Ein verlorenes Paradies. Monika Dahlhoff
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Doch schneller als gedacht wuchs das Schweinchen, es wuchs und wuchs, na ja bei all dem guten Essen, was es von Mutti bekam, konnte es auch nicht anders sein. Es bekam gekochte Kartoffeln aus unseren Feldern, die wir geerntet hatten. Auch irgend so eine Kleie, die Mutti unter die gekochten, gestampften Kartoffeln mischte. Ich hatte Mühe, mit Schweinchen zu spielen, denn immer öfter warf es mich einfach um. Denn es war einfach zu schnell gewachsen und sein Garten war im wahrsten Sinne zu einem Saustall geworden. Gras gab es keins mehr, den Garten hatte es total mit seiner Nase umgegraben. Wenn ich mit Futter zu ihm kam, konnte ich schon von Weitem sein Grunzen hören. Ich musste mich beeilen, das Futter auszuteilen, sonst hätte ich im Schmutz gelegen.
Da ich meine schönen Schuhe nur am Sonntag tragen durfte, war ich immer mit nackten Füßen beim Schwein. Wie meine Füße dann aussahen, kann ich kaum erklären, sie waren total voller Schlamm, besonders wenn es geregnet hatte. Ja, die schönen Schuhe, die ich hatte, waren nur für den Sonntag zum Kirchgang oder zu irgendwelchen Feierlichkeiten. Da ja kleine Kinder schnell wachsen, die Schuhe knapp waren, konnte man immer nur ein paar Schuhe kaufen. Wenn diese Schuhe zu klein wurden, durfte ich die Ferse hinten runtertreten und sie dann zu Hause noch weiter anziehen. Erst dann gab es wieder Sonntag Schuhe.
Heute war nichts wie sonst. Was ist denn nun schon wieder los? Vati kam aufgeregt zum Mittagessen und seine ersten Worte waren, das Schwein ist krank. Da hörten wir auch schon das Auto von unserem Tierarzt. Alle liefen wir nach unten zu dem Schwein. Ich durfte nicht mit in den Stall. Darum stand ich ängstlich am Zaun und schaute neugierig durch die Latten des Zauns.
Ach, lieber Gott, betete ich, lass unser Schweinchen wieder gesund werden. Ich hörte, wie Mutti sagte, Herr Doktor können wir es nicht einfach schlachten? Ich erschrak, wollte Mutti etwa unser Schwein töten? Es womöglich auch noch essen wie unsere Gans? Nein, das darf doch nicht sein, lieber Gott, flüsterte ich leise, ich kann doch meinen Freund nicht essen. Freunde darf man doch nicht schlachten. Sicher hatte ich mich verhört.
Da sah mich Mutti plötzlich an, sie schien genau so traurig wie ich zu sein. Mutti, Mutti, darf ich jetzt zu unserem Schwein? Ich möchte es so gerne streicheln, ihm sagen, dass es mein Freund ist.
Mutti ließ mich rein, ich hörte wieder dieses freudige Grunzen, als ich das Schweinchen streichelte. Ich konnte mich kaum von ihm trennen.
Heute war das Schweinchen ganz besonders lieb zu mir. Es ließ zu, dass ich es immer und immer wieder streichelte, ohne mich zu schupsen.
Dein Schweinchen ist sehr krank, hörte ich den Doktor sagen. Es braucht jetzt Ruhe, doch wie er das sagte, das hörte sich nicht gut an. Ich hörte darauf, was der Doktor sagte, ich ließ das Schweinchen in Ruhe. Ich verließ es mit den Worten, du wirst bald wieder gesund, Schweinchen, ich hole dir nur noch was Gutes zu fressen, dann bin ich wieder bei dir. Kaum hatte ich ausgesprochen, zog mich Mutti nach draußen. Oben in der Küche setzte sie mich auf ihren Schoß, lass dir mal etwas erklären mein Kind.
Schweine kauft man sich nicht zum Spielen oder zum Streicheln, sondern wenn sie groß sind, muss man sie schlachten.
Wir können dann das Fleisch verkaufen, damit wir von dem Geld andere Dinge wie zum Beispiel Schuhe und Kleidchen für dich kaufen können. Auch wir müssen etwas von dem Fleisch essen, sonst verhungern wir.
In diesem Moment verstand ich die Welt nicht mehr, ich fühlte die Tränen, die mir über mein Gesicht liefen. In meinem Kopf war es wie bei einem Karussell, alle Gedanken waren durcheinander. Gänse darf man nicht lieb haben, sie muss man töten, wenn sie groß sind.
