Charlys Sommer. Anett Theisen
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Über dem Essen vergaß er kurzzeitig die Pferde, bis er bei ihnen eine Bewegung wahrnahm. Ein Mädchen, ‚Nein, eine junge Frau’, korrigierte er sich, hatte den Braunen losgebunden und sprach nun mit Florentine, die gegen die Entführung ihres Kameraden protestierte. Beruhigend kraulte sie der Stute den Hals, schwang sich dann behände in den Sattel und ritt in den Wald, ohne sich noch einmal umzusehen. Bedauernd sah er auf seinen Teller und entschied, dass das Essen zu gut war, um es stehen zu lassen, und während er ihn leerte, sinnierte er darüber, warum er in letzter Zeit den entscheidenden Augenblick zu spät zu sein schien.
Eine Stunde später führte er Florentine in den Stall. Diesmal versorgte er sie selbst, räumte das Sattelzeug auf und sah ihr noch eine Weile beim Fressen zu, die Ellbogen auf die Tür und das Kinn auf die verschränkten Daumen gestützt. Schließlich löste er seine Haltung und wandte sich zum Gehen. Halb in Gedanken grüßte er beiläufig die drei Mädchen, die ihn aus der Box eines Schulpferdes heraus anstrahlten. Kichernd tauchten sie fluchtartig hinter das bedächtig kauende Pferd, das sich durch die Unruhe nicht beeindrucken ließ. Draußen schüttelte er sein Unbehagen über die Reaktion der Mädchen ab.
Er mochte es nicht, angehimmelt zu werden. Kurz verspürte er die vertraute Sehnsucht nach einer Frau, die ihm mit Selbstsicherheit und Respekt begegnete, bevor er sich den Erfordernissen der Realität zuwandte. ‚Noch kurz bei Maja vorbeischauen, dann habe ich mir den Feierabend redlich verdient.’
Das bisschen Haushalt – Johanna von Koczian
Maja empfing ihn zerzaust und sichtlich erschöpft im Flüsterton. Wohlweislich hatte er nicht die Klingel benutzt, sondern auf ihrem Handy angerufen. Seit die Zwillinge auf der Welt waren, hielt er dies für die bessere Variante.
„Du bist der Einzige, der sich darüber Gedanken macht, ob das Schellen gerade angebracht ist“, begrüßte sie ihn mit einer flüchtigen Umarmung. „Komm rein. Pass auf, wo du hintrittst und entschuldige die Unordnung.“
Unordnung war weit untertrieben; die Wohnung sah aus wie explodiert. „Ist Michael nicht da?“, fragte er.
„Auf Dienstreise.“
Er zog die Augenbrauen hoch.
„Angeblich. Ich vermute, er kann mal wieder mit Familie, Haus und Hof nichts anfangen und hat sich bei einem Freund einquartiert.“ Maja ließ sich schwer auf einen Küchenstuhl fallen und sah ihn von unten herauf an. Mit einer schwachen Handbewegung umfasste sie das Chaos ringsum. „Ich würde manchmal auch gern alles stehen und liegen lassen.“
„Wann hast du zuletzt was gegessen?“
„Frühstück?“, war ihre vage Antwort.
„Ok, du erzählst mir, was los ist, ich mach dir was zu essen und bringe Küche und Wohnzimmer halbwegs in Ordnung. Um neun schmeißt du mich raus und gehst ins Bett.“
Vierzig Minuten später hatte er sämtliche sichtbaren Kinderspielsachen aus dem Wohnbereich ins Spielzimmer verfrachtet, die Spülmaschine brummte eifrig, er war über die komplette Situation im Bilde und konnte Maja leider auch nur bestätigen, was sie schon wusste, nämlich, dass der Trockner den Dienst verweigerte.
„Bestell dir einen neuen. Pack mir jetzt das Wichtigste ein, ich stecke es zu Hause in meinen und bringe es dir morgen früh vorbei.“
„Du bist ein Schatz!“ Maja umarmte ihn.
Gemeinsam stiegen sie zum Kinderzimmer hoch. Die beiden Jungs lagen in einem Bett, die blondgelockten Köpfe dicht beieinander, alle Gliedmaßen von sich gestreckt, die Decke weggestrampelt am Fußende des Bettes.
