Frühlingstochter. Isolde Kakoschky
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»Bernd schläft vor dem Fernseher,« kommentierte Maria schmunzelnd den derzeitigen Zustand ihres Mannes. »Aber ich richte es aus. Und ruf mich an, wenn es was Neues gibt, jederzeit! Mach´s gut, Schwesterchen!«
»Mach´s gut, Maria!«
Manuela beobachtete, wie sich langsam das Display ihres Handys verdunkelte und schließlich ganz abschaltete. Nachdenklich starrte sie in die Dunkelheit. Hatte sie gerade den Mund zu voll genommen? Doch der Entschluss war gefasst.
4. Kapitel
»Omi, Omi!« Mit einem lauten Schrei stürzte sich Stella in die offenen Arme ihrer Großmutter, die sie liebevoll an sich drückte.
»Na, mein Schatz, hast du denn schönes Wetter bestellt?«
Stella nickte und sah zu ihren Eltern, die ihr aus dem Parkhaus gefolgt waren. »Ja, Papa hat gesagt, wenn die Sonne scheint, gehen wir in den Zoo. Da habe ich mir das ganz doll gewünscht«, bekundete sie im Brustton der Überzeugung und schaute nach oben. »Und siehst du, es hat geholfen!«
Manuela gab ihrer Enkelin einen Kuss auf die Stirn und begrüßte Nina und Kai. »Kann man diesem Kind einen Wunsch abschlagen?« Alle drei lachten. Sie wussten genau, wie Stella ihre Familie um den Finger wickeln konnte. Zum Glück waren ihre Wünsche durchaus kindgemäß und nicht überzogen. Und auf den Tag im Zoo hatte sich nicht nur Stella gefreut. Als Kind war Manuela einmal mit ihrer Schulklasse hier im Zoo gewesen. Sie konnte sich bis heute nicht erklären, warum ihr der Vater das damals erlaubt hatte. Es blieb die einzige Klassenfahrt, an der sie teilnehmen durfte. Umso mehr freute sie sich über jeden Ausflug mit den Kindern.
Kurz darauf hatten alle vier die Kasse passiert. »Wo möchtest du denn zuerst hin?«, wollte Kai von seiner Tochter wissen.
»Zu den Affen!«, kam prompt die Antwort.
»Na dann, sause los, die Treppe hoch und links halten!« Er wusste genau, dass sich der kleine Wirbelwind nicht halten ließ. »Aber dort wartest du bitte auf uns!« Von einem Bein auf das andere hopsend stand Stella ungeduldig am Eingang des Hauses, das die Totenkopfäffchen und die Loris beherbergte. Wenig später konnte sie sich kaum fassen, vor lauter Entzücken über die possierlichen Tierchen, die sogar ganz zutraulich waren. Sie hätten hier wohl Stunden zugebracht, wäre Stella nicht doch noch zu überzeugen gewesen, dass es noch andere Affen hier gab. Nachdem sie auch noch den Schimpansen einen ausgiebigen Besuch abgestattet hatten, war Stella bereit, auch zu den übrigen Tieren zu gehen. Munter rannte sie vor den Erwachsenen her, um aber an jedem Schild zu warten.
»Oma, wie heißt das Tier?«, schien ihr Standardsatz des Tages zu sein, als sie im weiten Bogen um den Berg herum liefen. Zwischendurch ließen sie sich auf einer Bank nieder, während Stella sich zu den Ziegen im Streichelgehege wagte.
»Sie ist so herrlich wissbegierig«, kommentierte Manuela lächelnd das Verhalten ihrer Enkeltochter.
»Oh ja! Und sie freut sich schon sehr auf die Schule«, stimmte Kai seiner Mutter zu. »Obwohl sie ja erst Ende
Juli fünf wird und noch nicht zwangsläufig schulpflichtig wäre, werden wir sie für nächstes Jahr anmelden. Sie ist körperlich und geistig sicher ein halbes Jahr voraus. Ich denke, es ist richtig so.« Nina nickte zu seinen Worten. Sie war der ruhende Gegenpol zu Kai und Stella, die beide recht lebhaft veranlagt waren. Ein wenig erinnerte Nina Manuela an ihre Mutter. Vielleicht wäre alles etwas besser gewesen, wenn ihre Mutter nicht so still gewesen wäre und sich ihrem Mann entgegengestellt hätte. Doch wahrscheinlich sah sie sich ebenso wenig in der Lage dazu, wie ihre Töchter auch.
