Liberale Demokratie in schwierigen Zeiten. Jens Hacke

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Liberale Demokratie in schwierigen Zeiten - Jens Hacke

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Liberale in ihrem Selbstverständnis erschüttert: Die noch kaum praktizierte parlamentarische Demokratie sollte revolutionär überwunden werden; Rätesystem und Sozialisierungsforderungen bestimmten die politische Agenda.

       3. Der politische Liberalismus in der Novemberrevolution

      Das „Traumland der Waffenstillstandsperiode“15 und die unübersichtlichen Startbedingungen waren zugleich von Hoffnungen und Befürchtungen geprägt – zwischen Selbstüberschätzung und Desillusionierung auf Seiten der Liberalen. In jedem Fall gab es keine einhellige „Kultur der Niederlage“ (Schivelbusch); es herrschte sogar bisweilen ein politischer Neugestaltungswille, der zu ignorieren schien, dass die Kriegsniederlage empfindliche Einschränkungen und Obligationen mit sich bringen würde. Zum Idealismus von 1918 gehört ein spezifisch deutscher Wilson-Mythos, der vom Glauben an einen demokratischen Neubeginn ohne die Belastungen des Besiegten erfüllt war.16

      Der Riss, der durch das liberale Lager ging, offenbarte sich am deutlichsten in der Neugründung der liberalen Parteien. Zwar kann man hier von der Kontinuität einer Spaltung im liberalen Lager reden, aber sie wurde unter den Vorzeichen der politischen Neuordnung noch einmal verschärft. Und dies geschah, obwohl sich angesichts der nun (aus bürgerlich-liberaler Sicht) drohenden sozialistischen und sozialdemokratischen Dominanz eine Annäherung angeboten hätte.

      Ich kann den Prozess, der zur separaten Gründung von DDP und DVP führte, an dieser Stelle nicht genauer beleuchten.17 Festzuhalten ist, dass sich der Graben zwischen einstigen Annexionisten und Befürwortern eines Verhandlungsfriedens, zwischen Wirtschaftsliberalen und gemäßigt Sozialliberalen, zwischen Republikanern und einstigen Monarchisten vertieft hatte. Die Auseinandersetzung um die Figur Gustav Stresemann, an der sich die Konflikte entzündeten, spielte hier zweifellos eine entscheidende Rolle. Dabei profilierte sich Stresemann recht bald als zukunftsoffener, der parlamentarischen Demokratie durchaus zugewandter Politiker.

      Der sozialliberale Aufbruch wird vor allem durch den Gründungsaufruf der Deutschen Demokratischen Partei vom 16. November 1918 verkörpert. Wenn man sich die beeindruckende Liste der Unterzeichner (und der später Hinzugestoßenen) vor Augen hält, bekommt man einen Eindruck von der intellektuellen Energie und Zuversicht, die damals diese Neugründung begleiteten: Zu den herausgehobenen Persönlichkeiten gehörten Moritz Julius Bonn, Albert Einstein, Heinrich Herkner, Rudolf Mosse, Hugo Preuß, Alfred Weber, Marianne Weber, Theodor Wolff – später kamen Friedrich Naumann, Walther Rathenau, Ernst Troeltsch und Max Weber hinzu. Ich möchte diesen Aufbruch unter drei Stichworten diskutieren: Utopie der Intellektuellenpolitik, sozialliberale Vision, Vernunftrepublikanismus.

      1. Utopie einer intellektuellen Politik: Sicherlich hat es nie zuvor oder danach in Deutschland ein derart hochkarätiges Engagement von angesehenen Intellektuellen für die Demokratie gegeben. Darin lag Chance und Gefahr zugleich. Ohne die linksliberale intellektuelle Mobilisierung ist der überwältigende Wahlerfolg der DDP bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung nicht zu erklären. Niemals wieder hat eine linksliberale Partei über 18 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen können. Die Novemberrevolution war daher auch eine bürgerliche Revolution – dies zeigte nicht nur das Engagement in Bürgerräten18, sondern auch die gestaltende Rolle liberaler Politiker und Intellektueller im Prozess der Verfassungsgebung.

      Die Hoffnung auf „Philosophenkönige“ spiegelte freilich auch ein überkommenes elitär-liberales Moment. Zwar wollte man sich auf linksliberaler Seite gesellschaftlich öffnen, aber in der Personalrekrutierung und in der partizipativen Ausrichtung dominierten honoratiorenliberale bildungs- und großbürgerliche Tendenzen. Eine in Aussicht gestellte Mittelstandspolitik litt damit von Anfang an am Mangel politischer Repräsentanten, wie Lothar Albertin in seiner Pionierstudie herausgearbeitet hat.19

