Mörder sind keine Engel: 7 Strand Krimis. Cedric Balmore

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Mörder sind keine Engel: 7 Strand Krimis - Cedric Balmore

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gesehen, andererseits jedoch ...“

      „Fürchtest du eine Suffragette?“, ergänzte sein Vater und strich sich über den Kinnbart.

      „Wie? Nein, sie muss ja keineswegs ... ich meine, sie ist ...“

      „Immerhin mit einem doppelten akademischen Grad, Thomas. Hat in unserer Familie bislang nur mein Vater geschafft, damals, als er sich neben der Juristerei auch der Medizin zugewandt hat. Übrigens hoffe ich, dass du deine Studien neben dem Beruf nicht vernachlässigst!“

      „Nein, das mache ich nicht, meine Dissertation steht vor dem Abschluss. Und natürlich weiß ich, dass Großvater am Anatomischen Institut einen eigenen Lehrstuhl begründete. Aber trotzdem ist sie ...“

      „Es geht los!“, unterbrach ihn sein Vater und deutete zur Bühne, auf die jetzt die junge Frau trat und von einem Scheinwerfer erfasst wurde.

      Beifall brandete auf, und Thomas E. Faust blickte sich verwundert um. Er hatte kaum registriert, dass der Saal sich in den letzten Minuten derart gefüllt hatte. Seit 1914 gab es hier ein Kino im Haus, dazu ein Restaurant im Obergeschoss, zwei weitere neben dem großen Konzertsaal, in dem sie jetzt saßen, sowie im hinteren Bereich, wo es zudem einen Kaffee- und Biergarten gab.

      Nach kurzer Begrüßung kam Fräulein Dr. Dr. Dorothee Keller gleich auf ihr Thema, begann jedoch zunächst mit der Methode, die der französische Anthropologe A. Bertillon entwickelt hatte. Danach konnte man mit elf verschiedenen Körpermaßen einen Menschen identifizieren. Dieses Verfahren war bei allen Polizeieinrichtungen in Frankreich, Österreich, der Schweiz und Deutschland eingeführt und stark genutzt. Das Publikum, das nach Einschätzung des jungen Fausts überwiegend aus der gehobenen Bürgerschicht bestand, schien von der Darstellung fasziniert zu sein. Kaum hatte das gelehrte Fräulein ein paar Punkte umrissen, brachten Helfer Geräte auf die Bühne und gleich darauf eine Reihe verwegen aussehender Männer, die sich, trotz ihres Aussehens, manierlich verhielten und den Anweisungen der jungen Dame folgten.

      „Angenommen, wir müssen aus dieser Schar verdächtiger Männer einen möglichen Täter überführen, von dem wir nur eine vage Zeugenbeschreibung haben!“, begann sie ihre Ausführungen und die Helfer, die alle eine Art Uniform trugen, bemühten sich, die Männer auszumessen. Das brachte schon den einen oder anderen Ruf des Unmutes hervor, denn nicht jeder wollte seine Arme vom Körper weg strecken, damit man ihn ausmessen konnte. Schließlich wehrte sich ein großer, kräftiger Mann gegen diese Tätigkeit, indem er kurzerhand einen der Helfer bei dessen weißer Hemdbrust packte und zurückschleuderte. Fräulein Keller ließ sich davon nicht irritieren, und sofort ergriffen zwei kräftige Helfer den rabiaten Mann. Als jeder einen seiner Arme nun gewaltsam zur Seite bog, lachte das Publikum, während der so Behandelte vor Wut rot anlief und erneut versuchte, sich der Vermessung zu entziehen.

      Bei dem Gerangel stolperte schließlich einer der Helfer und wäre um ein Haar von der Bühne gestürzt, als die junge Wissenschaftlerin mit wenigen, raschen Schritten vor ihnen stand und dem Widerborstigen etwas in die Hand drückte. Jetzt schien sein Widerstand gebrochen zu sein, und die Arbeiten an ihm konnten fortgesetzt werden.

      Währenddessen erklärte Fräulein Keller dem Publikum, warum man welche Körpermaße nahm und erntete Gelächter auf die Erklärung, dass auch der Kopfumfang etwas über jemand aussagen könnte, der als geborener Verbrecher galt.