Ein Bild des Friedens.
Zärtlich lächelnd betrachtete er seine Neffen, hob den Blick und begegnete den wissenden Augen seiner Schwester. Ertappt wandte er sich ab und seine verbindliche Ader gewann die Oberhand. Mit einem flüchtigen Kuss auf Majas Wange verabschiedete er sich.
A Horse with No Name – America
Charly und Peter standen am Koppelzaun. Der Hengst lahmte. Hinten rechts.
„Es hilft nix. Ich muss mir das anschauen. Hier, lenk ihn ein bisschen ab.“
Damit drückte sie Peter die Leckerli in die Hand, holte den Hufkratzer und schlüpfte durch den Zaun. In den letzten beiden Tagen hatte der Schimmel schon gelernt, wo es Leckereien zu holen gab und machte auch gleich einen langen Hals. Ohne zu mucken hob er das Hinterbein an, Charly umfasste den Huf im Sicherheitsgriff, ihre Schulter gegen sein Sprunggelenk gestemmt, und hob ihn auf ihr Knie.
Der Übeltäter, ein Stein, war augenscheinlich. Sie hebelte ihn heraus, während der Hengst kaum einmal zuckte, beide vertieft in ihr Tun. Im Dorf brummte ein Motorrad.
Das Knallen einer Fehlzündung zerriss die abendliche Ruhe. Der Hengst zuckte zusammen, schlug aus und preschte aufgeregt über die Koppel. Fluchend rappelte Charly sich auf. Der Stoß hatte sie zwar von dem Hengst wegkatapultiert, aber im Verlauf der improvisierten Rolle rückwärts hatte sie sich den Hufkratzer gegen die linke Augenbraue geschlagen, wie auch immer sie das geschafft hatte.
„Kruzitürken! Ist dir was passiert?“, rief Peter. „Verrückter Gaul, dammicher!“
Sie winkte ab. „Halb so wild.“ Schnell duckte sie sich durch den Zaun, trat zum Wassertrog, hielt einen Zipfel ihres Hemdes hinein und klatschte sich den tropfnassen Stoff auf die schmerzende Partie.
„Das sah gefährlich aus“, erklang hinter ihr die Stimme des Tierarztes und Charly fuhr erschreckt zusammen. Gemeinsam mit Beatrix trat er an die Koppel. „Darf ich einen Blick drauf werfen?“
„Sicher. Bei meiner Rossnatur sind Sie genau der Richtige“, grinste Charly zurück. „Ich schätze, das wird eine nette Beule und schlimmstenfalls blau. Ich werde es überleben“, meinte sie achselzuckend und nahm das Hemd vom Gesicht. Doktor Schnellenbach widmete der Begutachtung ihres Auges genauso viel Sorgfalt, wie sie es von ihm im Umgang mit seinen tierischen Patienten gewohnt war.
„Durchaus akkurate Einschätzung, meine Liebe, mit einer Einschränkung. Das wird ganz sicher blau. Du musst sowieso zu meinem Kollegen für den Spezialfall Mensch.“
„Wieso?“ Charly zog fragend die Augenbrauen hoch und scharf die Luft zwischen die Zähne.
„Krank schreiben kann ich dich nicht.“
„Ist sowieso keine Option. Ich habe zu viel vor in den nächsten Tagen.“ Verschmitzt blinzelnd zuckte sie die Schultern und verpasste dem Hengst, der leise an den Zaun herangetreten war und an ihrer Schulter schnupperte, ihrerseits einen Nasenstüber. „Sorry, Großer, ich habe dich nicht bemerkt.“
Er schnoberte durch ihr Gesicht.
„Schaust du dir an, was du angerichtet hast? Keine Sorge, ich bin dir nicht böse. Ist in ein paar Tagen alles vergessen“, redete sie auf den Schimmel ein, kraulte ihn unterm Kinn und klopfte seinen Hals. Dann folgte sie den anderen, die bereits in Peters Garten neben einer der Stuten standen.
„Lange wird es nicht mehr dauern. Ihr erreicht mich jederzeit