Die Mauer der Götter 1: Drachenzeichen. Alfred Bekker
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Dort, wo die Mauer an das Ufer stieß, ragte die Mauer, dem Himmel sei Dank, sicherlich noch dreißig Mannlängen in die Höhe, doch gleich daneben hatten sich die Erd- und Steinmassen bis an die Mauer herangeschoben und in unregelmäßigen Schüben den Raum vor der Mauer aufgefüllt.
Der heiße Atem der Drachen konnte sogar den Fels zum Schmelzen bringen, hieß es in den Legenden der Alten. Dann wandelte sich der Stein und floss dahin wie geschmolzenes Metall.
Hiro blickte auf das unbekannte Land hinaus.
Auf das Land, das jetzt den Drachen allein gehörte.
Unfruchtbar lag es vor und unter ihm, eine einzige Steinwüste, unruhig, durchsetzt von großen und kleineren Steinblöcken, manchmal lagen riesige Blöcke ohne einen ersichtlichen Grund einfach so in der Gegend.
Man konnte sich vorstellen, dass dieser Grund und Boden noch vor nicht allzu langer Zeit ein flüssiger Lavestrom gewesen war - und vielleicht auch wieder werden würde.
Aufgeweicht, verdammt und wieder in der Erstarrung gefangen.
Soweit das Auge blicken konnte, lag das Land öde und verlassen unter ihm. Keine Pflanze, kein Baum, kein Bach oder irgendetwas, das Leben verriet, unterbrach diese Monotonie. Weiter entfernt konnte er die Gipfel der Berge sehen, die mächtig in die Höhe ragten. Auf den Wipfeln schien Schnee zu liegen, so hoch waren sie. In Form eines Halbkreises umgaben sie das Land vor der Halbinsel Aldanon.
Dort und hinter ihnen sollten die Drachen leben.
Angestrengt blickte Hiro zu den Bergen hinüber. Vielleicht konnte er einen Drachen erspähen, konnte seinen feuerspeienden Odem ausmachen, aber alles, was er entdeckte, waren dünne Rauchsäulen, die von den Spitzen mancher Berge gegen den Himmel strebten. Hiro konnte das nicht richtig zuordnen, was er sah. Am besten war es wohl, wenn er auf seinen Vater wartete. Der würde ihm erklären können, was es damit auf sich hatte.
Wenig später kam auch sein Vater oben an. Auch er atmete schwer und im Gegensatz zu Hiro sah man ihm die Anstrengung an, die es ihn gekostet hatte, die vielen Stufen zu ersteigen, doch er erholte sich erstaunlich schnell.
"Hast du über die Mauer geblickt?", fragte Coling seinen Sohn.
Hiro nickte.
"Dann hast du den Unterschied bemerkt", sagte Coling und deutete mit der Hand Richtung Süden. "Lass uns ein Stück auf der Mauer gehen."
"Sind dafür die Drachen verantwortlich? Hast du jemals einen gesehen?"
"Ich sehe, was sie bewirkt haben. Und ich kann mir ausrechnen, wie lange es noch dauert, bis sie die Mauer überwältigt haben."
"Weshalb baut man sie nicht höher?"
"Noch haben die Bewahrer mehr Fürsprecher bei den Mächtigen."
"Weshalb sollen die Götter zurückkehren? Sie haben sich seit Jahrhunderten nicht mehr blicken lassen. Es schaut fast so aus, als haben sie kein Interesse mehr an uns."
"Was du hier mit so wenigen Worten aussprichst, mein Sohn, ist für Embadan Sprengstoff. Aus deinem Mund spricht der Glaube der Baumeister. Das sind die Worte, die ich Zuhause wohl öfters habe fallen lassen und die du mitbekommen hast. Pass auf, dass dich kein Bewahrer diese Worte sagen hört, denn dann hast du eine Anklage wegen Häresie zu erwarten. Sie schrecken selbst nicht davor zurück, Kinder anzuklagen. In dem Glauben der Bewahrer ist die Rückkehr der Götter vorhergesagt, wenn die Not zurückkehrt."
Hiro sah schuldbewusst zu seinem Vater auf.
"Dabei wäre es so einfach, ein paar Steine übereinander zu türmen ..."
"Es klingt einfach, mein Sohn, leider ist es etwas komplizierter. Wie jedes Bauwerk benötigt auch ein neuer Mauerabschnitt ein solides Fundament. Und bei dieser Mauer brauchen wir ein doppeltes Fundament. Eines für die Steine und eines für die Bewohner von Aldanon."
