Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker

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Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021 - Alfred Bekker

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beinahe entspannter Zug.

      Wang drehte den Kopf und sah seine Tochter an.

      „Du bist eine gelehrige Schülerin gewesen“, sagte er. „Ich kann dir nichts mehr beibringen. Alles, was du jetzt noch zu lernen hast, wird die Erfahrung der Jahre bringen.“

      „Ich danke dir für deine Worte“, sagte Li – unendlich erleichtert darüber, dass die Blätter, die sie angefertigt hatte, dem strengen Blick von Meister Wang standgehalten hatten. Ein verhaltenes Lächeln spielte um ihre Lippen. Das Gesicht ihres Vaters aber blieb ernst. Der Blick wirkte in sich gekehrt. Nachdem Lis Mutter vor Jahren der Seuche anheim gefallen war, die Seidenhändler aus Xingqing in die Gegend brachten, hatte Li ihren Vater nie wieder wirklich unbeschwert erlebt. Fast die Hälfte der Bevölkerung in der kleinen Stadt am äußersten westlichen Rand des Reiches Xi Xia hatte das Fieber hinweg gerafft. Darunter auch zwei von Lis insgesamt drei Brüdern. Der dritte Bruder war dann bei einem Überfall einer uigurischen Räuberbande ums Leben gekommen. Gold und Seide flossen seit langer Zeit die Seidenstraße entlang. In letzter Zeit war vor allem der Handel mit Pferden hinzugekommen, denn das Reich des im fernen Bian regierenden Kaisers wurde ständig von Aufständen bedroht. Dementsprechend groß war dort der Bedarf der widerstreitenden Mächte an Reittieren. Doch nach Pferden, Gold und Seide gierte es auch andere.

      Der Handel an der Seidenstraße hatte auch dem Papiermacher Wang und seiner Familie Wohlstand gebracht. Da, wo Verträge geschlossen, Warenlisten aufgeschrieben und Wechsel ausgestellt wurden, brauchte man diesen besonderen Stoff fast so dringend wie die Handelsware selbst. Papier trug die Verse der Weisen aus Tibet, die Suren des Koran oder die Heilige Schrift der Nestorianer, die den Glauben an Jesus Christus bis an die Grenzen des Reichs der Mitte gebracht hatten, genauso wie Zahlen und Liefertermine. Überall waren daher die Künste der Papiermacher ebenso gefragt wie jene von Schreibern und Übersetzern.

      „Die Kunst, die ich dich gelehrt habe, ist mehr wert, als ein Klumpen Gold oder ein großer Besitz“, sagte Wang an seine Tochter gewandt. „Besitz kann man dir nehmen, dein Wissen aber nicht. Die Zeiten sind unsicher und der Reichtum zieht die Räuber an wie das Licht die Motten. Aber niemand kann dir deine Fertigkeit in der Kunst des Papiermachens nehmen, die ich in deine Seele gepflanzt habe, so wie es mein Vater bei mir getan hat. Denk immer daran: Wissen und Können sind nicht nur dein wertvollster Besitz, sondern wohl auch der Einzige, den du mit Sicherheit behalten wirst, bis deine Seele zu den Ahnen gegangen ist.“

      „Ich werde dieses Wissen immer in Ehren halten“, versprach Li.

