Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker
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Von den Brustwehren aus empfing die Angreifer ein Pfeilhagel. Einige der Uiguren wurden aus den Sätteln geholt, aber noch ehe die tangutischen Bogenschützen ihren zweiten oder dritten Pfeil eingelegt hatten, kämpften die ersten Angreifer bereits die Wächter am Tor nieder und preschten in den inneren Bereich.
Die ersten Uiguren hatten auch das Haus von Meister Wang erreicht. Im Vorbeipreschen warf einer von ihnen eine Fackel durch das Fenster, ehe Li die Läden hatte schließen können.
Die Fackel rollte über den Boden. Die Flammen erfassten einen Vorhang und papierenen Wandschmuck. Der Inhalt einer Öllampe entzündete sich und es dauerte nur Augenblicke bis dichter Qualm entstand.
„Hinaus!“, hörte sie den heiseren, hustenden Ruf ihres Vaters. Sie sah seine Gestalt durch den dichten Rauch taumeln, dann eine zweite – den Lehrling Gao.
Das ist ihr Ziel, durchfuhr es Li mit bitterer Wut im Herzen. Sie wollen uns ins Freie treiben... Uns und das Vieh!
Der Qualm biss Li in den Augen. Zusammen mit ihrem Vater und dem Lehrling Gao stürzten sie wenige Augenblicke später zur Tür hinaus ins Freie, wo sie die Uiguren bereits in Empfang nahmen. „Los, schneller!“, rief einer von ihnen in schlechtem, akzentschweren Chinesisch, um dann allerdings gleich in einen Uiguren-Dialekt zu wechseln. „Raus mit euch! Oder wir schneiden euch gleich die Kehlen durch!“ Das Gesicht des Uiguren wurde durch eine Narbe gezeichnet, die sich von der linken Augenbraue diagonal über das gesamte Gesicht bis zum rechten Mundwinkel zog. Ein Schwertstreich musste ihm das Gesicht auf diese Weise entstellt haben. Er trug einen Helm, dem man noch ansehen konnte, dass das Falken-Abzeichen des Herrschers von Xi Xia grob entfernt worden war – ein Abzeichen, wie es die Außenposten und Kundschafter trugen, deren Aufgabe es eigentlich gewesen wäre, rechtzeitig vor einem Überfall zu warnen.
Doch dazu waren jene Männer wohl einfach nicht mehr gekommen. Mochten die Götter wissen, wo jetzt die Aasfresser an ihren Gebeinen nagten. Ihre Ausrüstung hatten die Uiguren offenbar unter sich aufgeteilt.
Wang stieß unterdessen einen Schrei des Entsetzens aus, als er sah, dass seine Werkstatt in hellen Flammen stand. Einer der Männer war ins Innere eingedrungen und kehrte jetzt mit einem Schöpfsieb zurück, bei dem er sich wohl nicht so recht im klaren war, ob es irgend einen Wert besaß.
Er warf es schließlich achtlos in den Staub, als ein Reiter heranpreschte und ihm etwas zurief. Li verstand die Worte sinngemäß. Offenbar hatten die Uiguren es geschafft, den Stadtkommandanten gefangen zu nehmen.
Die Männer hoben die Arme hoch und stießen wilde Freudenschreie aus.
„Das gibt ein hohes Lösegeld“, rief der Mann mit der Narbe.
Li atmete tief durch. Darum ging es dieser Bande also in erster Linie: Lösegeld. Wer reich oder mächtig oder noch besser beides gleichzeitig war, für dessen Freiheit würde viel Silber gezahlt werden und er hatte eine gute Aussicht, bald schon unversehrt zurückkehren zu können. Das Schicksal der anderen war dagegen völlig ungewiss.
Für uns wird niemand zahlen!, dachte Li resignierend.
––––––––
Die Kämpfe innerhalb der Befestigung waren abgeflaut. Hier und da war noch das Wimmern von verletzten Tanguten zu hören. Die Uiguren erstachen sie, um ihnen ungestört Waffen, Stiefel und Brustharnische abnehmen zu können.
