Mörder sind keine Engel: 7 Strand Krimis. Cedric Balmore
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Читать онлайн книгу Mörder sind keine Engel: 7 Strand Krimis - Cedric Balmore страница 39
„Was haben Sie vor, Fräulein Keller?“
„Sie haben doch dienstfrei, oder nicht? Ich lade Sie zu einer Tasse Kaffee ein. Es ist an der Zeit, dass wir uns ein wenig besser kennenlernen!“
Der Blick, den sie ihm dabei unter ihrem modischen Hut zuwarf, elektrisierte Faust förmlich. Der Augenblick schien ihm länger, als mit dem Autofahren verträglich, aber da blickte sie schon wieder durch die senkrecht stehende Frontscheibe und fuhr am 1861 eröffneten Staatstheater vorbei auf die Kaiser-Wilhelm-Allee und lenkte stadtauswärts.
Thomas Faust dachte gerade daran, dass man den Namen dieser Prachtstraße kürzlich in Friedensallee umgeändert hatte. Unsinnige Umbenennung, denn wenn auch die Monarchie nach Kriegsende 1918 abgeschafft wurde, redete kein Mensch in unserer Stadt von einer Friedensallee, dachte Faust, als ihm plötzlich etwas anderes einfiel. Was hatte der Schutzmann noch gesagt? Dann ist die Dame also doch eine Kollegin. Was war das für ein Blödsinn? Durch den Motorenlärm war eine Unterhaltung nicht sonderlich angenehm, aber Faust stellte nun doch die Frage: „Der Polizist wollte Sie zur Anzeige bringen, Fräulein Keller, und was haben Sie ihm da gesagt?“
Erneuter Augenkontakt, ein spöttisches Lächeln um die Lippen, dann hob sie leicht ihre Kinnspitze und antwortete: „Der Wachtmeister war der Meinung, dass ich nicht gegenüber dem Präsidium mein Automobil abstellen dürfe, auch nicht, um auf eine Person zu warten, wie ich ihm erklärte.“
„Das ist vollkommen richtig von dem Mann gewesen. In der Münzstraße verkehrt die Elektrische, und wenn am Straßenrand ein Fahrzeug steht, kann es zu Problemen kommen. Stellen Sie sich vor, ein Kohlenhändler will dort anliefern und kommt nicht zwischen der Bahn und Ihrem Auto durch – und schon haben wir große Schwierigkeiten, denn die Bahn muss ja pünktlich sein.“
„Ja, verstehe. Es war aber kein Kohlenhändler weit und breit zu sehen. Auch kein Mensch mit einem Handkarren.“
Erneuter, spöttischer Seitenblick.
Diese Blicke! Sie macht mich ganz konfus! Hat sie das einstudiert oder ist es ihre normale, natürliche Art?, fragte Faust sich. „Sicher, der Mann tat auch nur seine Pflicht, noch dazu, gegenüber vom Präsidium, wo ihn die Kollegen beobachten konnten. Aber weshalb glaubte er, dass Sie eine Kollegin sind?“
Fräulein Keller lachte erneut belustigt auf, fuhr mit der rechten Hand an ihre Sitzseite und zog ein kleines, bedrucktes Kärtchen heraus, das sie ihm aushändigte. Faust las verwundert: Dr. Dr. Dorothee Keller. Kriminalistin & Detektivin. Und in einer eleganten Schrift darunter stand die Zeile: Honorably City of Chicago Sheriff. Daneben war ein fünfzackiger Stern erkennbar. Faust fühlte das kostbare Papier und tastete über den geprägten Stern.
„Und das hat unser Schutzmann für einen Ausweis gehalten, mit dem Sie sich als amerikanischer Polizist vorgestellt haben?“
„Ehren-Sheriff, genauer gesagt, Herr Faust. Es ist meine legale, vollständige Visitenkarte, die ich mir für Deutschland herstellen ließ. Ich habe vor, in meinem Haus ein kriminalistisches Institut mit einem Labor einzurichten. Aber lassen Sie sich überraschen, wir sind gleich am Ziel.“
Der Polizeiagent erkannte, dass sie nun in die Wilhelm-Bode-Straße einbogen und wenig später vor einer Toreinfahrt anhielten, hinter der eine gepflasterte Zufahrt zu einer weiter zurückliegende Villa führte. Wie durch Zauberhand öffnete sich das große, schmiedeeiserne Tor, und der rote Sportwagen brummte in rascher Fahrt bis vor die Villa. Der Motor verstummte plötzlich, und in die entstandene Stille hinein ertönte erneut das fröhliche Gelächter der jungen Frau.
