Im Reich der hungrigen Geister. Gabor Mate
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Intuitiv wissen wir alle, dass es besser ist zu fühlen, als nicht zu fühlen. Abgesehen von ihrer anregenden subjektiven Bedeutung sind Emotionen entscheidend für unser Überleben. Sie geben uns Orientierung, interpretieren die Welt für uns und bieten uns lebenswichtige Informationen. Sie sagen uns, was gefährlich und was gutartig ist, was unsere Existenz bedroht und was unser Wachstum fördert. Stellen Sie sich vor, wie behindert wir wären, wenn wir nicht sehen, hören oder schmecken könnten, oder wenn wir weder Hitze noch Kälte oder körperlichen Schmerz spüren würden. Ähnlich ist es mit dem emotionalen Abschalten. Unsere Emotionen sind ein unverzichtbarer Teil unseres Sinnesapparats und ein wesentlicher Teil dessen, was wir sind. Sie machen das Leben lebenswert, aufregend, herausfordernd, schön und bedeutungsvoll.
Wenn wir vor unserer Vulnerabilität fliehen, verlieren wir unser ganzes Empfindungsvermögen. Vielleicht werden wir sogar zu emotionalen Amnesiekranken, die sich nicht mehr daran erinnern können, dass sie sich jemals wirklich gefreut haben oder wirklich traurig waren. Eine nagende Lücke macht sich breit, die wir als Entfremdung und intensive Langeweile erleben, als das oben beschriebene Gefühl mangelbehafteter Leere.
Die wundersame Kraft einer Droge besteht darin, dem Süchtigen Schutz vor Schmerzen zu bieten und ihn gleichzeitig in die Lage zu versetzen, die Welt mit Spannung und Sinn zu erfüllen. „Es ist nicht so, dass meine Sinne abgestumpft sind – nein, sie sind geöffnet, sie weiten sich“, erklärte eine junge Frau, deren bevorzugte Substanzen Kokain und Marihuana sind. „Aber die Angst ist weg und die nagende Schuld, ja, so ist es!“ Die Droge gibt dem Süchtigen die Lebendigkeit seiner Kindheit zurück, die er vor langer Zeit unterdrückt hat.
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Emotional ausgelaugten Menschen fehlt es oft an körperlicher Energie, wie jeder weiß, der eine Depression erlebt hat, und dies ist eine Hauptursache für die körperliche Ermüdung, die viele Süchtige plagt. Es gibt noch viele andere: schlechte Ernährung, ein schwächender Lebensstil, Krankheiten wie HIV, Hepatitis C und die damit verbundenen Komplikationen, Schlafstörungen, die in vielen Fällen bis in die Kindheit zurückreichen – eine weitere Folge von Misshandlung oder Vernachlässigung. „Ich konnte einfach nicht einschlafen, nie“, sagt Maureen, eine Sexarbeiterin und Heroinabhängige. Wie Thomas De Quincey, der Opium benutzte, um „die sonst schwindenden animalischen Energien vierundzwanzig Stunden lang aufrechtzuerhalten“, wenden sich heutige Süchtige den Drogen zu, um einen zuverlässigen Energieschub zu erhalten.
„Ich kann nicht auf Kokain verzichten“, sagte mir einmal eine schwangere Patientin namens Celia. „Durch mein HIV habe ich keine Energie. Rock gibt mir Kraft.“ Ihre Worte klangen wie eine morbide Umdeutung der Psalmworte: „Er allein ist mein Fels [engl. rock] und meine Rettung, meine Burg, ich werde niemals wanken.“
„Ich genieße den Rausch, den Geruch und den Geschmack“, sagt Charlotte, langjährige Kokain- und Heroinkonsumentin, Haschischraucherin und bekennender Speed-Freak. „Ich schätze, ich habe schon so lange geraucht oder irgendeine Form von Drogen genommen, ich weiß nicht … Ich denke: Was, wenn ich aufhöre? Was dann? Denn von dort bekomme ich meine Energie.“
„Mann, ich kann den Tag nicht ohne Crack überstehen“, sagt Greg, ein Multi-Drogensüchtiger Anfang vierzig. „Ich sterb’ grad dafür.“
„Du stirbst nicht dafür“, wage ich zu behaupten. „Du stirbst deswegen.“ Greg fühlt sich herausgefordert. „Nee, ich nicht. Ich bin Ire und zur Hälfte Inder.“
„Stimmt. Es gibt hier keine toten Iren oder Inder.“
Greg erwidert noch ausgelassener: „Irgendwann muss jeder gehen. Wenn deine Nummer aufgerufen wird, war’s das.“
Diese vier wissen es nicht, aber jenseits von Krankheit oder der Trägheit emotionaler und physischer Erschöpfung haben sie es auch mit der Hirnphysiologie der Sucht zu tun.
