Operation Terra 2.0. Andrea Ross
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»Einer der Männer kam näher, lachte höhnisch. »Klar weißt du das, du Schlaumeier! Genau deswegen bist du ja hier! Nur wird dir dieses Wissen nichts mehr nutzen. Sieh ruhig noch ein wenig genauer hin, denn dies werden ohnehin die letzten Bilder sein, die deine neugierigen Augen auf dieser Welt zu sehen bekommen!«
Helle Panik ergriff von Philipps Herz Besitz, hektisch drehte er den Kopf in alle Richtungen. Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben, einigermaßen heil aus diesem Albtraum zu entkommen! Er durfte heute Nacht nicht sterben, schließlich trug er die Verantwortung für eine Großfamilie!
Doch so sehr er sich auch bemühte, er gewahrte zunächst nichts als undurchdringliche Dunkelheit; nirgends blieb sein verzweifelt suchender Blick hängen.
Aus der Schwärze der Nacht schienen sich jetzt menschliche Silhouetten herauszubilden; ab und zu sah Philipp ein Gebiss aufleuchten. Die wogenden Schatten umringten ihn, unterhielten sich leise. War er vielleicht doch in der Hölle gelandet und bei diesen schemenhaften Umrissen handelte es sich um weitere Seelen, die der Verdammnis anheimgefallen waren?
Ein greller Blitz belehrte ihn eines Besseren. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte dieser die unwirkliche Szenerie in ein bläuliches Licht getaucht. Es waren Männer aus Fleisch und Blut, die so unchristlich mit ihm umgingen! Philipp schöpfte ein wenig Hoffnung. Vielleicht konnte er sie von ihrem mörderischen Vorhaben abbringen, indem er eindringlich an die drohende Strafe Gottes gemahnte!
»Wer immer ihr auch sein mögt – bindet mich auf der Stelle los, oder ihr werdet den rasenden Zorn unseres Herrn auf euch ziehen!«, deklamierte er mit fester Stimme.
»Wenn ihr mich jetzt sofort meiner Wege gehen lasst, werde ich keinem Menschen jemals von eurer Verfehlung erzählen! Im Gegenteil, ich will ab sofort jeden Abend für eure armen Seelen beten! Wenn ihr es verlangt, leiste ich sogar einen heiligen Schwur. Bitte … ich habe eine Familie mit sechs Kindern zu versorgen!«, fügte er etwas leiser hinzu.
Eine durchschnittlich große Gestalt löste sich aus der Masse, trat auf Sichtweite vor Philipps Gesicht. Die gleißende Helligkeit des nächsten Blitzes ließ ihn vor Schreck erstarren, denn er blickte geradewegs in Pfarrer Laubenheimers fies grinsende Fratze.
»Ach, du meinst jene sechs Kinder, über deren unfähige Mutter du mir vorhin selbstmitleidig vorgejammert hast? Sieh es mal so: Diese lästige Bürde wird bald für immer und ewig von deinen überlasteten Schultern genommen sein!«, geiferte er schadenfroh.
»Übrigens zieht deine Drohung mit Höllenqualen, Jüngstem Gericht und all diesem Brimborium bei uns überhaupt nicht – die Kirche hat diesen gequirlten Schwachsinn schließlich einst erfunden! Nach zwei Jahrtausenden kann man euch Vollpfosten damit immer noch in Schach halten. Ist das nicht bemerkenswert?«, fragte Laubenheimer ironisch in die Runde.
Ein Teil der Kuttenträger murmelte zustimmend, die anderen konnten sich ein verächtliches Lachen nicht verkneifen.
»Was machen wir jetzt mit dem da? Wir sollten langsam mit der Ansprache beginnen, die Nacht ist kurz! Außerdem ist ein schweres Unwetter im Anzug!«, mahnte ein kleiner korpulenter Pfarrer, der sein Gewand beim Gehen hochraffen musste, um nicht über den Stoff zu stolpern.
Laubenheimer förderte aus seinem Gewand ein Streichholz zutage und entzündete damit eine dicke Kerze, welche die Abbildung eines Kreuzes zierte. Abschließend stülpte er zum Schutz vor dem auffrischenden Wind einen Glassturz darüber.
»Du hast vollkommen recht! Um die Entsorgung von Philipp Emmerson können wir uns später immer noch kümmern. Der läuft uns schon nicht weg!