„Sie müssten einmal Ihr Gesicht in einem Spiegel betrachten, Herr Faust! Fast könnte man glauben, ich hätte Sie beeindruckt!“
Faust räusperte sich rasch, kletterte aus dem Wagen und eilte auf die andere Seite, um seiner Fahrerin zu helfen.
„Besten Dank, aber eine autofahrende Frau ist durchaus in der Lage, sich selbst die Fahrzeugtür zu öffnen. Darf ich bitten?“
Mit einer anmutigen Handbewegung deutete sie auf die hell gestrichene Hausfront, vor der fünf mächtige Säulen standen und Faust an eine Miniaturausgabe des römischen Pantheons erinnerten. In der weit geöffneten, massiven Tür war ein Hausdiener erschienen, der tatsächlich einen Frack und dazu weiße Handschuhe trug. Aber der Polizeiagent verkniff sich jede Gesichtsregung, biss sich dabei aber immer wieder leicht auf die Zunge, um nicht laut herauszuplatzen.
Diese Amerikaner haben doch einen herrlichen Zug, alles nachzuahmen, was ihnen besonders und elegant erscheint! In einem römischen Palast nun auch noch ein englischer Butler – ach, Fräulein Keller, muss denn so etwas sein?, schoss es ihm durch den Kopf, als der Diener ihn mit einer kurzen, angedeuteten Verbeugung begrüßte. Faust vermutete, dass er enttäuscht war, ihm weder Zylinder noch Gehstock abzunehmen, und für einen kurzen Moment fühlte er sich wie bei einem Besuch in einem königlichen Palast. Aber nein – er betrat das Haus einer modernen, aufgeschlossenen Frau, die schließlich ihre akademischen Studien in seiner Heimatstadt fortsetzen wollte. Für einen Moment hatte er wieder die Karte vor Augen. Detektivin! Na, das mochte etwas in Braunschweig sein! Wir verfügen derzeit über neun Polizeibezirke mit eigenen Wachen, wir sind gut sechshundert Polizisten bei der Schutzpolizei, von unserer Abteilung ganz zu schweigen. In der Stadt leben etwa hundertsechzigtausend Bürger. Und jetzt auch noch eine Detektivin? Das wird mehr Ärger als Nutzen für uns bringen!, überlegte Faust, als er von seiner charmanten Gastgeberin in einen gediegen eingerichteten Salon geführt wurde.
Auf einem Tischchen stand eine Etagere mit verlockend aussehenden Pralinen, davor zwei sehr modern wirkende, geschwungene Sessel. Aber wirklich erstaunt war Thomas Faust über die Wände, die mit deckenhohen Regalen zugestellt und mit einer unglaublich großen Menge von Büchern gefüllt waren. Er schätzte, dass in dem sichtbaren, saalähnlichen Raum dahinter wohl an die zehntausend Bücher stehen mussten.
„Tee, Kaffee oder etwas Stärkeres?“
„Gern einen Kaffee, Fräulein Keller.“
Der Diener hatte sie schweigend begleitet und blickte jetzt erwartungsvoll in die Richtung der Hausherrin.
„Bringen Sie uns bitte zwei türkische Mocca, Edmund.“
Sie hatte den eleganten Hut achtlos auf die Garderobe im Flur gelegt, war sich mit der Hand über die mit einem Bobschnitt kurzgeschnittenen Haare gefahren und dann zu Thomas Faust getreten, der seinen Blick nicht von den Buchrücken abwenden konnte.
„Mocca? Ja, warum nicht, sehr anregend!“, sagte der Polizeiagent und erntete erneut ein Lächeln. Als seine Gastgeberin jetzt etwas aus einem der Regale zog und sich so dicht vor ihn stellte, dass er ihr Parfum roch, klopfte sein Herz plötzlich schneller und schlug ihm bis in den Hals hinauf. Dorothee Keller drückte ihm etwas in die Hand, aber er konnte den Blick nicht von ihren Augen abwenden. Sie strahlten ihn mit einem Blau an, das ihn an die Farbe des italienischen Meeres erinnerte, wie er es im vergangenen Sommer kennenlernen durfte.
Sein Vater hatte ihm zum bestandenen Staatsexamen eine Kunststudienreise nach Italien geschenkt, und nach einer etwas abenteuerlichen und anstrengenden Bahnreise,