Operation Terra 2.0. Andrea Ross
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Fünf Jahre waren seit jenem Tag, da man Notiz von den Aliens genommen hatte, ins Land gegangen. Inzwischen waren weitere irdische Kolonien auf dem Mars entstan den. In unmittelbarer Nähe der Siedlung Phönix 1 existierten entlang des Flusses in der Aram Dorsum Region nun Phönix 2 und 3. Sie waren genauso aufgebaut, organisiert und mit derselben Einwohnerzahl versehen worden wie das Pilotprojekt.
Wo immer das Leben eine klitzekleine Möglichkeit zur Existenz und Vermehrung findet, wird es diese nutzen. Bei diesem universell gültigen Gesetz bildete der Mars keine Ausnahme. So hatte sich die karge Steppenvegetation dank ergiebigerer Regenfälle nun bereits über mehrere Kilometer links und rechts des Flusses ausgebreitet. Man konnte erahnen, wie wunderschön die hügelige Gegend dereinst aussehen würde, wenn sie in ein paar Jahrhunderten komplett mit bunt blühenden Pflanzen und Bäumen überzogen wäre.
Die viereinhalbjährigen Kinder der Emmersons erfreuten sich bester Gesundheit. Swetlana ging ganz in ihrer Mutterrolle auf. Nur Philipps Gesundheitszustand machte ihr Sorgen. Er litt in letzter Zeit an Schwächeanfällen und Müdigkeit, weigerte sich jedoch kategorisch, deswegen zum Arzt zu gehen. Seit der menschenverachtenden Affäre rund um die geplante Abtreibung seines dritten Kindes stand er den hiesigen Medizinern äußerst kritisch gegenüber.
Anfängliche Anpassungsschwierigkeiten der Kolonien konnten mittlerweile als überwunden gelten. Sogar die Kommunikation mit der Erde klappte hervorragend, seit sie über mehrere Relaisstationen abgewickelt wurde. Es gab drei davon zwischen Mars und Erde, eine auf dem irdischen Mond und eine auf dem neuen Marsmond Ceres, der die Gesteinsbrocken Phobos und Deimos ersetzt hatte.
Die Übertragungszeiten zwischen den beiden Planeten hatten früher zwischen drei und lähmenden zweiundzwanzig Minuten – letzteres bei ungünstigster Konjunktion – betragen, doch inzwischen waren eine bis fünf Minuten die Regel.
Auf der Erde war das Interesse an einer Umsiedlung auf den Mars riesengroß. Das lag natürlich einerseits an der Möglichkeit des prophezeiten Asteroideneinschlags, andererseits aber auch an einer allgemeinen Aufbruchsstimmung. Viele Menschen verspürten unbändige Lust auf Tapetenwechsel, romantische Pionierstimmung machte sich breit. Sie war in etwa mit derjenigen vergleichbar, als sich von Europa aus Viele auf den Weg ins neu entdeckte Amerika machten.
Die Gefahren der Marsbesiedelung erschienen kalkulierbar, weil man gelegentliche Unfälle und vereinzelt aufgetretene, auf der Erde unbekannte Krankheiten sorgsam vertuschte. So war bei der vorletzten Übersiedlungswelle beispielsweise ein ganzer Raumfrachter in den unendlichen Weiten des Weltalls verschollen. Die Verantwortlichen reagierten darauf, indem man in künftige Kolonisationsverträge den Passus einfügte, dass nach der Umsiedlung eine Kommunikation mit Verwandten und Freunden auf der Erde ausgeschlossen sei. Die Bevölkerung dort sollte von Katastrophen aller Art nichts erfahren, damit sich die positive Stimmung keinesfalls eintrübte.
Neue Begegnungen mit Aliens hatte es seit Philipp Emmersons illegalem Ausflug keine mehr gegeben. Sie beobachteten zwar die Kolonien unablässig aus einiger Entfernung, ließen sich aber nie dort blicken. Vermutlich ging die fremde Intelligenz davon aus, dass dreitausend Siedler von der benachbarten Erde eine überschauund verschmerzbare Anzahl wären.
Die Terraner ahnten nicht, dass die Tage der duldsamen Zurückhaltung gezählt waren. Bei den Aliens existierten bereits konkrete Pläne für eine Besiedlung der CydoniaRegion, wo die ersten bemannten Marsmissionen vor rund hundert Jahren faszinierende Entdeckungen gemacht hatten.