      2. In gewisser Weise artikulierte der Weimarer Verfassungskonsens zwischen Sozialdemokratie und progressivem Linksliberalismus eine im 20. Jahrhundert nachhaltig wirksame sozialliberale Vision. Sie zielte auf die Einhegung des Kapitalismus, eine gestaltende Rolle des Wohlfahrtsstaates und auf die soziale Demokratie als Leitwert. Im Gründungsmanifest der DDP wurde „die Gestaltung einer neuen sozialen und wirtschaftlichen Politik“ gefordert.20 Das hieß eine völlig neue Perspektivierung der Staatsaufgaben. Liberale forderten nun einen aktiven Staat; Keynes’ später formulierte Einsicht vom Ende des Laissez-faire war auch in Deutschland verbreitet.21 Die Suche nach sogenannten „dritten Wegen“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus hat eine Wurzel in der Weimarer Debatte. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass die anfänglich geäußerte Offenheit gegenüber einer Sozialisierung der Schlüsselindustrien oft mit taktischen Lippenbekenntnissen zu tun hatte, so wurde die Wirtschafts- und Sozialpolitik doch als ein ganz neues Feld begriffen.22

      3. Die lange abschätzig benutzte Formel vom Vernunftrepublikanismus, dem wie im Falle Friedrich Meineckes und einiger anderer ein „Herzensmonarchismus“ vorausging, hat in den letzten Jahren eine Neubewertung erfahren.23 Warum sollte die Parteinahme für die Republik aus Vernunft und Einsicht auch tadelnswert sein? Der undifferenzierte Vorwurf eines liberalen Vernunftrepublikanisus verliert aus dem Blick, wie schnell sich allein zwischen 1918 und 1922 (Marsch auf Rom) der Bezugsrahmen des politischen Denkens wandelte: Zwar finden sich auch schon bei wachen Zeitgenossen wie Ernst Troeltsch Bemerkungen über die Bedrohungslage der Demokratie in der Zange von neuen links- und rechtsextremen Massenbewegungen. Aber es braucht keiner langen Erklärung, um Verständnis dafür aufzubringen, dass im Kaiserreich sozialisierte Vernunftrepublikaner noch ohne Konzept waren, wenn es um die Abwehr neuer rechtsnationaler/faschistischer Republikgegner ging. Allerdings bietet die Ideengeschichte des Liberalismus in Weimar – und darauf haben nicht zuletzt Christoph Gusy und Michael Dreyer hingewiesen – eine reiche Debatte darum, wie sich der demokratische Staat gegen seine Gegner wehren kann.24 Auch dies lässt sich durchaus unter dem Aspekt des Innovativen betrachten, denn es handelte sich um eine weitgehend neue, vorher unbekannte Konstellation.

      Überhaupt liegt spätestens seit der Weimarer Republik das Problem darin, dass Politiker und Parteien, die sich in einer liberalen Tradition verorten (oder von Gegnern als Liberale bezeichnet wurden), mit dem Sammelbegriff des Liberalismus häufig nur sehr kursorisch zu erfassen sind. Wir müssen schon angeben, welche Art von Liberalismus wir meinen – denn normativ anspruchsvolle, an der Demokratie interessierte liberale Denkströmungen hat es in Weimar durchaus gegeben, in nicht geringer Zahl.

       4. Langfristige Innovationen liberaler Theoriebildung

      Es hieße nicht nur, die innovativen Potentiale zu verleugnen, wenn wir die historischen Verlierer von 1933 ein weiteres Mal bestrafen, indem die geringe Resonanz ihrer Ideen zum Maßstab für ihre Beurteilung wird. Es wäre auch in hohem Maße unrealistisch, wenn wir in irgendeiner Weise davon ausgingen, dass die mannigfaltigen strukturellen und kontingenten Faktoren der Weimarer Staatskrise durch einen einzigen, wie auch immer gearteten Politikentwurf hätten bewältigt werden können.

      Meine These ist deshalb: Der Weimarer Liberalismus wurde zwar parteipolitisch immer schwächer, und die liberale Idee wurde zusehends heimatloser, aber das Bemühen um die intellektuelle Erneuerung des Liberalismus war trotzdem nachhaltig. Man kann deshalb die Zwischenkriegszeit – übrigens nicht nur bezogen auf die Weimarer Republik, sondern innerhalb der „Geschichte des Westens“ (H.A. Winkler) – als eine zweite „Sattelzeit“ des liberalen Denkens begreifen.

      Innerhalb der ersten Sattelzeit, so wie der Historiker Reinhart Koselleck das Konzept eingeführt hat, bildeten sich die konstitutiven politischen Begriffe der Moderne zwischen 1750 und 1850 heraus25; die zweite passte diese Begrifflichkeiten an das demokratische Zeitalter an. Pointiert heißt dies: Nach der Krise des Weltkriegszeitalters war der Liberalismus erstens nicht mehr ohne Demokratie zu denken, und hier liegt die Bedeutung der Novemberrevolution. Zweitens konnten Liberale fortan den Kapitalismus nur noch als ein vom

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