Manuela riss sich von den trüben Gedanken los. Stella war zur Bank zurück gelaufen. »Ich habe Durst.«
Als hätten alle drei nur auf diesen Satz gewartet, schlugen sie nun den Weg zur Bergterrasse mit dem Bistro ein.
Der Durst schien schon wieder fast vergessen, als Stella den Aussichtsturm erspähte. »Oma, was ist das für ein Turm? Können wir da rauf gehen?«
Ihre Eltern grinsten. Sie kannten die Energie ihrer Kleinen.
»Erst wollen wir doch etwas essen und trinken. Schau nur, dort drüben ist ein Spielplatz. Da kannst du auf dem Piratenschiff klettern. Und dann steigen wir auch noch auf den Turm.«
Während Kai und Nina das Essen zum Tisch brachten, beobachtete Manuela ihre Enkelin, die sofort mit ein paar anderen Kindern den Spielplatz in Beschlag genommen hatte, und schoss mit ihrem Smartphone ein paar Fotos. Sie liebte diese kleinen Erinnerungen auf dem Handy, die sie stets mit sich herum tragen konnte und ansehen, wann immer sie Sehnsucht nach ihren Lieben verspürte. Es gab da noch ein Foto, das sie seit über 40 Jahren bei sich trug und das doch die Sehnsucht nicht stillen konnte. Einige Jahre hatte sie es kaum in die Hand genommen, doch in den letzten Monaten brach alles wieder auf, was sie so lange fest in sich verschlossen hatte.
»Oma komm! Papa hat uns was zu essen hingestellt!« Manuela fühlte die kleine, warme Hand von Stella in ihrer und schüttelte die trüben Gedanken ab. »Natürlich komme ich mit.«
Frisch gestärkt nahm die Familie den versprochenen Turmaufstieg in Angriff. Und oben angekommen, wurde die Mühsal mit einem traumhaften Ausblick über das Saaletal und in die große Freiflugvoliere belohnt. Mit den Vögeln auf einer Höhe, das fühlte sich an, als hätte man selbst Flügel, dachte Manuela. Aber die Vögel hatten einen Käfig um sich, wenn auch einen sehr großen, der sie am freien Fliegen hinderte. Sie war auch in einem Käfig aufgewachsen und beim ersten freien Flugversuch kläglich gescheitert. Manuela schüttelte den Kopf und schalt sich selbst wegen ihrer derzeitigen Sentimentalität.
Nach einer weiteren Spielplatzrunde überzeugten sie Stella, nun auch noch den Bären und den Elefanten einen Besuch abzustatten. Da es direkt daneben ein Café gab, sprang für alle noch eine Portion leckeres Eis heraus. Zu guter Letzt ließ es sich nicht vermeiden, dass sich Stella noch von ihren geliebten Affen verabschieden musste, ehe die vier den Zoo wieder verließen.
»Dann kommt gut heim!«, gab Manuela der kleinen Familie mit auf den Weg. Die Worte waren nicht so dahingesagt. Immer schwang in ihrem Denken eine Angst mit, dass ihrem einzigen Sohn oder ihrer einzigen Enkelin etwas geschehen könnte.
»Du auch!« Kai umarmte seine Mutter und auch Nina drückte sie herzlich.
»Tschüssi, Omi!«
Manuela beugte sich zu Stella herunter und zog sie liebevoll an sich. »Tschüss, mein Sternchen! Und viel Spaß morgen im Kindergarten!«
Sie winkte noch, als die drei schon im Eingang zum Parkhaus verschwunden waren.
Obwohl die Haltestelle der Straßenbahn direkt vor dem Eingang des Zoos lag, beschloss sie, ein Stück zu Fuß zu gehen. Was sollte sie schon allein zuhause? Das milde Frühsommerwetter lud geradezu zu einem Spaziergang ein. Halle war ihre Wahlheimat geworden. Sie mochte die Stadt an der Saale, fühlte sich hier wohl und schätze die Anonymität der Großstadt. Hätte es
damals noch ein Gerede der Leute gegeben, wer weiß, ob sie das ertragen hätte.
Nach einer halben Stunde näherte sie sich dem Markt. Noch vor einem Jahr