Ein Schwein, das ein Freund ist, darf man essen, oder gegen andere Dinge eintauschen, das war zu viel für heute. Wie eine Schlafwandlerin ging ich, ohne etwas zu essen, in mein Bett, unter Tränen schlief ich doch noch ein. In den Schweinestall ging ich nie mehr, obwohl mir Mutti gesagt hatte, dass das Schwein leider an seiner Krankheit gestorben war. Es hätte eine Schweinekrankheit gehabt, die man Rotlauf nennt.
Ich wurde größer, älter, erwachsener, lernte, mit den Tieren zu leben. Lernte auch, dass es Nutztiere und Streicheltiere gab. Ich musste ebenso lernen, dass man sich manchmal von einem Tier trennen musste.
Inzwischen waren viele Jahre vergangen. Meine Pflegeeltern, meinen Bruder Albrecht, auch das Gut, habe ich verlassen. Warum wirst du dich nun fragen?
Doch das ist eine ganz andere Geschichte.
Es war das Jahr 1958
Erwachsen war ich geworden, das heißt, dass ich nun schon 18 Jahre jung war. Erwachsen war ich noch lange nicht. Von dieser großen Welt hatte ich keine Ahnung. Und aus dem Elternhaus meiner Mama war ich bei Nacht und Nebel weggelaufen. Ja, ich bin wegelaufen, denn in meinem Elternhaus passierten schlimme Dinge, über die ich jetzt nicht sprechen möchte. Das ist eine andere Geschichte.
Bei diesem Weglaufen lernte ich einen Mann kennen, der 20 Jahre älter war als ich. Mit ihm lebte ich von nun an zusammen. Sein Name war Erich Simon. Wir wohnten in einer schönen Wohnung auf der Königsallee in Düsseldorf.
Eines Tages, es war fast ein Jahr vergangen, stellte Erich fest, dass mir ein Tier zum Streicheln fehlte. Nicht nur ein Tier fehlte mir, auch die Wälder und Wiesen standen auf meiner Vermisstenliste. Da Erich Mitleid mit mir hatte, machte er sich Gedanken, wie er mir helfen konnte.
Das Schicksal wollte, dass ich wieder einen neuen Freund bekam, einen kleinen, weißen Pudel.
Nun aber erst einmal etwas über diesen kleinen, weißen Hund. Er hatte fünf Geschwister, davon war er der Kleinste, der Schwächste, der Hässlichste, niemand wollte ihn haben. Ja, er war ein kleiner, weißer, reinrassiger Pudel. Sein Frauchen war sehr unglücklich, dass er als sechster Hund noch geboren wurde. Doch seine Hundemama gab ihm Milch und war genauso lieb zu ihm wie zu seinen Geschwistern.
Als er geboren wurde, sagte der Pudelverband, dass es immer nur fünf Hunde in einem Wurf geben darf. Wenn aber einer mehr geboren wird, soll der ganze Wurf nicht anerkannt werden.
Du hörst schon, auch kleine Tiere könnten viel erzählen. Und da dieses kleine Wesen nicht sprechen kann, mache ich es für ihn.
Da sein Frauchen Geld mit den Hunden verdienen wollte, musste sie diesen kleinen, weißen Hund verschweigen. Somit war er einfach nicht da. Keiner aus seiner Menschenfamilie wollte ihn behalten, er sollte irgendwie verschwinden. So haben ihn seine Menschen auch behandelt, keiner war lieb zu ihm, keiner streichelte ihn.
Er aber wusste von all dem nichts. Er spielte mit seinen Geschwistern und wenn er vom Spielen mit ihnen müde geworden war, kuschelte er sich an sie.
Eines Tages kam ich. Einen Karton Wein sollte ich hier abgeben.
Da stellte mir die Frau ihre Hunde vor. Nur ein Hund wurde in ein anderes Zimmer geschoben, den sollte ich nicht sehen. Dabei war er doch auch so schön weiß und lieb wie die anderen, dachte ich.
Dieses Wegsperren ließ sich der kleine Hund nicht gefallen, er piepste, so laut er konnte. Gerne hätte er gebellt, doch dafür war er noch zu klein. Doch ich hatte das Piepsen gehört und bat die Frau, mir den kleinen, piepsenden Hund zu zeigen.
Da wurde plötzlich die Türe geöffnet, der kleine Hund stürzte herein zu den anderen. Nein, sagte die Frau, den kann ich ihnen nicht verkaufen, den können sie geschenkt bekommen. Wie kam sie darauf, dass ich einen Hund kaufen wollte? Ich sollte doch nur den Wein abgeben. Ich bückte mich zu dem kleinen Hund hinunter, nahm ihn in meine Arme und hatte plötzlich das Gefühl, er fühlte sich wohl auf meinem Arm.