Sommer Krimi Koffer 2021 - 12 Romane. Alfred Bekker
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Er besaß in diesem Moment nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem alternden, jovialen Tabakladenbesitzer in einem halb verfallenen Haus, den er bislang verkörpert hatte. Hinter den Brillengläsern blitzten seine Augen scharf, wachsam, höhnisch und feindselig. Ich sah, dass sein Finger am Druckpunkt des Abzugs lag.
Ich ließ den Hörer sinken. "Was soll das?", fragte ich und hatte Mühe, meinen Triumph zu verbergen.
Er atmete heftig. "Sie haben meinen besten Mann umgelegt. Das zahle ich Ihnen heim."
"Er wurde aus dem Dunkel heraus erschossen."
"Niemand aus dieser Gegend würde es wagen, auf Wolfgang Krause zu schießen."
"Natürlich", sagte ich langsam. "Wer hat schon den Mut, sich mit einem Mörder anzulegen?"
Seine Augen wurden schmal. Mein Triumphgefühl schrumpfte merklich zusammen. Wenn Weissner jetzt und hier abdrückte, hatte ich mich zu früh gefreut, dann konnte ich die Früchte meines Komplotts nicht mehr ernten.
"Was wissen Sie von mir?", fragte er. "Nichts!"
"Irrtum."
"Wenn ich Sie jetzt umlege, kann ich behaupten, in Notwehr gehandelt zu haben."
"Erwarten Sie im Ernst, dass man Ihnen das glaubt?"
"Ja, das erwarte ich. Ich bin nicht vorbestraft. Ich habe gerade gehört, dass mein Angestellter getötet wurde... Ich habe das Recht, in Ihnen den Mörder zu sehen."
"Aber Sie wissen es natürlich besser."
"Nein", sagte er und atmete mit offenem Mund, so dass man seine schlechten, braunen Zähne sehen konnte, "das ist nicht der Fall. Aber ich komme noch dahinter, verlassen Sie sich darauf."
"Ich könnte Ihnen sagen, wer als Mörder in Betracht kommt."
"Raus mit der Sprache!"
"Erst möchte ich hören, ob Karla noch lebt."
"Keine Angst, ihr ist noch nichts geschehen."
"Wo ist sie?"
"Sie erwarten hoffentlich nicht, dass ich darauf antworte", höhnte er.
Den gleichen Satz hatte ich schon einmal gehört, erst heute Abend. Aber von wem?
"War Wolfgang einmal mit Erika befreundet?", fragte ich.
"Nein", sagte er.
Mir fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen.
"Aber Sie hatten was mit dem Mädchen..."
Er grinste schmutzig. "Sicher", sagte er. "In gewisser Weise war ich schon immer der ungekrönte König dieses Viertels. Ich bin der Mann, der einen Laden und ein paar Häuser besitzt. Ich entscheide über Kredite und verleihe Geld, ich übe Macht aus. Glauben Sie mir, Herr Raboi: Einer wie ich hatte es leicht, auch Frauen zu erobern. Das galt auch für die hübsche Erika..."
"War das vor Michael Krawulkes Zeit?"
"Oh ja. Erika war fast noch ein Kind, als ich sie zu meiner kurzfristigen Geliebten machte. Ich entdeckte rasch, wie klug, ja, richtig intelligent war sie... Formbar wie eine Knetmasse. Das machte ich mir zunutze."
"Ich weiß", sagte ich. "Sie erhoben Erika zu einer Mitarbeiterin in Ihrer Menschenschmuggel-Organisation. Es ist gewiss nicht einfach, jemand ungesehen außer Landes zu bringen. Bis der entsprechende Transport sichergestellt war, brachten Sie gewisse Spitzenleute bei Erika unter. Der Boiler in Erikas Badezimmer wurde vermutlich nur selten benutzt, aber diente ganz offenkundig dem Zweck, im Notfall ein besonders gutes Versteck zu bieten."
"Weiter", sagte er grimmig. "Ich bewundere Ihre Kombinationsgabe."
"Die sollten Sie eher fürchten", sagte ich.
"Ich habe Sie vor meiner Kanone", höhnte er. "Diese letzte Runde geht an mich."
"Die letzte Runde hat erst begonnen", stellte ich klar.
"Sie sollten den Gong abwarten."
"Den Gong halte ich in meiner Hand", spottete er.
"Sie schulden mir noch ein paar Erklärungen."
"Ich schulde Ihnen gar nichts. Nichts außer etwas Blei."
"Langsam, langsam. Ich laufe Ihnen nicht davon. Bleiben wir beim Thema. Wie viele Leute haben Sie schon außer Landes bringen lassen?"
"Was sagt Ihnen schon eine Ziffer? Hier ging es niemals um Quantität, sondern immer um Qualität."
"Das kann ich mir denken", sagte ich, "aber Sie werden nicht oft Leute von Frank Steinfurts Bedeutung auf Ihre Transportliste gesetzt haben."
"Ach, wissen Sie", sagte er, "über Bedeutung und Nichtbedeutung habe ich mir selten den Kopf zerbrochen. Mir genügte es, für einen reibungslosen, organisatorischen Ablauf zu sorgen."
"Dabei unterlief Ihnen eine gravierende Panne", stellte ich fest.
"Ja", gab er zu. "Aber ich konnte einfach nicht voraussehen, dass Erika sich in Steinfurt verlieben würde..."
"Damit geriet plötzlich alles ins Wanken", vermutete ich.
"Die beiden wollten heiraten und im Lande bleiben. Das machte Ihnen einen Strich durch die Rechnung..."
"Erraten", sagte er. "Private Gefühle haben in meiner Organisation keinen Platz."
"Also ließen Sie Erika abservieren."
"Richtig. Franky Steinfurt gegenüber mussten wir natürlich den Schein wahren. Er darf nicht herausbekommen, dass wir das Mädchen erledigt haben, aber er fängt an, sich Gedanken über das Motiv zu machen. Er weigert sich, das Land zu verlassen."
"Weshalb war oder ist Franky Steinfurt bereit, sein Land zu verraten?"
"Er ist einer von diesen dusseligen Idealisten, nehme ich an", höhnte Weissner. "Er glaubt, dem Weltfrieden am besten zu dienen, wenn er sein Wissen auch den Gegnern dieses Landes zur Verfügung stellt. Und das Vorhaben, an dem er mitarbeitete, würde gewiss nicht dazu dienen, den Weltfrieden zu bewahren. Das Flugzeug, das in aller Heimlichkeit entwickelt wird, kann große Entfernungen überwinden und wird mit Waffen ausgestattet sein, die alles bisherige in den Schatten stellen. Vielleicht bekommen Sie so eine Ahnung um die Größe des Geschäftes, um das es hier geht."
"Wer hat ihn dazu gebracht, diesen Weg einzuschlagen?", wollte ich wissen.