Blutblume. Louise Boije af Gennäs

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Blutblume - Louise Boije af Gennäs Widerstandstrilogie

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      Ich kehrte in mein Zimmer zurück und setzte mich auf das Bett mit dem orangefarbenen Überwurf. Erinnerungen lösten einander ab, begleitet vom üblichen Stechen in der Magengegend aus Sehnsucht nach meinem Vater: jener Abend, als er die Zusage bekommen hatte. Ich muss acht gewesen sein und Lina ungefähr zwei. Ich wusste nicht viel über das, was mein Vater so machte, aber hatte begriffen, dass vielleicht ein neuer Job in Aussicht stand. Und dann war es offensichtlich: Mama und Papa strahlten, Papa brachte frische Krabben zum Abendessen mit, und wir saßen bei brennenden Kerzen in der Küche und feierten. Mama und Papa tranken Weißwein statt Bier, und wir durften mit Limo anstoßen, obwohl nicht Wochenende war. Papa würde für die angesehene Behörde für internationale Entwicklungszusammenarbeit, Sida, arbeiten und nach Stockholm pendeln und viel ins Ausland reisen.

      »Wirst du dann jetzt die Welt retten, Liebling?«, hatte Mama gefragt und ihm über die Wange gestreichelt.

      Die Welt retten, hatte ich gedacht, das wusste ich noch. Sofort hatte ich James Bond, dem gefährliche Bösewichte dicht auf den Fersen waren, mit gezogener Pistole vor mir gesehen.

      »Ich werde es auf jeden Fall versuchen«, hatte Papa lächelnd geantwortet.

      »Ist es denn sehr gefährlich?«, hatte ich gefragt, woraufhin Mama und Papa in schallendes Gelächter ausbrachen.

      Auch Lina hatte gelacht und mit dem Löffel auf den Tisch geschlagen: »Fährlich! Fährlich!«

      »Nein, mein Schatz«, hatte Papa geantwortet, »es ist überhaupt nicht gefährlich. Ich versuche, Gutes zu tun, mehr nicht. Wir leisten Entwicklungshilfe, unterstützen die Menschen, die es in anderen Ländern am schwersten haben.«

      Das klang toll, auch wenn ich nicht wusste, was das lange Wort bedeuten sollte, das er da gesagt hatte. Aber ich fragte nicht weiter nach, sondern widmete mich stattdessen den Krabben.

      Ein lang gezogenes Miauen holte mich zurück ins Jetzt. Simåns wollte raus, also schloss ich die Tür zum Flur und öffnete die Box.

      »Simåns«, sagte ich, »jetzt sind wir angekommen. Hier werden wir wohnen, du und ich.«

      Simåns strich durch das Zimmer und beschnupperte die fremden Gegenstände. Dann sprang er aufs Bett und betrachtete mich aus seinen klugen, grünen Augen. Plötzlich gähnte er, und ich konnte direkt in den rosa Schlund mit der rauen Zunge und den nadelspitzen, kreideweißen Zähnen sehen.

      Wildtier.

      »Du bist ein Wildling, Simåns«, sagte ich und kraulte ihn hinterm Ohr.

      Simåns streckte sich und zuckte mit dem Schwanz. Dann kringelte er sich auf dem Überwurf zusammen und schlief ein.

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      Ich schlief schlecht in dem schmalen Bett, Mondlicht fiel durch die Lücken im Vorhang herein. Wie in den gesamten vergangenen sechs Monaten tauchte ich immer wieder aus dem Schlaf auf. Es war schwer, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Für einen Moment dachte ich, dass meine Tür lautlos geöffnet wurde und das Licht im Flur sich teilte, als stünde dort jemand und würde mich betrachten. Aber als ich mich nach wenigen Augenblicken etwas benebelt aufsetzte, war die Tür geschlossen, und das Zimmer lag im gleichen Halbdunkel wie zuvor.

      Am nächsten Morgen klingelte mein Wecker um sieben Uhr. Im selben Moment kam eine SMS von meiner Mutter.

