Linda Haselwander. Irina Wittmer

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Linda Haselwander - Irina Wittmer

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den Monotheismus und die Beschneidung einführte und dessen Enkelsfamilie (Jakob) Israel sich in der ägyptischen Prov. Gosen ansiedelte. Es ist viel zu viel, um sich alles zu behalten und um es dann oben ins Geheimbuch zu schreiben. Frau Mumbauer wird noch eine Weile in ihrem Schlafzimmer bleiben, und Franz macht etwas, was er sonst noch nie getan hat. Er faltet eine scharfe Kante und trennt die Seite vorsichtig aus dem noch völlig unbenutzten Lexikon heraus. Von nun an hat Franz viel Gelegenheit, seine Sammlung über das Judentum zu erweitern, im Heraustrennen wird er immer ungenierter. Sein Geheimbuch ist bald vollgeschrieben und beklebt, heimlich kauft er sich ein neues, in dem er nun systematisch alles, was er in Erfahrung bringt, nach Jahreszahlen ordnet. Ein paar Mal geht er sogar mit Onkel Sepp auf die Jagd, um ihn zum Erzählen zu bringen, und er spitzt die Ohren, wenn sich Hermina und Tante Vera in der Küche unterhalten. Eins paßt zum andern, endlich durchschaut er die Anläufe, die Hermina nimmt, um mit ihm offen zu sprechen, aber er tut naiv und macht ihr damit absichtlich das Leben schwer. In das Geheimbuch schreibt er mit roter Tinte schlimme Schwüre.

      Als er vierzehn ist, sagt er ihr, daß er alles weiß, auch woher sie die Nummer hat. Zum Beweis legt er ihr das Bild einer nackten und zum Skelett abgemagerten Frau, die einen irren Blick hat, vor. Darunter steht, Bergen-Belsen am 15. April 1945, das Photo wurde unmittelbar nach der Befreiung des Lagers von einer britischen »Film and Photographic Unit« aufgenommen.

      Ist es so mit dir auch gewesen? Wochenlang genieren sie sich derart voreinander, daß sie nur noch das Nötigste sprechen. Zum ersten Mal stellt Franz eine Forderung. Er will seinen Vater sehen.

      In der Klasse spricht er mit keinem mehr, er liebt plötzlich das Gefühl, eine Art Märtyrer zu sein. Seine Mutter ist doch nicht vom Himmel gefallen. Sie hat ihm den Namen ihres Vaters gegeben, der in Auschwitz vergast worden ist. Franz trägt den Namen eines vergasten Juden. Zu den Lehrern ist er arrogant, mit diesen verbohrten alten Nazis will er nichts zu tun haben. Geschichte fällt jetzt öfter aus, bevor Hitler an die Macht kommt, läßt sich der Lehrer an der Galle operieren. Franz braucht keinen Unterricht. Diese Obersturmbannführer sollen dem Juden seine Einsen und sein Abiturzeugnis geben und ihn nicht anmachen.

      Hermina sagt ihm, daß Maxim jetzt siebzig Jahre alt ist, in einer fast fensterlosen Kellerwohnung haust und als Straßenmusikant herumzieht. In all den Jahren hat sie ihm Geld geschickt, obwohl sie kaum wußte, wie haushalten mit ihrem Gehalt. Sie will Franz die Briefe, die noch immer regelmäßig eintreffen, vorlesen. Er tut, als höre er nicht hin. Herminale, mein Neschome, mein Liebstes auf der Welt, ich will du sollst glicklich sein, aber ich bleibe dein Mann bis in den Tod. Maxim verweigert den Scheidungsbrief. Was hätte er auch noch ändern können?

      Franz will keinen Christbaum und keinen Gänsebraten mehr, das nette Spiel ist vorbei. Als die ungeheure Beklemmung nicht aufhört, mischt sich Tante Vera doch ein. Man hätte von vorneherein alles anders machen sollen. Ihr war schon immer klar gewesen, daß es eines Tages zur Katastrophe kommen mußte. Großmütig spendiert sie Franz ein Flugticket nach New York und das nötige Taschengeld dazu. Franz will ganz entschieden nicht, daß Hermina mit ihm kommt.

      Am Flugplatz steht ein alter, Mann, der aussieht wie einer der drei Juden in Herrn Mumbauers Lexikon. Er weint hemmungslos. Franz, der schon größer ist als sein Vater, läßt sich in den Arm nehmen und immer wieder abküssen, obwohl es ihm unangenehm ist. Er hat sich vorgenommen, Englisch zu sprechen. Aber Maxim sagt, sei asej gut und redt mit mir in a Sproch, was ich kann verstehn. Franz lacht das erste Mal seit langer Zeit, er will sich auf alles einlassen, vielleicht wird er für immer in New York bleiben.

      In der finsteren Wohnung steht noch das Kinderbett von Franz. Seit Hermina vor zwölf Jahren fortgegangen ist, hat sich hier nichts geändert. Franz soll neben Maxim in ihrem Bett schlafen. Es ist ihm seltsam, da in New York neben einem fremden, alten Mann im Ehebett zu schlafen. Maxim steht früh auf, legt die Gebetsriemen an und geht zur Synagoge, das Harmoschke nimmt er in einer großen schwarzen Tasche mit. Franz tut, als schlafe er noch, er spürt, daß der Sohn, der keine Toraschule besucht hat, ein Unglück für diesen Vater ist. Nur am Sabat geht er in die Synagoge mit, freilich ohne ein Wort zu verstehen.

