Die Göttinnen. Heinrich Mann
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"Da irren Hoheit," sagte überlegen die Prinzessin. "Da irren Sie ganz entschieden."
Die Herzogin sprach weiter:
"Der Kaiser Napoleon war um sein Volk sehr besorgt. Paris blühte und ward immer fetter. Ich glaube kaum, dass es dort viele Leute ohne Suppe und wollene Weste gab."
Jemand stöhnte:
"Ah! Paris!"
"Dennoch tobte das Volk unter Krämpfen in diesen überflüssigen und unvernünftigen Krieg hinein. Auf unsern Reisen ist mir manches aufgefallen, doch nichts so sehr wie jener schwarze Tumult, und daraus hervorschreiend im gelben Licht der Gasflammen die bleichen, schwitzenden Gesichter: 'Nach Berlin!' "
"Ah! Paris!"
"Und Hoheit, Sie, die alles bis zuletzt miterlebt haben, können uns aufklären: wo ist Adelaide Troubetzkoi geblieben?"
"Und d'Osmond?"
"Und die Komtesse d'Aulnaie?"
"Und die Zozie?"
Die Herzogin zuckte die Achseln.
"Die kleine Zozie soll einen Kommunard lieben. Sie steht in den Straßen auf umgeworfenen Schränken und Omnibussen und lädt Flinten."
"Quelle horreur! Auf den Marquis de Châtigny folgt ein Kommunard!"
Madame Paliojoulai sagte bitter:
"Die Vorfälle in Paris sind einfach eine Niedertracht. Sehen Sie doch, mit was für Handschuhen ich gehen muss. Aus Paris bekomme ich schlechterdings keine Handschuhe mehr. Ist es zu glauben?"
"Aber die Friederike hat noch gerade einen Hut erwischt. Sie, Frau Herzogin, den müssen's sehen!" rief erregt Prinz Phili.
Plötzlich schrien alle durcheinander. Die Damen wiesen mit hastigen Griffen ihre Fächer, ihre Spitzen, ihre Armbänder vor. Percossini versuchte, eifrig plaudernd, gemeinsame Erinnerungen an festliche Tage in der Herzogin wachzurufen. Der Prinzessin farbloser Kopf bekam einen rosa Hauch. Paliojoulai und Tintinovitsch mahnten einander mit männlich zurückgedrängter Wehmut an gewisse Spiellokale, die sie beide kannten, und an die ihnen beiden vertrauten Alkoven gewisser Damen. Der Name Paris elektrisierte ihre in der schweren Luft einer weit entlegenen Provinz ermatteten Herzen. Die Lichtstadt ließ hierher an ein fernes Meer ihren Nimbus leuchten als ein Märchen, als eine Fabelsehnsucht. Sie ward unter diesen östlichen Menschen genannt, und es war, als wenn die Kinder des Westens Geschichten lauschten von Tausend und einer Nacht. Und kaum von einer Pariser Reise heimgekehrt, dachten zur Bezahlung der nächsten diese Damen an ersparte Mittagsessen und nicht erneuerte Unterkleidung, diese Kavaliere an Totalisator und Baccarattische, diese Fürsten an das Volk.
Prinzessin Fatme hob mit der Anstrengung eines Athleten ihr schweres Bein auf einen Stuhl und lud jedermann ein, sich zu überzeugen, dass ihr weicher Lederschuh sich bis dicht unters Knie um die Wade schmiege. "Das ist Paris," sagte sie andächtig. Um wieder den Boden zu erreichen, hing sie sich voll und lastend um die Schulter des Thronfolgers, der neugierig über sie gebeugt stand. Er entwand sich, halb erstickt, der schönen Frau. Er führte das Taschentuch an die Stirn und murmelte unsicher, mit einem schiefen Blick auf von Hinnerich:
"I mag ka Weib."
Noch stark angegriffen, schrie er mit gewaltsamer Munterkeit:
"Frau Herzogin, was sagen Sie denn zu unserer Fatme? Ist sie nicht ein lieber Schneck?"
Sie reichte der Türkin die Hand.
"Gnädige Frau, von allen Meinungen, die vorhin geäußert sind, hat mir Ihre am besten gefallen. Sie war echt."
"Hoheit ist zu freundlich," erwiderte Fatme mit süßem Kinderlächeln. Phili flüsterte.
"Na, die andern haben schon strohdumm dahergeredet. Hoheit wissen ja: wenn ich könnte … Man erlaubt zur leider nichts, aber mit den andern bin ich nicht im Verwechseln, da muss ich schon bitten. Die Friederike schwätzt, was Platz hat…"
Fatme fiel ein.
"Nichts gegen Ihre Gemahlin, königliche Hoheit. Sie ist meine liebe Freundin."
"Weil ihr beide so liebe Männer habt. Drum hockt ihr immer beisammen und erzählt euch, wie's euch so wohl ist."
"Ich möchte den Pascha kennen lernen," sagte die Herzogin.
"Ich bring' ihn zu Ihnen, Hoheit. oh, er ist stark und energisch," erklärte Fatme mit Ehrfurcht.
"Ganz den Eindruck hat er mir auch in Ihrer Erzählung gemacht."
Fatme seufzte.
"Leider ist er mir untreu, — gerade wie der da meiner armen Friederike."
"Da schaut's die an!" rief Phili. "Habt's denn ihr euch gegen die bestehende Ordnung der Dinge zu empören? Der Pascha hat seinen Harem, das ist ja recht, und ich hab' auch meinen Harem."
"Sie auch, königliche Hoheit?"
"Kann ich denn nicht alle miteinander haben? Die Paliojoulai, die Tintinovitsch, was meinen's denn? Die Schnaken will mi a! 's scheniert mich ordentlich, wenn sie's vor der ganzen Gesellschaft durchblicken lassen. Der Percossini ist auch ein Lump. Immer hat er Mädeln, die er mir anbietet. Ah was —"
Er wandte sich halb ab und sah, das blasse Händchen im dünnen Backenbart, schmollend zu Boden.
"I mag ka Weib."
Fatme seufzte wieder, in Gedanken verloren.
"Wenn ich ihm nur auch einmal untreu sein könnte."
"Dem Pascha?" fragte die Herzogin. "Sie lieben doch Ihren Gemahl, gnädige Frau?"
"Eben darum. Er soll's einmal merken, wie das tut. Aber das ist ja das Unglück, es geht nicht. Was ich hier anstelle, unter den Christen, in Pariser Toiletten, das ist dem Manne ganz gleich."
"Wirklich?"
"Nur im Harem, da leidet er's nicht, da darf nichts vorkommen."
"Ach nein," meinte Phili, aufs neue angeregt.
"Drum möcht' ich so gern einen Mann in den Harem bringen."
"So gern," wiederholte sie mit gefalteten Händen.
"Ach gehn's, nehmen's mi mit," bat der Prinz.
"Der Pascha hat wohl einen krummen Säbel?" fragte lächelnd die