       »Wie geht es dir, mein Schatz? Alles in Ordnung?«

      »Alles super«, antwortete ich. »Auf den Beinen und unterwegs zur Arbeit.«

      Sie schickte mir ein lächelndes Emoji, und ich ging ins Bad, um zu duschen. Die Tür war abgeschlossen, und drinnen rauschte Wasser. Also kehrte ich in mein Zimmer zurück und suchte, um die Wartezeit zu überbrücken, zusammen, was ich für den Tag brauchen würde. Eine Viertelstunde später war das Bad immer noch besetzt, und mir ging langsam die Zeit aus. Weitere fünf Minuten später klopfte ich an die Tür. Sie wurde sofort geöffnet, und ein Mittdreißiger mit langem Oberlippenbart kam zum Vorschein. Er sah verschlafen und wütend aus, die Augen zu schmalen Schlitzen gezogen, und er trug einen blauen Bademantel. Um den Hals hing ein rosa Handtuch mit hellblauen Elefanten, worüber ich unfreiwillig lächeln musste. Mein Lächeln stimmte ihn nicht gerade freundlicher.

      »Ich dusche immer um sieben!«, sagte er mit Nachdruck. »Bitte respektieren Sie das!«

      »Selbstverständlich«, sagte ich. »Entschuldigung. Mein Name ist Sara, ich bin gerade eingezogen. In das Zimmer am Ende des Flurs.«

      Er musterte mich von Kopf bis Fuß und schien wenig beeindruckt von dem, was er sah.

      »Jalil«, sagte er abweisend. »Ich komme aus Marokko.«

      »Spannend«, sagte ich. »Wie lange sind Sie schon in Schweden?«

      Ein weiterer, vernichtender Blick, soweit man das durch die fast zusammengekniffenen Augen beurteilen konnte.

      »Lange genug, um zu wissen, dass man sich morgens um sieben Uhr noch nicht unterhalten muss«, sagte er und rauschte dann in seinem Bademantel davon. Ich schaute ihm nach. Er hatte absolut recht.

      Der Bus nach Spånga kam pünktlich, aber die S-Bahn nach Sundbyberg hatte Verspätung, zudem wehte auf dem Bahnsteig ein eiskalter Wind. Etwa zehn weitere Passagiere standen außer mir dort und warteten, alle mucksmäuschenstill. Die meisten hörten Musik oder starrten auf ihre Handys. Ich seufzte laut und vertiefte mich dann selbst in die Internetseite des Aftonbladet.

      Eine Viertelstunde später tauchte die S-Bahn endlich auf, proppenvoll. Wir konnten uns alle noch hineinzwängen, aber ob ich an meinem ersten Arbeitstag pünktlich sein würde, war mehr als fraglich. Kaum in Sundbyberg, sprang ich aus der Bahn und rannte zwischen den hohen Häusern hindurch, bis ich endlich das Café auf der anderen Seite eines kleinen Platzes entdeckte. Ich war derart außer Atem, als ich hineingeprescht kam, dass ich kaum sprechen konnte.

      Zwei Frauen um die fünfzig arbeiteten bereits auf Hochtouren, die eine hatte schwarz gefärbte Haare, die andere war blondiert. Die Blondine war ein bisschen übergewichtig, die Schwarzhaarige schlank wie ein Spargel.

      »Soso«, sagte die Schwarzhaarige und warf mir einen Blick zu, während sie den Serviettenhalter an der Theke nachfüllte. »Pünktlichkeit ist das A und O in der Gastronomie.«

      »Entschuldigung«, keuchte ich. »Die S-Bahn … kam eine Viertelstunde zu spät.«

      »So ist das immer in Stockholm«, sagte die Blondine, lächelte und stützte sich auf den Besen. »Man muss viel Zeit einplanen.«

      Sie kamen beide auf mich zu.

      »Eva«, sagte die Schwarzhaarige und streckte mir die Hand entgegen.

      »Gullbritt«, sagte die Blondine, und ich musste ein breites Grinsen unterdrücken.

      Wie sollte sie auch sonst heißen.

      »Na, dann!«, sagte Eva, band sich eine Schürze um und warf mir auch eine zu. »Hast du schon mal in einem Café gearbeitet?«

      »Nein, leider nicht«, antwortete ich unbeholfen. »Aber das habe ich doch in der Mail geschrieben.«

      »Familie?«

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