      „Sie lachen mit Recht, meine Damen und Herren, über diese Bezeichnung. Aber der italienische Kriminologe und Jurist Cesare Lombroso begründete diese Lehre, delinquente nato, vom geborenen Verbrecher. Er behauptete, dass aggressive Verhaltensweisen vererbbar wären und einen Menschen auch äußerlich formten. Zusammengewachsene Augenbrauen und bestimmte Schädelformen sind nach seiner Lehre Hinweise auf eine atavistische und damit niedrige und gewalttätige Entwicklungsstufe. Betrachten Sie nun mit diesem Wissen diese drei Herren genauer!“

      Rascheln von Kleidern, leises Flüstern, einige Damen packten kleine Operngläser aus und hielten sie sich an die Augen, gefolgt von unterdrückten Seufzern und leisem Stimmengemurmel.

      Dann hob die Wissenschaftlerin wieder ihre Hand und bat um Ruhe.

      „Nun, Sie haben sicher Ihre Beobachtungen gemacht. Mein Dank gilt den Freiwilligen, die sich hier für meine kleine Vorführung zur Verfügung gestellt haben. Herr Donners, darf ich Sie bitten, vorzutreten und uns Ihren Beruf zu nennen?“

      Der so angesprochene Mann trat nach vorn. Es war der, der sich gegen die Vermessung seiner Körpermaße gewehrt hatte.

      Fräulein Keller reichte ihm die Hand, und als sich der große Mann artig darüber beugte, ging erneut ein erstauntes Raunen durch die Reihen.

      „Würden Sie bitte den anwesenden Herrschaften verraten, welchen Beruf Sie ausüben, Herr Donners?“

      Der Mann, der nur ein grobes Leinenhemd über einer schmutzigen Hose trug, unter der unförmige Schuhe hervorsahen, verbeugte sich und antwortete strahlend: „Mein Name ist Ludwig Donners, ich bin Dirigent am Theater von Kassel und derzeit zu einem Gastspiel am hiesigen Theater!“

      Ungläubiges Schweigen, dann folgte donnernder Applaus.

      „Und jetzt diese drei Herren, die sich auf meinen Wunsch seit gestern nicht mehr rasiert haben. Sehen Sie nicht furchtbar aus? Möchten Sie diesen Herren im Dunkeln begegnen? Nein? Bitte, stellen Sie sich doch einmal vor, meine Herren!“

      „Das ist doch ...“, sagte Faust senior leise, denn er hatte die drei Männer trotz der derben Arbeiterkleidung erkannt.

      „Wir sind alle drei Wachtmeister der hiesigen Polizei und nennen ausnahmsweise einmal nur unsere Vornamen – dort steht Walter, daneben Otto, ich höre auf den schönen Namen Wilhelm!“, erklärte einer der Männer, und auch sie erhielten donnernden Applaus.

      „Danke, verehrtes Publikum. Sie ahnen es, ich habe Sie auf das Glatteis geführt. Alles, was Sie bislang gesehen haben, war ein Teil meiner Show. Ich wollte Ihnen zeigen, dass nicht jeder, der ein wenig grob aussieht, auch ein Verbrecher sein muss. Und auch, dass die Bestimmung eines Menschen nach einer Beschreibung und erfolgten Vermessung äußerst unzuverlässig ist. Wir sollten deshalb endlich zu einem Verfahren wechseln, das es ermöglicht, die Identität eines Menschen zweifellos zu klären.“

      „Etwa mithilfe von Lichtbildern? Viel zu aufwändig!“, rief jemand aus dem Publikum, und Faust senior beugte sich rasch nach vorn, um zu erkennen, wer den Zwischenruf getätigt hatte.

      „Natürlich, der Herr Erich Bertram!“, sagte er leise und sein Sohn bemerkte, wie sich die rechte Hand seines Vaters um die Lehne verkrampfte. Der alte Polizeipräsident hegte keine sonderliche Sympathie für seinen Nachfolger im Amt.

      „Danke, für Ihren Zwischenruf, Herr Polizeipräsident!“, antwortete die junge Dame und erntete dafür erneut Beifall. „Die Lichtbildtechnik ist aus dem Alltag eines Kriminalisten schon längst nicht mehr wegzudenken. Nein, ich meine das Verfahren der Daktyloskopie, und zwar in der Form, in der sie von dem Engländer Francis Galton verbessert, ja, geradezu perfektioniert wurde.“

      „Hört, hört!“, ließ sich erneut die Stimme des Polizeipräsidenten vernehmen. „Das ist doch nichts als wissenschaftlich verbrämter Humbug!“

      Sein Amtsvorgänger stieß ein verächtliches Schnauben aus, das aber nur sein Sohn vernehmen konnte, denn sie saßen in ihrer Loge zu weit von den anderen entfernt.

      „Dank auch für diesen Zwischenruf, Herr Polizeipräsident. Das zeigt mir, dass Sie sehr offen für neue Techniken sind!“,

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