Stolz und Vorurteil. Jane Austen
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»Bitte, rede Lizzy nicht ein, sich Gedanken über diese Flegelei zu machen, denn er ist ein so widerlicher Mann, dass es ein richtiges Unglück wäre, wenn er sie leiden möchte. Mrs. Long hat mir gestern Abend erzählt, dass er eine halbe Stunde neben ihr gesessen hat, ohne auch nur ein einziges Mal den Mund aufzumachen.«
»Bist du sicher, Mutter? Hast du dich nicht verhört?«, sagte Jane. »Ich habe gesehen, wie Mr. Darcy mit ihr gesprochen hat.«
»Ja, aber nur, weil sie ihn schließlich gefragt hat, wie ihm Netherfield gefällt, und da konnte er nicht anders als antworten; aber sie hatte den Eindruck, er war ärgerlich, dass sie ihn angesprochen hatte.«
»Miss Bingley hat mir erzählt«, sagte Jane, »dass er nie viel sagt, außer zu guten Bekannten. Zu ihnen ist er ungewöhnlich nett.«
»Ich glaube kein Wort davon, Kind. Wenn er wirklich nett wäre, hätte er mit Mrs. Long gesprochen. Aber ich kann mir schon vorstellen, wie es war. Alle sagen, er weiß sich vor Stolz nicht zu lassen, und wahrscheinlich hatte er gehört, dass Mrs. Long keine Kutsche besitzt5 und deshalb mit einer Mietdroschke gekommen war.«
»Ob er mit Mrs. Long spricht oder nicht, ist mir egal«, sagte Miss Lucas, »aber er hätte mit Elizabeth tanzen müssen.«
»Wenn ich du wäre, Lizzy«, sagte ihre Mutter, »würde ich beim nächsten Mal nicht mit ihm tanzen.«
»Du kannst dich drauf verlassen, Mutter, dass ich nie mit ihm tanzen werde.«
»Ich finde den Stolz bei ihm nicht so schlimm«, sagte Miss Lucas, »weil es eine Entschuldigung dafür gibt. Dass ein so vornehmer junger Mann von Familie und Vermögen und mit vielen anderen Vorzügen eine gute Meinung von sich selbst hat, wundert mich gar nicht. Ich finde, es ist sein gutes Recht, stolz zu sein.«
»Einverstanden«, antwortete Elizabeth, »und ich könnte ihm seinen Stolz leicht verzeihen, wenn er meinen nicht verletzt hätte.«
»Stolz«, bemerkte Mary, die sich etwas auf ihre tiefgründigen Einsichten zugutehielt, »ist, glaube ich, ein weitverbreiteter Fehler. Durch meine Lektüre bin ich sogar überzeugt, sehr weit verbreitet. Die menschliche Natur ist besonders anfällig dafür, und nur wenige von uns hegen nicht aufgrund des einen oder anderen eingebildeten oder wirklichen Vorzugs ein Gefühl der Selbstgefälligkeit. Eitelkeit und Stolz sind allerdings verschiedene Dinge, obwohl die Wörter fälschlich oft synonym gebraucht werden. Jemand kann stolz sein, ohne eitel zu sein. Stolz bezieht sich mehr auf unser Urteil über uns selbst, Eitelkeit mehr auf das, was andere von uns halten sollen.«
»Wenn ich so reich wäre wie Mr. Darcy«, rief einer der Lucas-Jungen, der mit seinen Schwestern mitgekommen war, »wäre es mir ganz egal, wie stolz ich bin. Ich würde mir ein Rudel Jagdhunde halten und jeden Tag eine Flasche Wein trinken.«
»Dann würdest du viel mehr trinken, als du darfst«, sagte Mrs. Bennet, »und wenn ich dich dabei sähe, würde ich dir die Flasche auf der Stelle wegnehmen.«
Der Junge widersprach, sie bestand darauf, und so nahmen ihre Auseinandersetzung und der Besuch ein gemeinsames Ende.
Kapitel 6
Die jungen Damen von Longbourn machten denen von Netherfield bald einen Besuch, der ebenso bald in angemessener Form erwidert wurde. Miss Bennets Natürlichkeit und Wohlerzogenheit ließen Mrs. Hurst und Miss Bingley nicht unbeeindruckt, und obwohl sie die Mutter unausstehlich und die jüngeren Schwestern nicht der Rede wert fanden, brachten sie ihren Wunsch zum Ausdruck, die beiden älteren Schwestern besser kennenzulernen. Jane erwiderte dieses Entgegenkommen mit dem größten Vergnügen, aber Elizabeth fand ihr Verhalten, beinahe auch ihrer Schwester gegenüber, immer noch herablassend und mochte sie einfach nicht, obwohl sie ihren freundlichen Umgang mit Jane deshalb schätzte, weil er wahrscheinlich von der Bewunderung ihres Bruders herrührte. Bei all ihren Begegnungen war es ganz offensichtlich, dass er sie wirklich sympathisch fand. Und ebenso offenbar schien es ihr, dass Jane, die ihn von Anfang an gemocht hatte, ihrer Neigung nachgab und auf dem besten Wege war, sich richtig in ihn zu verlieben. Aber sie freute sich, dass ihre Liebe vor aller Welt verborgen blieb, weil Jane leidenschaftliche Gefühle mit Selbstbeherrschung und heiterer Ausgeglichenheit verband und sich so dem Verdacht der Neugierigen entzog. Das erzählte sie auch ihrer Freundin, Miss Lucas.