Kommt, heute können wir es bedenkenlos wagen, die Lichter zu entzünden! Bei diesem beschissenen Wetter sieht man seine Hand vor Augen nicht und während eines Gewitters ist ohnehin niemand freiwillig draußen. Vielleicht empfindet ihr das ähnlich …manchmal geht mir diese beschwerliche Heimlichtuerei ziemlich auf den Wecker!«
So geschah es, dass Philipp zum unfreiwilligen Zeugen einer bizarren Vorstellung wurde, die sein bisheriges Weltbild vollständig in sich zusammenbrechen ließ. Mindestens hundert schwarz vermummte Gestalten trugen Windlichter vor sich her, gruppierten sich um einen kleinen Hügel. Jene von grellen Blitzen illuminierte Szenerie erinnerte insgesamt eher an eine satanische Messe als an eine offizielle Zusammenkunft von Kirchenmännern!
Die Aussichtslosigkeit seiner Lage wurde dem gefangenen Familienvater gleichwohl erst vollumfänglich bewusst, als er wider Willen der Rede des Anführers lauschte; er konnte das Gesagte zwar nur in Bruchstücken verstehen, da inzwischen starker Wind aufgekommen war und das Donnergrollen stetig näherkam – aber was er davon verstand, reichte aus, um ihm den Angstschweiß aus den Poren treten zu lassen.
Eine globale Lüge! Sie waren allesamt einer groß angelegten Verarsche aufgesessen, hatten sich im Namen eines Glaubens gängeln und unterdrücken lassen. Deswegen verlas man also jeden Tag die langen Todeslisten! Wer immer dieser illustren Gesellschaft auf die Schliche kam, musste ohne Ansehen der Person sterben.
Gab es überhaupt einen Gott, hatte Jesus je existiert – oder entsprach auch das nicht der Wahrheit? Philipp weinte bitterlich, so tief war seine Verzweiflung.
» … es hat Gründe, weshalb neuerdings immer mehr Leute unsere Darstellung hinterfragen. Wir haben nun einmal steif und fest behauptet, dass Jesus noch vor Ablauf einer Frist von 2000 Jahren zurückkommen und das Jüngste Gericht einleiten wird. Angeblich ist diese Ankündigung ja sogar tatsächlich so überliefert worden.
Selbst der Dümmste von denen schnallt allmählich, dass die Frist abgelaufen ist! Ich sage es daher noch einmal: Wir müssen irgendeinen uralten Greis als wiedergekehrten Jesus von Nazareth ausgeben und anschließend für eine größere Katastrophe sorgen, um unsere Glaubwürdigkeit nicht vollends zu verlieren!«, referierte der Mann auf dem Hügel.
Ein anderer Pfarrer meldete sich genervt zu Wort. »An diesem Punkt der Diskussion sind wir in den letzten Monaten schon öfters hängengeblieben! Wir sind doch die verschiedenen Möglichkeiten bestimmt hundertmal ergebnislos durchgegangen.
Keine menschengemachte Katastrophe wäre umfangreich genug, dass die Gläubigen deswegen gleich an das gefürchtete Weltenende denken würden! Das meiste davon beträfe uns außerdem selber, und eine Gefährdung der christlichen Kirche und der Mitarbeiter ihres Verwaltungsapparats muss um jeden Preis vermieden werden!«
»Bis gestern war es tatsächlich Fakt, dass uns die passende Lösung zu diesem kniffligen Problem noch fehlte. Aber ich darf euch hier und heute mit Stolz verkünden, dass die päpstlichen Biolabore den lang ersehnten Durchbruch zu vermelden haben. Mich erreichte heute Morgen überraschend die frohe Nachricht, dass wir ab sofort über eine hochwirksame, biologisch hergestellte Waffe verfügen können!«, verkündete der Anführer stolz.
Es musste sich bei dem hageren Mann auf dem Hügel also um den Bischof höchstpersönlich handeln!
Während Philipp, stocksteif vor Entsetzen, seinen Ohren nicht trauen wollte, kam unter den restlichen Zuhörern lautes Gemurmel auf. Erst nachdem ein besonders lauter Donnerschlag die schwatzende Menge zum Verstummen gebracht hatte, fuhr der Bischof genüsslich mit einer Erklärung fort:
»Man hat ein aggressives Virus zum Mutieren gebracht, so dass es keine wirksame Arznei dagegen gibt. Innerhalb kürzester Zeit wird es einen Großteil der Bevölkerung dahinraffen, wodurch auch gleich das Problem der weltweiten Überbevölkerung gelöst sein dürfte.