Liberale Demokratie in schwierigen Zeiten. Jens Hacke

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Liberale Demokratie in schwierigen Zeiten - Jens Hacke

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im Blick auf klar formulierte Ziele und auf Haltung ankommt – dieser Maßstab Webers darf weiterhin Gültigkeit beanspruchen.

       Weber-Biographik – neuere Forschungen

      „Die wissenschaftliche Arbeit ist eingespannt in den Ablauf des Fortschritts“, wusste Max Weber, denn jede Forschung warte auf Revision, werde überholt und mache neuen Einsichten Platz. Diesen ungebrochenen Glauben an die Perfektabilität wissenschaftlicher Erkenntnis wird man im Hinblick auf die Geisteswissenschaften oder gar für das Genre der Biographik nur schwer aufrechterhalten wollen. Die Verbreiterung der Quellenlage und des Faktenwissens bietet noch keine Garantie dafür, dass eine neue Interpretation überzeugender gelingt. Ganz davon abgesehen, dass das Narrativ eines Lebens der Dramatisierung, Wendepunkte und Leitmotive bedarf, bleibt auch die werkbiographische Deutung von der Perspektive und den Fragen der eigenen Zeit geprägt. Maßstäbe verschieben sich. Klassiker durchlaufen verschiedene Rezeptionswellen und Neuentdeckungen; für wenige moderne Autoren gilt dies so sehr wie für Max Weber. Als Theoretiker der Rationalisierung und Bürokratisierung, Schöpfer soziologischer Grundbegriffe, der Herrschafts- und Religionssoziologe, Künder des politischen Charismas, Erfinder des Idealtypus und Streiter für die Offenlegung der Werturteile in der Wissenschaft lieferte er à la mode das jeweilige Methodenbesteck. Mit Weber als Giganten der Sozialwissenschaft ließ sich Wirklichkeit durchdringen, Objektivität und Rationalität sichern, das galt vom Proseminar bis zur Doktorarbeit. Der Rationalitätspionier moderner Wissenschaftlichkeit konnte säuberlich vom leidenschaftlich-nationalen Publizisten getrennt werden, für die Einsicht in den okzidentalen Rationalismus waren Kenntnisse um die labile psychische Konstitution des Theoretikers nicht erforderlich, zumal dessen Lebensumstände in den Grundzügen aus dem von seiner Gattin Marianne verfassten, heroisierenden „Lebensbild“ (1926) bekannt waren. Weber war einerseits der unbestrittene Fixpunkt in einer postgeschichtsphilosophischen Epoche des Theorie- und Methodenglaubens, als die Historische Sozialwissenschaft Bielefelder Prägung reüssierte. Andererseits eignete sich sein politisches Denken, wie spätestens Wolfgang J. Mommsens großartige Studie zu Max Weber und die deutsche Politik (1959) zeigte, zur umfassenden Auseinandersetzung mit dem Sonderweg des deutschen Liberalismus. War Weber doch ein „militanter Spätliberaler“ (Habermas), der die Bahn für den plebiszitären Führerstaat ebnete? Oder hätte – wie nicht wenige meinten – seine intellektuelle Autorität den Vernunftrepublikanismus der Weimarer Republik entscheidend gestärkt?

      Kurz: Die Kampfplätze, auf denen Webers Werk zum Einsatz kam, waren so divers, das Material so überwältigend, dass das Vorhaben einer Biographie des Meisterdenkers mit dem Fortgang der alles in den Schatten stellenden kritischen Gesamtausgabe immer weniger realisierbar erschien. Es waren zwei kritische Bewunderer Webers, Wilhelm Hennis und Ralf Dahrendorf, die sich in den 1980er Jahren gegen den Trend der Spezialisierung wandten: Hennis’ Beschäftigung mit Weber bedeutete eine Revision der eigenen Haltung, denn noch zwanzig Jahre zuvor hatte er den durch Parsons reimportierten Rationalisierungs-Weber vehement vom Standpunkt einer praktischen Politikwissenschaft bekämpft, die sich gegen dessen vermeintlichen Positivismus respektive gegen dessen Verzicht auf Normen und Zwecksetzungen richtete. In seinen späten Studien identifizierte Hennis indes Max Webers Fragestellung nach der conditio humana in der Moderne, nach der Lebensführung und nach politischer Verantwortung als Zentrum des Werkes. Webers Antworten mussten dazu aus den Debatten seiner Zeit decodiert und historisch vergegenwärtigt werden. Auch Dahrendorf plädierte – mit deutlicher Stoßrichtung gegen die geschichtsvergessene Zeitdiagnostik der Soziologie – für den Versuch, „Webers Leben, sein Werk und seine Zeit zu einem Gesamtbild“ zusammenzufügen, um „damit auch der sterilen Landschaft der modernen Sozialwissenschaft etwas von ihrem einstigen Zauber“ zurückzugeben.

