Liberale Demokratie in schwierigen Zeiten. Jens Hacke

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Liberale Demokratie in schwierigen Zeiten - Jens Hacke

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weit größerer Berechtigung zu. Extensiv wird über alles Mögliche spekuliert. Sogar Webers Ableben wird mythisch gedeutet: „Es dürfte kein Zufall sein, dass Max Weber gerade mal fünf Monate nach dem Tod seiner Mutter stirbt.“ Beckmesserisch könnte man Kaesler vorhalten, dass es acht Monate waren, aber das ist dann auch egal, denn insgesamt „gewinnt man den Eindruck, dass er innerlich an sein Ende gekommen war“. Zugleich erkannte Weber, „dass Else Jaffé die Liebe seines Lebens war“. Der „Muttersohn“ folgt trotzdem lebenssatt der Mama in den Tod? Solche auf vielen Seiten ausgebreiteten Trivialitäten sind deswegen erwähnenswert, weil Kaeslers Buch den Leser zwar mit Fakten erschlägt, aber vor allem in den Werkdeutungen langatmig und oberflächlich bleibt. Die Identifikation mit dem Gegenstand führt bei Kaesler zur hagiographischen Umkreisung seines Helden.

      Distanzlosigkeit ist Jürgen Kaubes abgeklärter, souverän komponierter Weber-Biographie gewiss nicht vorzuhalten. Mit der Könnerschaft des profunden Wissenschaftsjournalisten arrangiert der FAZ-Redakteur Kaube Werk und Werdegang in fein gearbeiteten, pointensicheren Kurzkapiteln. Als „Leben zwischen den Epochen“ macht Kaube Webers Erfahrungen von Ungleichzeitigkeiten und Bruchlinien plausibel. Privat ging für Weber „alles zu langsam, gesellschaftlich alles zu schnell“. Kaube arbeitet Webers epigonales Selbstverständnis heraus: Obwohl er sich emphatisch als Mitglied der „bürgerlichen Klassen“ bekannte, kam er nicht umhin, „den Geist liberalen Bürgertums fast nur noch in Erinnerungen an seine vergangene Größe repräsentiert“ zu sehen. Eine vergangene Größe, von der Weber materiell profitierte, aber an deren Maßstab seine eigene bürgerliche Existenz zu Lebzeiten unheroisch wirkte: „kein Buch, keine Kinder, kein Krieg, kein Vermögen, kein Einfluss“.

      In Webers Art, historisch zu denken, werden soziale, wirtschaftliche und religiöse Ursprünge umso fremder, je besser man sie versteht. Das bedeutet für ihn, dass sich Gewissheit und „der unmittelbare Glaube mittels Wissenschaft nicht zurückgewinnen lässt“. Weltanschauung kann weder letzte Gründe noch normative Orientierung liefern, das politische Urteil bleibt zweckgebunden, Interessen und Machtverhältnisse kalkulierend. Max Weber, das zeigt Kaube anschaulich, war ein okkasioneller und reaktiver Denker, der anlassbezogen zu seinen wissenschaftlichen Arbeiten kam: die Struktur der ostelbischen Landwirtschaft, das Börsenwesen, die Lage der bürgerlichen Demokratie in Russland – kein Thema war vor ihm sicher. Die Dynamik der Moderne schlug sich in Ambivalenzerfahrungen nieder – „im Wachstum von Organisationen lauert seiner Meinung nach die Gefahr, dass die befreiende Rationalität in ‚Versteinerung‘ umschlägt. Wie immer bei Weber: Das Gute ist zugleich das Schlechte.“

      Dass ausgerechnet der systemtheoretisch geschulte Soziologe Kaube zum Biographen wird, setzt produktive Energien frei. Sein skeptischer Blick auf Weber, der erst einmal respektlose Zugriff, mit dem Kaube die Eigentümlichkeiten des Weberschen Denkens auseinanderfaltet, scheinen dem Autor seinen Protagonisten am Ende überraschend nahe zu bringen. Im Verzicht auf Geniekult und Pathos gerät auch Kaube in den Sog eines Denkstils, der als Reflexion in Permanenz das Wesen der modernen Welt zu entschlüsseln sucht – nicht mit einer Großtheorie, sondern mit unermüdlichem Erkenntniseifer, historisch und kulturell vergleichendem Blick, Entwicklung von Begriffen und Kategorien, mit der Bereitschaft zur Modifikation früherer Positionen. Womöglich ist Webers heroisches Scheitern bei dem Versuch, die moderne Gesellschaft als Ganzes zu verstehen, intellektuell doch faszinierender als ein ausgekühlter Luhmannianismus, der alles in seine Systembeschreibungen einbaut, ohne den Einfluss von Ideen und Handlungsoptionen noch berücksichtigen zu müssen.

      Webers äußerlich eher ereignisarmes Leben scheint – übrigens ohne tiefergehende Interpretationsdifferenzen – nach diesen drei umfassenden biographischen Arbeiten erschöpfend ausgeleuchtet. Alle Details zum Stammbaum und zur Inneneinrichtung findet man bei Kaesler ohnehin. Radkau und Kaube blicken darüber hinaus zumindest kursorisch auf die Wirkungsgeschichte – und es gibt wenig Anzeichen dafür, dass mit der Historisierung von Leben und Werk das Eigen- und Fortleben von Webers Ideen erledigt wäre. Ein besonderer Reiz läge darin, beispielsweise entlang der Linien einer politiktheoretischen Rezeption Webers eine bundesrepublikanische Ideengeschichte zu entwerfen: zwischen Entscheidungstheorien und Sachzwanglogiken, Konsens- und Konflikttheorien. Ähnliches gilt für die Anverwandlung einer Weberschen Diagnose der Moderne innerhalb der posthistorisch orientierten und wirklichkeitsversessenen Soziologie, wie sie vor allem in den Reihen der Leipziger Schule (Freyer, Gehlen, Schelsky) vertreten wurde. Auch die Debatte um Industriegesellschaft oder Spätkapitalismus steht noch im Schatten Webers. Viele andere religionssoziologische oder wirtschaftsgeschichtliche Nachgeschichten um Weber böten sich an. Während für den privaten Weber im Geflecht seiner Frauen, Krankheiten und Neurosen kaum noch sensationelle Neuigkeiten zu erwarten sind, lehren uns die Auseinandersetzungen mit und über Weber bis heute, ob und wie weit wir uns von ihm entfernt haben. Das muss nicht immer Fortschritt sein, schult aber nach wie vor die Bereitschaft, nach Webers Vorbild wissenschaftlich Rechenschaft abzulegen.

Die Herausforderung des Autoritarismus

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