Blutblume. Louise Boije af Gennäs
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Читать онлайн книгу Blutblume - Louise Boije af Gennäs страница 8
Unter Jalils Tür war Licht zu sehen, also huschte ich hin und klopfte an. Sofort erlosch das Licht im Zimmer. Kein weiteres Geräusch war zu hören. Niemand öffnete.
Ich fluchte. Konnten die alle wirklich so wenig empathisch sein? Was, wenn Sixten da drin lag und starb? Also trat ich vor seine Tür und klopfte dreimal laut an.
Sie flog auf, und im Rahmen erschien Sixten. Ich hatte ihn schon mal gesehen, aber nicht so. Er war ein breiter, untersetzter Mann um die sechzig, trug ein gelb-schwarzes T-Shirt vom Sportclub AIK, das einen breiten Bereich zwischen Shirtsaum und Schlafanzughose unbedeckt ließ. Außerdem schien ihm eine große Anzahl Zähne zu fehlen. Er grinste breit und blinzelte, während er mit der einen Hand die Tür aufhielt und sich mit der anderen am Bauch kratzte.
»Na, hallo«, sagte er freudig. »Wie schön! Möchtest du reinkommen?«
Ich starrte ihn an.
»Was geht denn hier vor?«, fragte ich. »Es ist zwei Uhr nachts, und Sie heulen hier rum wie ein angeschossener Wolf.«
Sixten kicherte.
»Das klingt ja toll!«, sagte er. »Angeschossener Wolf. Das muss ich mir merken!«
»Äh, hallo?«, sagte ich. »Sie wecken das ganze Haus! Was soll das?«
Sixten schaute übertrieben in beide Richtungen.
»Soweit ich sehen kann, ist hier niemand außer dir«, sagte er. »Willst du nicht reinkommen?«
»Warum schreien Sie so?«, fragte ich.
Sixten zuckte mit den Schultern und riss die Augen auf.
»Vietnamveteran?«, fragte er zurück. »Oder aber mir ist einfach ein bisschen langweilig?«
Wir starrten uns ein paar Augenblicke lang an. Sixten kicherte leise. Dann machte ich auf dem Absatz kehrt und ging zurück zu meinem Zimmer, während Sixten seine Tür wieder zumachte.
Meine Tür war verschlossen.
Ich zog kräftig an der Klinke.
Sie ließ sich nicht öffnen, sie war abgeschlossen. Und als ich das Ohr näher brachte, konnte ich drinnen Stimmen hören.
Ohne nachzudenken, stapfte ich durch den Flur bis zum Zimmer meiner Vermieterin und klopfte mit Wucht an. Niemand antwortete, aber die Tür ging von selbst auf.
Siv saß an ihrem Schminktisch vor einem Spiegel, der von warmgelben Glühbirnen eingerahmt war wie in einer altmodischen Theatergarderobe. Sie hatte einen hellrosafarbenen, flauschigen Bademantel an, und als sich unsere Blicke im Spiegel trafen, musste ich unwillkürlich keuchen. Um den Kopf trug sie einen engen Strumpf oder eine Mütze, die dauergewellte Betonfrisur ruhte auf einem Holzstumpf auf einem Beistelltisch.
Siv hatte eine Perücke.
»Oh, Verzeihung!«, rief ich und schloss die Tür mit einem Knall.
Dann blieb ich in der Dunkelheit stehen, unsicher, was ich als Nächstes tun sollte. Schon öffnete sich die Tür wieder, und da stand Siv. Sie sah aus wie immer – mit ihrer dauergewellten Betonfrisur auf dem Kopf.
»Was wollen Sie?«, fragte sie barsch. »Es ist zwei Uhr nachts, und ich will meine Ruhe.«
»Ich habe mich ausgesperrt«, sagte ich. »Sixten hat geheult wie ein Verrückter, haben Sie das nicht gehört? Deshalb bin ich rausgegangen. Jetzt ist jemand in meinem Zimmer und hat von innen abgeschlossen.«
Siv starrte mich an.
»Was reden Sie denn da für einen Unsinn?«, fragte sie.
Dann nahm sie einen kleinen Schlüssel von einem Haken und lief durch den Flur bis zu meinem Zimmer. Dort griff sie nach der Klinke, ohne vorher aufzuschließen, und öffnete die Tür weit.
Sie war nicht verschlossen, das Zimmer leer.
Siv betrachtete mich eine Weile aus verkniffenen Augen.
»Nehmen Sie Drogen?«, fragte sie schließlich. »Dann können Sie sich nämlich sofort eine neue Bleibe suchen.«
»Nein, ich nehme keine Drogen!«, erwiderte ich schockiert. »Ich habe Stimmen gehört, und die Tür war abgeschlossen! Von innen!«
Siv lächelte, ein freudloses, schmales Lächeln.
»Aber sie war ja nicht abgeschlossen«, sagte sie in besorgniserregend weichem Tonfall.
Dann schwebte sie zurück zu ihrem Zimmer und drückte die Tür demonstrativ zu.
Ich selbst betrat mein Zimmer und schloss hinter mir ab, bevor ich genauestens kontrollierte, ob etwas fehlte oder verstellt worden war. Absolut nichts deutete darauf hin, dass jemand hier gewesen war. Ich meinte, schwach Alkohol riechen zu können, aber das konnte genauso gut Einbildung sein.
Überzeugt davon, nicht wieder einschlafen zu können, holte ich meine Kulturtasche hervor und fand schnell die kleine Schachtel mit den Tabletten, die mir mein Hausarzt verschrieben hatte.
»Das ist kein richtiges Schlafmittel«, hatte er gesagt. »Nur etwas, das beim Einschlafen helfen soll. Aber sie machen trotzdem etwas benebelt, nutzen Sie die also nur, wenn Sie wirklich schlafen müssen.«
1–2 Tabletten, stand auf der Packung. Ich zögerte. Dann steckte ich mir zwei Tabletten in den Mund und spülte sie mit einem Glas Wasser hinunter. Sofort legte ich mich wieder ins Bett und schlief ein.
Große, gelbe Flammen züngelten vor dem Fenster. Ich öffnete langsam die Augen und bemerkte den warmgelben Schein an der Decke über mir, dazu das Knistern vor dem Haus.
Es brannte.
Das ganze Haus schien zu brennen, bloß ich hatte aus irgendeinem Grund Grütze im Kopf und konnte meinen Körper nicht dazu bringen, mir zu gehorchen. Die Hitze vor dem Fenster war so stark, dass ich zu schwitzen anfing; es strömte mir nur so aus den Poren. Ich schaffte es, aufzustehen und ans Fenster zu taumeln, wo ich begriff, dass das Haus und mein Zimmer in Flammen standen. Alles um mich herum flackerte gelbrot.
Werde ich jetzt sterben? Werde ich verbrennen wie Papa?
Mein Herz schlug weiter langsam und regelmäßig; es schien unmöglich, mich zu beunruhigen.
Ich sollte in den Flur laufen, den Feueralarm auslösen. Ich sollte die anderen warnen und die Feuerwehr verständigen. Ich sollte die 112 wählen. Aber ich tat nichts davon.
Ich kroch zurück ins Bett und beobachtete das Spiel der Flammen vorm Fenster. Dann schloss ich die Augen und verschwand wieder in der Dunkelheit.
Papa, werde ich dich wiedersehen?
Als