      Diese Wiederverzauberung gelang vor einem knappen Jahrzehnt einem Seiteneinsteiger. Der Kultur- und Umwelthistoriker Joachim Radkau verblüffte die Fachwelt und faszinierte eine breite Leserschaft mit einer fulminanten Biographie, die jeden postmodernen Zweifel am Genre souverän ignorierte: Familie, Epochenprägung, Sexualität, Krankheitsgeschichte, Sucht und Leidenschaft verwob Radkau zu einer Lebenserzählung, die Webers intellektuellen Denkweg umso faszinierender machte, je klarer die Abgründe erkennbar waren, die Webers Psyche offenbarten. Dass der von der Natur „vergewaltigte“ und später von Depressionen heimgesuchte Weber schließlich im Tunnel von Bruchsal mit Else Jaffé-Richthofen die erotische Erlösung fand, ist nur eine Pointe, auf welche die Weber-Orthodoxie Radkaus Enthüllungsbuch zu reduzieren suchte. Zu Unrecht, denn Radkaus charakterologische Studie bietet weit mehr als Freudianismus und Psychohistorie. Man mag darüber streiten, ob das Ausleben masochistischer Phantasien zur finalen sexuellen Befreiung Webers geführt hat, ob die Diagnose einer Schizophrenie wirklich stichhaltig oder ob der versteckte Naturalismus die geheime Triebfeder seines Denkens war. Die nur leicht überarbeitete Neuauflage von Radkaus Werk präsentiert sich aber nicht zuletzt deshalb so frisch, weil der Bielefelder Historiker Webers Leben originell beleuchtet und ihn gerade nicht als einsamen Solitär, sondern als kommunizierenden, streitenden und in Debatten eingebundenen Gelehrten präsentiert. Wenn Radkau die spannungsreichen intellektuellen Freundschaften zu Friedrich Naumann, Werner Sombart, Ernst Troeltsch oder Robert Michels schildert, läuft er zu Höchstform auf.

      Webers Vielseitigkeit, sein fast maßloser Erkenntnishunger und sein Ringen um Erklärungen, die das So-Geworden-Sein der modernen Welt dechiffrieren, machten ihn zu einem Komplexitätsdenker, der keine vereinseitigenden Thesen zuließ. Radkaus Biographie offenbart, dass Webers häufig gepriesener Realismus am ehesten in seinem vieldimensionalen Problembewusstsein, in der dauernden Anstrengung um Selbstkontrolle und im Aushaltenmüssen von Widersprüchen zu orten ist. Radkau wählt mit Bedacht den Leitbegriff der „Leidenschaft“, um Webers Motivationsgründe zu beschreiben: „Die Leidenschaft zur modernen Wissenschaft läßt sich aus keinem großen Ziel keinem höheren Sinn herleiten. Weber schwieg, wenn man ihn nach einem Lebenssinn der Wissenschaft fragte“, man könne sich seinen Drang zur Wissenschaft eben nur „als einen naturhaften Trieb“ vorstellen. Das mag aus philologisch-hermeneutischer Sicht unbefriedigend bleiben, macht aber deutlich, dass sich besondere Begabung und wissenschaftliche Leistungen –Verirrungen inklusive – eben nicht immer auf rationale Gründe oder gute Absichten zurückführen lassen. Erst recht nicht bei jemandem, dessen „heroischer Skeptizismus“ (so Ernst Troeltsch in seinem Nachruf) ihn dazu brachte, der „Forderung des Tages“ gerecht zu werden, die für Weber bekanntlich lautete, dass „jeder den Dämon findet und ihm gehorcht, der seines Lebens Fäden hält“.

      Weil es Radkau gelang, Weber zu historisieren, sein psychisches Martyrium zu schildern, seine politischen Irrungen und Lernprozesse offenzulegen, ohne dass dieser Ausnahmegelehrte an Faszination einbüßte, durfte man gespannt sein, welche neuen Akzente die Biographien des Jubiläumsjahres von Dirk Kaesler und Jürgen Kaube setzen würden. Kaesler weckte besondere Erwartungen: Zum einen hatte er sich seit Jahrzehnten mit Weber beschäftigt, zum anderen widmete er dem Konkurrenten Radkau seinerzeit einen harschen doppelseitigen Verriss im Spiegel. Kein kluger Schachzug. Dadurch senkt sich für jeden Rezensenten nun die Hemmschwelle, das Urteil über Kaeslers desaströs missratene Darstellung mit höflichen Floskeln zu kaschieren. Geschrieben sei das Buch, so Friedrich Wilhelm Graf völlig zutreffend in der Süddeutschen Zeitung, „in einem teils grausam unbeholfenen, teils peinlich pathetischen Deutsch, das die Lektüre zu einer Qual macht“. Was Graf damit meint, wird schnell klar, wenn man das Buch an einer beliebigen Stelle aufschlägt. Gravitätisch und verschmockt ist stets vom „Herrn Studiosus“, „Herrn Doktor“ oder „Herrn Professor“ und fast durchgängig von „Max Weber jun.“ die Rede; dauernd wird eine „Bühne bereitet“, auf der vermeintlich bürgerliche Formen nachgespielt werden; die Hälfte des Textes besteht aus seitenlangen Zitaten, die zumeist Mariannes „Lebensbild“ entnommen sind. All dies geschieht, weil der Autor keinen eigenen Erzählfaden außerhalb der Chronologie, keine Leitmotive und keine eigene Sprache findet, auf über 930 Textseiten aber auf jeden Quellenbeleg verzichtet. Es ist in der Tat kaum ein Leser vorstellbar, der sich durch diese Anhäufung von Fakten wühlt, ohne an der Unfähigkeit des Autors zu verzweifeln, Wichtiges vom Irrelevanten zu trennen. „Max Weber ist nicht unser Zeitgenosse“, für sein Leben gibt es „keinen Regisseur,

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