      „Du weißt, dass ich aus Erfahrung spreche“, fuhr Wang fort. Der Respekt gegenüber ihrem Vater verbot es Li, darauf hinzuweisen, dass sie diese Geschichte schon dutzendfach zu hören bekommen und ihre Lektion gewiss längst daraus gelernt hatte. „Du warst noch ein Säugling, als wir die Hauptstadt verlassen mussten“, fuhr Wang fort. „Aber es kommt mir manchmal vor, als sei es erst gestern gewesen... Eine gutgehende Papierherstellung gehörte mir und ich ließ zwanzig Gesellen für mich arbeiten!“ Wenn Wang von der Hauptstadt sprach, dann meinte er keineswegs die Hauptstadt von Xi Xia, sondern das ferne Bian, wo die Söhne des Himmels das Reich der Mitte regierten. „Der Kaiserhof und die Verwaltung hatten einen so hohen Bedarf an frischem Papier, dass man sich das hier, am Rand der zivilisierten Welt, gar nicht vorzustellen vermag“, erklärte Wang. „Und es gab so viele abgelegte Seidengewänder, die man verwenden konnte – hier dagegen müssen wir ja oft genug alle möglichen Lumpen zerstampfen und wie du weißt, mengen einige meiner wenig ehrenhaften Konkurrenten sogar getrocknetes Gesträuch, Holzspäne und Stroh in den Papierbrei, was man den Blättern später auch ansieht! Ja, manche Blätter riechen sogar nach Hühnermist, Kamelhaaren und Dingen, die so unrein sind, dass ich mir gar nicht erst vorzustellen versuche, wie unsere edle Kunst da im wahrsten Sinn des Wortes in den Schmutz gezogen worden ist.“ Wang machte eine wegwerfende Handbewegung und verzog angewidert das Gesicht. Allein der Gedanke, dass auf solch unreines Papier womöglich heilige Gebete oder hohe Poesie geschrieben wurden, erschien ihm wohl wie eine unerträgliche Entweihung. Nie wurde er müde, sich über solchen Frevel am sauber ausgeführten Handwerk aufzuregen. Dann schüttelte er den Kopf und sein Gesichtsausdruck bekam einen Zug von Melancholie. „Ich hätte in Bian mein Lebtag ein gutes Auskommen haben können und wahrscheinlich hätte ich am Ende meiner Tage jedem meiner Söhne eine eigene Papiermanufaktur vererben und jeder meiner Töchter eine reichliche Mitgift hinterlassen...“ Wang ersparte es Li dieses Mal, sich das damalige Verhängnis noch einmal in aller Ausführlichkeit berichten lassen zu müssen. Ein Verhängnis, das mit der Machtergreifung eines Militärgouverneurs begann, der sich zum Kaiser aufgeschwungen hatte. Durch die Denunziation eines Konkurrenten war Wang auf eine Liste unliebsamer Personen gekommen. Nur die rasche Flucht hatte ihm und seiner Familie das Leben gerettet. Sein ehemaliger Besitz war in die Hände des Staates gelangt. Alles hatte er zurücklassen und hier, im äußersten Westen neu angefangen.

      Xi Xia gehörte von Rechts wegen zwar auch noch zum Reich des Himmelssohnes, aber faktisch war das Gebiet unabhängig. Hier hatte Wang ein sichere Zukunft für seine Familie erhofft.

      Doch diese Hoffnung hatte sich nicht erfüllt.

      Seine Frau und seine Söhne waren tot – und die Manufaktur, die Wang betrieb, hatte nur drei angestellte Gesellen. Zweimal hatte Wang sie wieder aufbauen müssen. Einmal nach einem großen Feuer und ein anderes Mal nach einem Überfall von Steppenräubern. „Am Ende mit leeren Händen vor die Ahnen zu treten – das wünsche ich niemandem!“, murmelte Wang vor sich hin. Li wusste, dass er in diesem Augenblick mehr zu sich selbst, als zu ihr sprach.

      ––––––––

      Von draußen waren jetzt aufgeregte Stimmen zu hören. Einer der Gesellen aus der Manufaktur stürzte herein. „Reiter kommen! Es sind viele! Sie tragen Fackeln!“

      „Bei allen Göttern!“, murmelte Wang und das Gesicht des Papiermachers wurde bleich. „Verschließt Fenster und Türen!“, rief er und fasste dann den Gesellen bei den Schultern. „Sind die Türen und Läden der Werkstatt verschlossen, Gao?“

      „Es wird uns nichts nützen!“, fürchtete der Geselle.

      Li eilte zum Fenster und schob den schweren Vorhang zur Seite. Das Donnern der Hufe war bereits unüberhörbar. Schreie gellten. Es waren von heiseren Männerstimmen ausgestoßene Befehle und Li verstand zumindest ein paar Bruchstücke davon.

      „Uiguren!“, stieß sie hervor.

      In Xi Xia lebten Tanguten, Uiguren und Angehörige des Han-Volkes aus dem Reich der Mitte seit jeher mehr oder weniger friedlich zusammen. Auf den Märkten dominierten diese drei Sprachen zusammen mit dem Persischen und Li war daher von klein auf mit dem Uigurischen in Berührung gekommen, viele der Händler und Karawanenführer sprachen einen der uigurischen Dialekte und man sagte, dass es fast unmöglich war, ein Pferd oder ein Kamel zu einem gerechten Preis zu erhandeln, wenn man dieser Sprache nicht mächtig war.

      Li hatte immerhin genug davon aufgeschnappt, um sich einigermaßen verständigen zu können, so wie sie auch etwas Persisch verstand. Andernfalls hätte sie auf dem Markt keinen Handel abschließen können, denn kaum einer der Händler konnte sich gut genug in der Zunge des Han-Volks ausdrücken.

      Mindestens hundert Reiter preschten die Hauptstraße entlang, in der sich fast alle Häuser des Ortes und die Stallungen der Karawansereien wie an einer Perlenkette aufreihten. Eine Schutzmauer aus angespitzten Palisaden umschloss zumindest den inneren Bereich des Ortes, der um eine Wasserstelle herum angelegt worden war.

      Meister Wangs

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