug ins Oval Office bemüht hatte, gelang ihm 1980 ein Erdrutschsieg. Wenn man die Umstände genauer betrachtet, ist es offensichtlich, wieso es klassischerweise nach zwei Schüssen in den Ofen beim dritten Mal klappte – ein besserer Trailer, ein erfolgreicherer Film. Amerika brauchte einen Helden, und Reagan war John Wayne mit einem schicken Anzug und einer Portion Pomade. Sein Spitzname lautete Dutch, und neben seiner Bleibe in Washington hatte er auch noch eine echte Ranch – ich kann gar nicht mehr sagen, wie oft ich Fotos vom alten Ronnie sah, auf denen er in Jeans und Hemd im Sattel saß und in Camp David durchs Gelände ritt. Er wirkte freundlich und jovial, und gleichzeitig vermittelten sein kantiges Kinn und die leicht zusammengekniffenen Augen auch eine gewisse Härte. Offenbar waren die Jahre vor der Kamera die perfekte Vorbereitung gewesen – er war für diese Rolle wie geboren. Verdammt, er sah einfach genau so aus, wie man sich den ersten Mann im Staat vorstellt. Das mit der perfekten Optik war dabei ja kein neues Konzept: Allgemein gilt Kennedy als der erste US-Präsident, der aufgrund seines Sahneschnittenfaktors die Wahl gewann. Bei Reagan kam noch eine weitere Komponente mit ins Spiel, und ich weiß nicht, ob darauf schon einmal jemand hingewiesen hat – Amerika suchte nicht nur einen Helden, es brauchte auch eine Vaterfigur.
Die Hippies und die Yippies und die Leute wie du und ich wurden nun erwachsen und ließen den Nebel des Krieges und der drogengeschwängerten Siebziger hinter sich. Männer und Frauen, die eigentlich gar nicht damit gerechnet hatten, diese verrückte Zeit überhaupt lebend zu überstehen, mussten sich plötzlich ihren Lebensunterhalt verdienen und Verantwortung übernehmen. Mit ihren eigenen Eltern hatten sie gebrochen, als sie gegen die strengen Gesellschaftsnormen der Fünfzigerjahre aufbegehrt hatten, und jetzt konnten sie sich an nichts mehr erinnern, was länger zurücklag als ihr erster Joint. Und da tauchte ein Mann auf, der so aussah, als könnte er ein paar Richtlinien bieten, um den Alltag zu bewältigen, und einem außerdem noch einen echten Rüffel verpassen, wenn man zu sehr aus der Reihe tanzte. Reagan hatte das Zeug, Amerikas Dad zu sein, wobei er auch schon als Großvater hätte durchgehen können, denn schließlich war er der älteste Präsident, der je ins Amt gewählt worden war. Und weil er genau dem Ideal entsprach, das sich die Menschen damals wünschten, stellte niemand infrage, ob auf der Haben-Seite auch eine wasserdichte Wirtschaftspolitik stand. Die es, wie sich herausstellen sollte, nicht gab. Das sogenannte Reaganomics-Modell sah beispielsweise Steuererleichterungen für die Reichen vor, weil man glaubte, die würden dann mehr Geld ausgeben und damit die Wirtschaft ankurbeln, was über Umwege letztlich auch den weniger Wohlhabenden zugutekommen würde. Das klappte nicht; tatsächlich hat sich bisher erwiesen, dass diese Politik, wenn überhaupt, nur auf Mikro-Ebene funktioniert, beispielsweise innerhalb einer kleinen Stadt, aber nicht landesweit. Kansas hat heute immer noch mit den Auswirkungen dieser Art von Deregulierung zu kämpfen.
Randbemerkung: Ich glaube, der Ausdruck Obamacare ist die Rache dafür, dass die damalige Wirtschaftspolitik als Reaganomics bezeichnet wurde. Dabei war das Krankenversicherungsmodell ACA ursprünglich sogar ein Konzept der Republikaner.
Jedenfalls ging bei Onkel Ronnies Regierung einiges in die Hose – die verfehlte Wirtschaftspolitik, der Kampf gegen Drogen, die Kürzung sämtlicher Staatsausgaben (abgesehen von der Rüstung), die Stellenstreichungen im Öffentlichen Dienst, die Iran-Contra-Affäre, die Bombardierung Libyens, das Wettrüsten mit den Sowjets und die Verschärfung des Kalten Krieges standen wenigen positiven Entwicklungen gegenüber, beispielsweise der Senkung der Inflationsrate und einem recht gesunden Wachstum des Bruttoinlandprodukts. Reagan gelang es außerdem, nicht als doppelzüngig zu gelten, obwohl er am Brandenburger Tor in Berlin den berühmten Spruch aufgesagt hatte: „Mr. Gorbachev, tear down this wall.“ Ausgerechnet der Kerl, der jahrelang zur Abschreckung einen Atomsprengkopf auf den nächsten gestapelt hatte, konnte sich den Fall der Berliner Mauer auf die Fahne schreiben – keine üble Leistung, wenn man bedenkt, dass seine Partei stets wortreich vor dem Feind im Osten gewarnt hatte. Ronald Reagan und David Hasselhoff, vereint in ihrem Kampf für das Gute – also, das wäre jetzt mal echt was gewesen, woran man hätte glauben können.
Schwierig wurde die Sache, weil Reagan ja nicht ewig Präsident bleiben konnte. Selbst Leute wie wir, die nicht gerade große Fans gewesen waren, hatten ihn nie wirklich so richtig gehasst. Klar, meine liebsten Hardcore-Punker und Metal-Bands trugen damals alle T-Shirts, auf denen Reagan irgendwie entstellt oder beleidigt wurde. Für sie war der alte Dutch der Feind, das Gesicht der wachsenden Macht der Rechten und der Faschisten, die eine Generation zum Gehorsam zwingen wollten, die sich nicht zähmen oder bestechen ließ. Als sozial benachteiligtes Kind identifizierte ich mich eher mit diesen Bands als mit dem guten alten Dutch. Und so wurde Amerikas Dad der nörgelnde Vater, den ich von Anfang an nicht gehabt hatte und jetzt auch nicht mehr wollte. Dazu kam noch der Eindruck, den Terry Branstad hinterließ, der republikanische Gouverneur von Iowa, der keine Anstalten machte, aus dem Amt zu scheiden (und der schockierenderweise kürzlich noch einmal gewählt worden ist) – und für mich stand fest, dass ich mit der GOP nichts am Hut hatte.
Aber dessen ungeachtet sollte man die Macht guter PR nie unterschätzen, wenn sie mit dem ganzen Arsenal aus Laserstrahlen, Mythen und Pyrotechnik zu Werke geht. Reagan räumte zwar den Sessel neben dem roten Knopf, aber die Republikaner blieben an der Macht. George Bush Senior rückte vom Vizepräsidenten zum echten Präsidenten auf und wurde Bush der Erste. Er hatte das Knowhow, die Erfahrung und ein Gespür für Menschenführung. Mehr noch, er hatte es als echter Texaner auch super drauf, uns gleich als erstes in einen Krieg zu verwickeln (eine Tradition, die Johnson mit dem Vietnamkrieg begründet