»So schön es ist, die Öffentlichkeit im Dunkeln tappen zu lassen«, erwiderte Charlotte, »so nachteilig ist es manchmal, so verschlossen zu sein. Wenn eine Frau geschickt verbirgt, auf wen sich ihre Zuneigung richtet, verpasst sie unter Umständen auch die Gelegenheit, ihn an sich zu binden. Und dann ist es ein schwacher Trost, dass auch die Welt im Dunkeln tappt. In jeder Beziehung gibt es so viel Dankbarkeit oder Eitelkeit, dass man sie besser nicht sich selbst überlässt. Wir fangen alle ganz mutig an – eine leichte Schwäche ist natürlich, aber nur wenige von uns bringen es fertig, sich ohne deutliche Zeichen von Gegenliebe richtig zu verlieben. In neun von zehn Fällen tut die Frau gut daran, mehr Zuneigung zu zeigen, als sie wirklich empfindet. Bingley mag deine Schwester – keine Frage, aber wenn sie ihm nicht auf die Sprünge hilft, wird es bei einer kleinen Liebelei bleiben.«
»Aber sie hilft ihm doch – soweit es in ihrer Natur liegt. Wenn mir ihre Zuneigung zu ihm auffällt, müsste er ein Einfaltspinsel sein, sie nicht zu sehen.«
»Vergiss nicht, Eliza, er kennt Jane nicht so gut wie du.«
»Aber wenn eine Frau in einen Mann verliebt ist und es nicht absichtlich verheimlicht, muss er es doch merken.«
»Vielleicht – wenn er sie oft genug sieht. Aber obwohl Bingley und Jane sich verhältnismäßig oft treffen, sind sie immer nur kurze Zeit zusammen; und da sie sich nur in Gesellschaft begegnen, können sie sich unmöglich die ganze Zeit miteinander unterhalten. Jane sollte deshalb die halbe Stunde, in der sie ihn in der Hand hat, möglichst ausnutzen. Wenn sie seiner sicher ist, hat sie immer noch Zeit genug, sich in ihn zu verlieben, soviel sie will.«
»Dein Plan ist gut«, entgegnete Elizabeth, »wo es nur um den Wunsch geht, sich gut zu verheiraten, und wenn ich auf einen reichen Mann – oder überhaupt auf einen Mann – aus wäre, würde ich ihn anwenden. Aber Jane empfindet ganz anders; sie handelt nicht aus Berechnung. Sie ist sich auch über ihre Gefühle für ihn noch gar nicht im Klaren. Sie kennt ihn doch erst 14 Tage. In Meryton hat sie mit ihm vier Tänze getanzt; an einem Vormittag war er bei ihr, und viermal war sie gemeinsam mit ihm und anderen Gästen zum Essen eingeladen. Um sich ein Urteil über seinen Charakter zu bilden, ist das sicher nicht genug.«
»Nicht, wenn du es so darstellst. Wenn sie nur mit ihm gegessen hätte, wüsste sie vielleicht nur, ob er einen guten Appetit hat; aber vergiss nicht, dass sie auch vier ganze Abende zusammen verbracht haben – und vier Abende bringen einen ein ganzes Stück weiter.«
»Ja, und diese vier ganzen Abende haben ihnen nichts weiter eingebracht, als dass sie nun wissen, dass sie beide lieber Vingt-un als Commerce spielen. Aber darüber hinaus haben sie keine wesentlichen Erkenntnisse gewonnen.«
»Immerhin«, sagte Charlotte, »ich wünsche Jane von ganzem Herzen Erfolg, und wenn sie ihn morgen heiratete, wären meiner Meinung nach ihre Chancen, glücklich zu werden, genauso groß, wie wenn sie seinen Charakter ein Jahr lang unter die Lupe nähme. Glück in der Ehe ist ganz und gar Zufall. Selbst wenn sich die Parteien vorher noch so gut kennen oder sich noch so ähnlich sind, zu ihrem Glück trägt das nicht im Geringsten bei. Sie werden sich auf jeden Fall unähnlich genug, um sich gegenseitig auf die Nerven zu gehen; und dann finde ich es besser, die Fehler des Mannes, mit dem man sein Leben verbringt, so wenig wie möglich zu kennen.«