      Die Morgen verbringt Franz damit, nach und nach Küche und Bad zu schrubben. Er wäscht sogar den karierten Vorhang, der vor dem Regal hängt, und die Regalbretter, er lüftet, so gut es geht. Franz ist in Haushaltsdingen nicht ungeübt, jeden Samstag erledigt er zu Hause mit Hermina alles, was zu tun ist. Maxim sagt nichts zu den Verbesserungen, wahrscheinlich bemerkt er sie gar nicht. Mittags kommt er und schüttet eine Menge Münzen in den Kochtopf, der ihm als Sparkasse dient. Dann gehen sie zum Essen in einen Saal, wo die jüdische Gemeinde billig Eintopf ausgibt. Alles koscher, und Franz trägt während des Essens die Kippa, die man ihm bringt. Es kann doch nicht sein, daß Maxim das ernst nimmt. Alle seine Freunde hier tragen lange Bärte und schwarze Hüte, manche haben Schläfenlocken.

      Sie laufen viel durch die Straßen nebeneinander her. Franz lädt Maxim zu einer Sightseeing-Tour im Bus ein. Einmal machen sie eine Schiffahrt zur Freiheitsstatue und um Ellis Island. Maxim schildert mit viel Rührung, wie Hermina und er 1948 hier ankamen. Sie hatten kurz zuvor geheiratet, es war die glücklichste Zeit in seinem ganzen Leben. Am Ende werden die vier Wochen lang. Franz will nach Hause, und Maxim hält ihn nicht auf.

      1965

      Herrmann Haselwander kauft das neue Mercedes Modell, einen Traum in Weiß, und schenkt seiner Frau zum Geburtstag eine silbergraue Persianerjacke. Sein Knie plagt ihn viel. Jede Art von Ablenkung ist ihm recht.

      Auch Fräulein Jadow kauft sich einen Wagen. Sie ist aus dem alten Schulhaus in eine Neubauwohnung im Nachbarort gezogen. Oft fährt sie hupend vor die Bäckerei, um Linda zur Geigenstunde abzuholen.

      Die Großmutter legt ihr Geld, bevor es wieder bei einer Inflation verreckt, wie sie sagt, lieber in Gold und feingeknüpften Perserbrücken an. Die Pracht der Muster und Farben sind ihr eine Wohltat. Die Kuh und die Schweine hat sie abgeschafft, überhaupt macht sie es sich jetzt leichter, sie wüßte gar nicht, wozu sie sich immerfort abplagen soll.

      Die Olsons ziehen von Bremen nach Huwihl und mieten das alte Schulhaus, das von der Gemeinde provisorisch hergerichtet wurde. Hier können sie endlich soviel Musik und Lärm machen wie sie wollen.

      Malte spielt täglich mehrere Stunden Klavier. Marie ist jetzt zwei Jahre alt und übt, sich gegen die drei älteren Geschwister durchzusetzen.

      In dem linken unteren Klassensaal ist weiterhin die von Fräulein Jadow betreute Bibliothek untergebracht. Aber das macht der Familie nichts aus. Frau Olson übernimmt die Leitung des Kirchenchors und gibt Musikunterricht. Im Haus ist ohnehin ein ständiges Kommen und Gehen. Ihre Schlafzimmer haben sie unter dem Dach in den Lehrerwohnungen. Der andere Klassensaal unten ist zugleich Küche und Wohnzimmer. Die beiden oberen Klassensäle sind Musik- und Gästezimmer. Oft wohnen bei den Olsons Musiker und Maler und Schriftsteller. Eine Menge solcher mit langen Haaren und Bärten. Auch Lioba Vengerowa kommt gelegentlich, um sich für ein paar Tage im Schwarzwald zu erholen und um mit Malte zu musizieren.

      Künstler, sagen die Leute. Aber sie sagen es wohlwollend und sogar mit einem Stolz auf das, was ihr Ort zu bieten hat. Vor allem Frau Olson ist beliebt.

      Tante Vera und Onkel Sepp machen eine Kreuzfahrt in die Karibik, um endlich einmal etwas anderes als München zu sehen.

      In die Wohnung von Hermina und Franz wird ein Bad eingebaut, indem man durch die Küche eine Wand zieht. Auch eine Zentralheizung wird installiert. Seit Franz in Amerika gewesen ist, kommt von Maxim kaum noch Post.

      Frau Mumbauer will das hintere Zimmer an eine Studentin vermieten. Um mehr Platz zu haben, schenkt sie Franz die Bücher ihres Mannes. So kommt es, daß im Zimmer von Franz an einer Wand fast bis zur Decke Kartons mit Büchern gestapelt sind. Es sieht aus, als sei Franz gerade am Umziehen. Ihm gefällt es so. Hermina will bald ein Regal kaufen.

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