Zusammen mit den Pferden wurden Li, ihr Vater und der Geselle Gao auf den Platz vor dem Palisadentor getrieben. Rinder und Hühner liefen dort ebenfalls herum und einer der Uigurenkrieger regte sich darüber auf, dass auch unreine und für Muslime ungenießbare Schweine sich hier tummelten.
Der Narbengesichtige trat auf Li zu, packte sie grob am Handgelenk und entriss ihr Armreifen und Kette. Beides ließ er nach kurzer Begutachtung in den Taschen seines Lederwamses verschwinden. Dann fasste er Li grob am Kinn, bog ihren Kopf zur Seite. Durch den Druck seiner Finger auf ihre Wangen zwang er sie dazu den Mund zu öffnen, sodass er ihre Zähne sehen konnte. „Du siehst hübsch aus“, sagte er. „Mit etwas Glück können wir dich gut verkaufen.“ Dann stieß er sie so grob vorwärts, dass sie zu Boden fiel.
Ihr Vater wollte ihr helfen, und machte ein paar schnelle, entschlossene Schritte auf den Narbigen zu, so als wollte er sich auf ihn stürzen. Aber ein anderer Uigure hielt ihm die Spitze seines Schwertes an die Kehle. „Vorsicht!“, stieß der Uigure grimmig hervor. „Ich werde dich Respekt lehren!“
Er hob sein Schwert und holte aus.
„Lass ihn!“, hielt ihn die Stimme des Narbigen auf.
Irritiert senkte der andere Uigure seine Klinge. „Wieso hast du Mitleid mit einem wie dem? Er hat mich doch angreifen wollen!“
„Mein Vater wollte mich nur schützen!“, mischte Li sich ein.
Der Mann mit der Narbe achtete jedoch nicht weiter auf die junge Frau. Er deutete auf die Werkstatt, aus deren Fenstern jetzt dunkle Rauchsäulen herausquollen. „Gehört dir die Werkstatt?“, fragte er in barbarischem Chinesisch.
„Ja.“
„Dann bist du einer, der den Stoff macht, auf dem die gemalten Worte stehen!“
„Ja, so ist es.“
„Gepriesen sei Allah!“, stieß er hervor und er sandte dabei einen Blick in Richtung des Himmels. Er deutete auf das Schöpfsieb, das zuvor achtlos in den Staub geworfen worden war. „Dann gehört dir das?“
„Ja“, nickte Wang.
„Beim Propheten, ich habe deinesgleichen schon dabei zugesehen, wie ihr das Papier schöpft, auch wenn ich nicht verstanden habe, was man eigentlich dazu tun muss. Aber egal, so einen wie dich brauche ich!“ Der Mann mit der Narbe hob das Sieb auf und warf es Wang zu. Dieser fing es auf. „Mag sein, dass du die Worte des Propheten nicht zu lesen vermagst, aber Allah wird sehen, dass ich dabei geholfen habe, sein Buch zu verbreiten, indem ich diesen schlitzäugigen Heiden gefangennahm! Wir nehmen alle mit, die zu dir gehören, Mann! Und dein Sieb nimm mit dir – denn du wirst schon sehr bald beweisen müssen, dass du die Wahrheit gesprochen und mich nicht angelogen hast!“ Er bedachte Wang mit einem abschätzigen Blick und wandte sich anschließend an jenen Krieger, der Wang gerade noch den Kopf hatte abschlagen wollen. „Pass auf diesen Mann besonders gut auf und krümme ihm und allen, die für ihn arbeiten, kein Haar, Mahmut!“
„Wie du befiehlst, Herr!“, gab Mahmut etwas irritiert zurück.
Der Mann mit der Narbe klopfte ihm heftig auf die Schulter. „In Samarkand und Buchara schreiben persische Gelehrte angeblich jeden Tag ein Buch! Sie diktieren ganzen Heerscharen von Kalligraphen ihre Weisheiten und füllen Bibliotheken, die so unsagbar groß sind, dass Allah es einem einfachen Mann wie mir nicht gestattet, sich das wirklich