Wie wir sehen werden, hat Kokain eine euphorisierende Wirkung, indem es die Verfügbarkeit der Belohnungschemikalie Dopamin in wichtigen Hirnkreisläufen erhöht, was für die Motivation und für die geistige und körperliche Energie notwendig ist. Wenn das Gehirn künstlich mit hohen Dopaminspiegeln, die durch externe Substanzen ausgelöst werden, geflutet wird, werden die hirneigenen Mechanismen der Dopaminproduktion träge. Sie hören bei nahezu voller Kapazität auf zu funktionieren und verlassen sich stattdessen auf die künstlichen Verstärker. Nur lange Monate der Abstinenz erlauben es der intrinsischen Maschinerie der Dopaminproduktion, sich zu regenerieren. In der Zwischenzeit erlebt der Süchtige eine extreme körperliche und emotionale Erschöpfung.
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Aubrey, ein großer, schlaksiger, eigenbrötlerischer Mann, der sich dem mittleren Alter nähert, ist ebenfalls kokainabhängig. Sein Gesichtsausdruck wirkt permanent traurig und sein üblicher Ton ist von Resignation und Bedauern geprägt. Ohne Drogen fühlt er sich als Mensch unvollständig und inkompetent – ein Selbstbildnis, das nichts mit seinen wirklichen Fähigkeiten, aber alles mit seinen prägenden Erfahrungen als Kind zu tun hat. Nach seiner eigenen Einschätzung war das Gefühl der Unzulänglichkeit und des eigenen Gescheitertseins schon Teil seiner Persönlichkeit, bevor er jemals mit Drogen in Berührung kam.
„Nach der achten Klasse bin ich mit Drogen aufgewachsen“, sagt Aubrey. „Als ich mit den Drogen begann, merkte ich, dass ich zu den anderen Jugendlichen passte. Ja, es war sehr wichtig dazuzugehören. Wissen Sie, wenn die Mannschaft für ein Fußballspiel zusammengestellt wurde, war ich immer der Letzte, der gewählt wurde.“
„Schauen Sie“, fährt er fort, „Ich war viel in Einrichtungen, habe lange Zeit in einer vier mal acht Meter großen Zelle verbracht. Ich war also viel allein. Und auch davor. Ich hatte eine schwere Kindheit, in der ich von Pflegefamilie zu Pflegefamilie gereicht wurde. Ich wurde ziemlich oft weggeschickt, so war es.“
„In welchem Alter wurden Sie zu Pflegefamilien geschickt?“, frage ich.
„Mit etwa elf Jahren. Mein Vater wurde getötet, von einem Lastwagen überfahren. Meine Mutter konnte sich nicht um alle Kinder kümmern, und so sprang das Jugendamt ein. Da ich der Älteste war, holten sie mich raus. Ich habe noch zwei Brüder. Sie waren jünger. Sie sind zu Hause geblieben.“
Aubrey glaubt, dass er ausgewählt wurde, in einer Pflegefamilie zu leben, weil er „als Kind so überdreht war“, dass seine Mutter nicht mit ihm fertig wurde.
„Ich war fünf Jahre dort. Nun, nicht in einer Familie. Nein. Ich wurde herumgeschickt. Sie behielten mich vielleicht für ein Jahr, dann konnten sie nicht mehr … und ich musste zu einer anderen Familie.“
„Wie fühlte es sich an, so herumgeschoben zu werden?“
„Es tat weh. Ich hatte das Gefühl, nicht gewollt zu sein. Ich war noch ein Kind … Ja, so war’s, ich war ein Kind und niemand wollte mich. Sogar in der Schule. Die Nonnen unterrichteten mich, aber ich habe nie