Frühlingstochter. Isolde Kakoschky
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Schmunzelnd blieb sie stehen, als sie eine kleine Menschenansammlung vor einem Restaurant bemerkte, wo ein Brautpaar mit der Säge gegen einen dicken Baumstamm kämpfte. Von der Hochzeitsgesellschaft, aber auch von den Passanten kamen mehr oder minder gut gemeinte Ratschläge, die das junge Paar mit Lachen quittierte. Und um den Sägebock herum sprangen drei Mädchen in weißen Rüschenkleidern, wohl die Blumenkinder.
Mit einem Ruck wandte sich Manuela von dem Bild ab. Nur einmal in ihrer Kindheit hatte sie sich als etwas Besonderes gefühlt. Sie hatte auch solch ein schönes, weißes Rüschenkleid getragen, am Tag ihrer Erstkommunion. Es war nicht wichtig, dass zwölf Jahre vorher schon Maria das Kleid angehabt hatte. Sie war die Hauptperson und an diesem Tag hatten die Augen ihres Vaters voller Stolz und Andacht auf ihr geruht. Nun war sie ein ordentliches Mitglied der Glaubensgemeinschaft. Vorher hatte Manuela ihre erste Beichte abgelegt, bei der sie gar nicht gewusst hatte, was sie überhaupt beichten sollte. Ihre Angst vor den Strafen des Vaters bei den kleinsten Verfehlungen war so groß, dass sie überhaupt nicht in der Lage war, eine Sünde zu begehen, jedenfalls nicht mit neun Jahren. Als sie Jahre später wirklich sündigte, da war die Strafe grausam, von ihrem Vater, und in ihren Augen auch von Gott.
So in Gedanken versunken hatte Manuela den Parkplatz wieder erreicht. Sie startete das Auto und begab sich auf die Heimfahrt. Nun ging es stetig bergab. Als die Buchenwälder den Blick freigaben, sah sie in der Ferne das Kyffhäuser-Gebirge, auf dessen Höhenrücken sich das Kyffhäuser-Denkmal direkt an der Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Thüringen erhob. Auch dorthin hatten sie die Fahrten mit Mann und Sohn geführt. Das musste sie sich eingestehen, in ihrer Ehe hatte sie viel mehr erlebt und gesehen, als in der gesamten Zeit davor. Und jetzt bestimmte ihre Enkeltochter die Ausflugsziele. Morgen sollte es in den Zoo gehen. Hoffentlich blieb das Wetter schön.
3. Kapitel
Kaum hatte Manuela das Auto auf dem Parkplatz vor dem Hochhaus abgestellt, begann auf dem Beifahrersitz ihre Handtasche zu vibrieren und der Klingelton des Smartphones schallte durch das Fahrzeug.
»Hallo Mom, wo erwische ich dich denn?«, vernahm sie die Stimme von Kai.
»Jetzt bin ich so gut wie zuhause, ich stehe gerade unten auf dem Parkplatz«, erwiderte sie. »Ich habe einen Ausflug in den Harz gemacht«, fügte sie gleich an, ehe ihr Sohn weitere Fragen stellen konnte.
Er wunderte sich aber dennoch. »Davon hast du ja gar nichts gesagt.«
»Ja, das war ein spontaner Einfall, muss auch mal sein«, versuchte sie eine Erklärung und war froh, dass ihr Sohn nicht weiter nachhakte. Stattdessen lenkte er das Gespräch auf den Sonntag und ihren geplanten Zoobesuch.
»Gehen wir zu dir oder zu mir?«, ging sie locker auf das Thema ein, und meinte damit den Zoo in Halle oder in Leipzig. »Was sagt denn der Wettermann?«
»Ich denke, fast wie heute, nicht so warm, aber freundlich«, verkündete Kai. »Wir können den Plan A beibehalten und kommen rüber nach Halle.«
Manuela war es recht. Der Hallesche Bergzoo war wunderschön gelegen und bot alles, was ein Kinderherz erfreuen konnte. Allerdings war es immer gut,
auch noch einen Plan B in der Hinterhand zu haben. Als Stella am vorigen Sonntag beim Kaffee trinken mitbekommen hatte, dass sich ihre Eltern und die Oma über einen Besuch im Zoo unterhielten, war sie nicht mehr zu bremsen. Den Ausflug zu verschieben oder gar abzusagen, wäre dann gar keine Option gewesen. Im Leipziger Zoo konnte man schon eher witterungsunabhängig ein paar Stunden verbringen. Selbst wenn Stella den Zoo schon kannte, so war doch in ihren Augen der letzte Besuch schon sooo lange her.