Die nächsten Kolonien, Future 1 und Future 2, sollten in unmittelbarer Nähe der uralten Versammlungshalle gebaut werden. Dieses Mal zeichneten allerdings nicht die Europäer in Verbund mit den Amerikanern verantwortlich, sondern die Russen unter Mitwirkung Chinas. Auf der Erde nannte man das Projekt deswegen bereits scherzhaft Little Asia.
Tiberia/Mars, 8. Februar 2128 nach Christus, Sonntag KINZeit: 13.5.16.14.11
Philipp Emmersons Lebenslicht erlosch mit dem Heraufdämmern des neuen Tages. Weinend und klagend warf sich Swetlana über seinen noch warmen Leichnam, krallte sich daran fest.
»Wieso hast du dich nur so lange geweigert, zum Arzt zu gehen … rechtzeitig angewendet, hätten dich die Krebsmedikamente der neuesten Generation noch retten können! Ist es fair von dir, mich und die Kinder hier alleine zu lassen? Alles nur wegen deiner verdammten Sturheit!«
Die untröstliche Frau schrie auf, brach weinend zusammen. Sie musste mit einem der neueren KombiRovermodelle, die unter anderem Liegendtransporte ermöglichten, zum Ärztezentrum transportiert werden, wo man ihr eine Beruhigungsspritze setzte. In drei, vier Tagen würde man den Bewässerungstechniker auf dem kleinen Friedhof beisetzen, den man in der Nähe des Tores angelegt hatte.
Philipp war indes bei weitem nicht der erste Krebstote, den die Kolonisten zu beklagen hatten. Die durchschnittliche Erkrankungsrate, gemessen an der Bevölkerungszahl, lag erheblich höher als auf der Erde. Das war der Tatsache geschuldet, dass die Siedler auf ihrer weiten Reise durch das Weltall hohe Dosen an Weltraumstrahlung abbekamen.
Während eine Handvoll Kolonisten den Tod eines der Ihren betrauerten, herrschte auch bei den tiberianischen Beobachtern niedergeschlagene Stimmung. Sie hatten mitbekommen, dass die Terraner ihre Kolonisationsbestrebungen nun auf die CydoniaRegion auszuweiten gedachten. Ein Trupp terrestrischer Vermessungstechniker war gerade dabei, Pflöckchen in den Boden zu treiben; und das nur wenige Kilometer neben einer unterirdisch angelegten Stadt, die momentan rund fünfzehntausend Tiberianern eine neue Heimat bot.
Die Regentin Tiberias platzte schier vor Wut. »Verdammt noch mal – was fällt denen eigentlich ein? Kiloon, das dürfen wir uns nicht bieten lassen. Die benehmen sich, als wären sie die Herren dieses Planeten, machen sich wie selbstverständlich überall breit. Nun bereue ich meine dir zuliebe getroffene Entscheidung, diese unbedarften Primaten einstweilen noch gewähren zu lassen. Aber auf dem Gebiet unserer zukünftigen Hauptstadt haben sie definitiv nichts verloren! Siehst du jetzt, wohin uns deine Toleranz führt?«
Der Angesprochene seufzte verständnislos. »Ach, Alanna … die konstruieren dort bestimmt wieder nur eine kleine, überschaubare Siedlung, so ungefähr wie die letzten auch. Wieso sollte uns das überhaupt tangieren? Unsere Leute leben weitgehend unterirdisch, sie oben drüber. Es sollte doch irgendwie möglich sein, eine halbwegs harmonische Koexistenz zu führen. Früher oder später werden Tiberianer und Terraner ohnehin aufeinander treffen, sich in einem Konsens einigen müssen. Besser früher als später, findest du nicht?«
Alanna seufzte ebenfalls, verdrehte genervt die Augen zur Decke und setzte jene arrogantbesserwisserische Miene auf, die er so sehr an ihr hasste.
»Du kapierst es nicht, willst nicht verstehen. Wieso rede ich überhaupt mit dir darüber? Du verhältst dich wie eine willenlose Drohne, die sich von allen Seiten steuern lässt.«
Auf Kiloons hoher Stirn bildete sich eine Zornesfalte. »Ich bin nach wie vor der rechtmäßige Regent Tiberias, ob dir das nun passt oder nicht. Und die Einzige, die mich andauernd zu steuern versucht, bist du. Aber damit ist jetzt Schluss. Du wirst keine Gelegenheit mehr bekommen, mich zu manipulieren.«
»Was soll das heißen? Du weißt genau, dass Ehen in unserer Dynastie auf Ewigkeit angelegt sind. Du kannst mich nicht loswerden, mein Lieber«, grinste die Blondine amüsiert.
»Das leider nicht. Aber die Zeit arbeitet für mich«, gab der Regent nebulös zurück.