Ihr Gespräch setzte sich fort, widmete sich aber bald anderen alltäglichen Dingen.
Hiro genoss die Aussicht über Aldanon. Von hier oben wirkten die Häuser wie die Spielzeugklötze, mit denen auch er als kleines Kind gespielt und seine Fähigkeiten als Baumeister getestet hatte. Er erinnerte sich noch daran, welche Freude es ihm jedes Mal bereitet hatte, wenn sein Vater ihn deswegen gelobt hatte, wenn ihm ein besonders stabiler Bau geglückt war.
Er suchte sein Elternhaus, und als er es gefunden hatte, verfolgte er mit den Augen die Wege, die er stets ging. Von hier oben sah alles so friedlich aus – und geordnet, als ob es weder Zwist noch Intrigen gäbe, welche die Menschen ständig auf Trab hielten. Dann versuchte Hiro, ein Geräusch aufzunehmen, aber er war zu weit entfernt. Vielleicht wirkte alles nur deshalb so friedlich, weil einer seiner Sinne keine Eindrücke aufnehmen konnte. Das Zetern der ungeduldigen Erwachsenen, wenn ihnen die Kinder zwischen den Beinen hindurchliefen, das Feilschen der Händler und Käufer um den Kaufpreis, und ...Da fehlte noch die Hälfte des Klangbildes, denn die weiblichen Stimmen waren schriller, durchdringender. Sie vervollständigten erst das Bild des Treibens in der Stadt. All diese Eindrücke vermisste er.
Auf der anderen Seite, dem Großen Land zugewandt, änderte sich die Landschaft nicht wesentlich. Abwechslung zeigte sich höchstens darin, bis in welche Höhe sich die Lava aufgeschichtet hatte. Die Ströme gaben höchstens Rückschluss, wie heftig die Kämpfe der Drachen gewesen sein mussten. Manchmal reichte der Lavafluss nur wenige Armlängen die Mauer empor, aber je weiter sie bis in die Mitte der Mauer kamen, umso mehr Stellen gab es, an denen nur mehr wenige Schritt freie Mauer zu sehen waren.
Dann, nachdem sie gut 1000 Schritt zurückgelegt hatten, tauchten vor ihnen die ersten Menschen auf, die ebenfalls die Mauer bestiegen hatten. Auch sie strömten der Südgrenze der Mauer zu.
Coling erkannte bereits von Weitem Hughar und dessen Sohn Ulanor. Ulanor war zwei Jahre älter als Hiro und ein durchtriebenes Bürschchen. Er ließ sich absolut nichts sagen. Er war ein Fanatiker und besaß seinen eigenen Kopf. Mit Hughar, seinem Vater, konnte Coling sich immerhin unterhalten, ohne dass sie sich ständig an die Kehle gingen. Das war auch gut so, denn Hughar war sein Gegenüber in Glaubensfragen. Er, Coling, stand den Baumeistern vor, Hughar führte die Wartenden. Er war der Bremser, der verhinderte, dass die Ausbesserungsarbeiten an der Mauer der Götter endlich in Angriff genommen werden konnten - zumindest war das die Ansicht von Coling.
Kaum hatte ihn Hughar erspäht, als er stehenblieb und auf Coling und Hiro wartete. Ulanor drängte zwar zum schnellen Weitergehen, aber noch konnte ihn sein Vater bändigen. "Was willst du mit denen denn bereden?", fragte der junge Ulanor herablassend.
"Lerne etwas Diplomatie, Sohn", sagte Hughar.
"Wir leben nicht alleine auf der Welt. So schadet es nie, wenn man weiß, was andere über eine Sache denken, selbst wenn man sie als politische und religiöse Gegner einstuft."
"Du vertrödelst nur deine Zeit, Vater. Ich denke, mein Weg führt schneller ans Ziel!"
"Und wie sieht dein Weg aus, Junge?" Die Frage war nicht ernst gemeint. Hughar wusste genau, welcher Weg seinem Sohn vorschwebte, deshalb klang sein Ton spöttisch.
"Wer die Macht hat, der bestimmt!", stellte Ulanor fest.
"Die Macht besitzt der Hochkönig, und der hört kaum auf einen zwölfjährigen Knaben", brachte