»Mom, bist du noch dran?«
»Ja, ja!«, beeilte sich Manuela zu versichern. Sie war so in Gedanken gewesen, dass sie glatt vergessen hatte, ihrem Sohn zu antworten. »Gut, dann treffen wir uns elf Uhr am Eingang. Ich komme mit der Straßenbahn. Grüß Nina und gib unserem Sternchen einen Kuss!«
»Mach ich. Bis morgen dann!«, verabschiedete sich nun auch ihr Sohn.
Manuela steckte das Smartphone zurück in ihre Tasche und stieg aus. Sie blickte an der Fassade hinauf. So hatte sie vor über 30 Jahren hier gestanden und hoffnungsvoll ihr neue Zuhause betrachtet. Noch immer lebte sie gerne hier. Schöne Architektur war sicherlich etwas anderes, aber mit dieser neuen Stadt auf den Angersdorfer Wiesen vor den Toren von Halle hatten viele Familien guten, modern ausgestatteten und damals sehr preiswerten Wohnraum gefunden. Und die ypsilonförmigen Hochhäuser hoben sich zu-
mindest optisch schon damals vom grauen Einerlei ab. Die Preise hatten sich längst dem Markt angepasst, einiges war umgebaut worden, aber Manuela konnte sich die Wohnung von ihrem Gehalt gut leisten. Nach ihrer Lehre hatte sie ein Studium begonnen und nach dem Abschluss eine Arbeit in leitender Stellung im Chemiewerk aufgenommen. Schon damals hatte sie gut verdient. Nein, materielle Probleme hatte sie eigentlich nie gekannt. Was sie manchmal in der Nacht aufschrecken ließ, das waren ganz andere Fragen, Schatten aus einer Zeit lange vorher.
Grübelnd saß Manuela später vor dem Fernseher. Das Programm lief im Hintergrund an ihr vorbei, ohne dass sie etwas davon mitbekam. Was hatte sie heute erreicht?, fragte sie sich. Eigentlich nicht viel. Und doch war es ein großer Schritt gewesen. Vielleicht der erste Schritt auf einem richtigen Weg. Sie griff zum Handy und scrollte in den Kontakten zu »M«. M wie Maria. Ihre Schwester war die Einzige, die alles wusste und mit der sie reden konnte.
»Hallo Maria, ich hoffe, ich störe nicht«, begrüßte sie ihre Schwester.
»Aber nein, du störst doch nie, meine Kleine. Im Fernsehen läuft sowieso nichts Gescheites. Was gibt es also? Wie geht´s in der Heimat?« Für Maria schien alles Heimat zu sein, was östlich vom Brocken lag.
»Heimat ist das richtige Stichwort«, erwiderte Manuela. »Ich war heute in Hettstedt.« Durch die Stille spürte Manuela, wie sich Maria um Fassung bemühte. »Ich war an Mutters Grab. Es ist alles ordentlich und schön bepflanzt. Einen Strauß frische Blumen habe ich hingestellt, bin ja auch so selten da.«
»Das klingt wie eine Entschuldigung«, entgegnete Maria, »aber das musst du nicht. Ich finde es toll, dass du den Mut hast, überhaupt wieder dorthin zu fahren, für mich ist der Fall abgeschlossen.«
»Weißt du, Maria, das habe ich auch gedacht. Doch er ist tot, er kann uns nichts mehr vorschreiben. Ich will mich nicht bis zum Lebensende von ihm unterdrücken lassen. Ich weiß noch nicht, wie ich es anstellen soll, aber ich werde mich jetzt auf die Suche machen und alles tun, meine Daniela zu finden.« Manuela hörte, wie Maria tief Luft holte.
»Ich wünsche dir von Herzen, dass du Erfolg hast.« Maria bemühte sich, optimistisch zu klingen und hoffte wirklich für ihre Schwester, dass ihre Suche gut ausging. Doch sie befürchtete eher das Gegenteil und dass Manuela daran zerbrechen könnte.
»Dann wünsche ich euch noch einen schönen Sonntag«, gab Manuela dem Gespräch nun eine neutrale Richtung. »Ich gehe mit Kai, Nina und Stella in den Zoo.«
»Zoo ist bei unseren Enkeln längst Geschichte. Die ziehen eher mit ihren Kumpels um die Häuser, also genieße die Zeit mit Stella richtig!«
»Das