Frankreich - eine Länderkunde. Henrik Uterwedde
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c) Von der Vierten zur Fünften Republik (1946–1958)
General de Gaulle, dessen konsequenter Widerstand gegen Hitler und gegen die Kollaboration des Pétain-Regimes zur Befreiung Frankreichs durch die alliierten Truppen beigetragen hatte, wurde zum Chef einer provisorischen Regierung bestellt, die die dringendsten Aufgaben des Wiederaufbaus in die Wege leiten sollte. Allerdings trat de Gaulle am 20.1.1946 zurück, weil die Verfassungsgebende Nationalversammlung in seinen Augen eine ausschließliche Parteienherrschaft wiederherstellen wollte, die er scharf ablehnte. So entstand mit der IV. Republik ein parlamentarisches System nach dem Muster der III. Republik, in der die Regierung stark vom Parlament und den oft wechselnden Stimmungen der Parteien abhängig wurde. De Gaulle zog sich daraufhin aus der Politik zurück. Die IV. Republik erwies[28] sich sehr bald als instabil; taktische Manöver der führenden Parteien und wechselnde Mehrheiten führten zu ständigen Regierungswechseln. Die politischen Institutionen und auch die Parteien funktionierten im Kern immer noch wie im 19. Jahrhundert und waren damit den völlig veränderten Anforderungen an eine moderne Regierung, die eine stärkere Handlungsfähigkeit der Exekutive erforderten, nicht mehr gewachsen.
Während die politische Erneuerung Frankreichs zunächst gescheitert war, wurde die wirtschaftliche und soziale Erneuerung gleich nach 1944 energisch in Angriff genommen. Denn die führenden Eliten und fast alle Parteien waren sich einig darin, dass Frankreichs gebremster Strukturwandel und der Modernisierungsrückstand für die schmachvolle militärische Niederlage 1940 mitverantwortlich gewesen waren. In einem breiten politischen Konsens, der von den Gaullisten bis zu den Kommunisten reichte, wurde nach 1944 die rasche wirtschaftliche und soziale Modernisierung zur nationalen Aufgabe erklärt. „Modernisierung oder Dekadenz“, so formulierte einer der Väter des französischen Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, Jean Monnet, die Aufgabe der Stunde. Es bestand auch Übereinstimmung darin, dass diese Aufgabe nicht alleine dem Markt oder den Unternehmen überlassen werden könne. Die Modernisierung bedurfte einer effektiven Steuerung. Dafür wurden die notwendigen Voraussetzungen geschaffen: Eine moderne Verwaltung wurde aufgebaut, umfangreiche staatliche Lenkungsmittel entstanden – wie die Planification, staatliche Unternehmen vor allem im Finanzsektor und bei den großen Versorgungsunternehmen oder die Investitionslenkung durch staatliche Kreditpolitik, Sektoren-Entwicklungspläne usw. (→Kap. 6.1).
Die IV. Republik zerbrach vor allem an ihrer Unfähigkeit, die wachsenden Auseinandersetzungen in den Kolonien (Indochina, Nordafrika) zu beenden. In einer bürgerkriegsähnlichen Situation (Putsch der Generäle in Algier, der auf das Mutterland überzugreifen drohte) wurde schließlich Charles de Gaulle als „Retter in der Not“ gerufen. Dieser legte alsbald einen Verfassungsentwurf vor, der seinen Vorstellungen einer starken Exekutive und eines „gezähmten“ Parlaments entsprach und der am 28.9.1958 in einer Volksabstimmung gebilligt wurde: Die V. Republik war geboren.
d) Die Fünfte Republik (seit 1958)
De Gaulle wurde zum ersten Staatspräsidenten der V. Republik gewählt und prägte deren Beginn bis zu seinem Rückzug 1969. Kraft seiner Autorität und mit Hilfe direkter Volksentscheide setzte er die unausweichlich gewordene Entkolonisierung gegen manche Widerstände – die sich immer wieder in teilweise blutigen Anschlägen seitens seiner Gegner zeigten – durch. Mit der Billigung des Abkommens von Evian 1962 und der Unabhängigkeit Algeriens wurde die Entkolonisierung abgeschlossen. 1958 traten die – noch in der IV. Republik ausgehandelten – Römischen Verträge in Kraft, mit[29] denen die europäische Integration begann, zunächst als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft mit sechs Mitgliedstaaten (heute: Europäische Union mit 28 Mitgliedstaaten). 1963 begann mit dem Elysée-Vertrag eine institutionalisierte deutsch-französische Regierungszusammenarbeit, die sich als wichtiger Wegbereiter zahlreicher Fortschritte der europäischen Integration erweisen sollte (→Kap. 10.3).
1981 erfolgte der erste Machtwechsel in der V. Republik, als François Mitterrand, Kandidat der Linken, die Präsidentschaftswahl gewann und eine Regierung mit Sozialisten und Kommunisten bildete. Allerdings scheiterte sein Kurs einer dezidiert linken Antikrisenpolitik (Verstaatlichung von Unternehmen, ein durch Defizite finanziertes Konjunkturprogramm, ehrgeizige Industriepolitik) bereits nach kurzer Zeit. Mitterrand leitete im März 1983 eine wirtschaftspolitische Wende ein, mit der sich Frankreich stärker dem deutschen Kurs näherte.
In den darauf folgenden Jahren bis heute bestimmten wachsende wirtschaftliche und soziale Probleme die Politik. Diese fand keine Mittel, der krisenhaften Entwicklung wirksam zu begegnen. Die Folge waren häufige politische Wechsel: Linke, konservative und Kohabitations-Regierungen (→Kap. 2.2) folgten aufeinander; unterdessen stieg der rechtsextreme Front national seit den 1980er Jahren zu einer immer stärkeren politischen Kraft auf (→Kap. 3.2). Nach dem Start der Wirtschafts- und Währungsunion geriet die Wirtschaft in neue Turbulenzen; die Frage der Reform- und Anpassungsfähigkeit stellte sich immer dringlicher, wurde aber sehr kontrovers diskutiert, ebenso wie die Stabilitätsregeln der Währungsunion. Die terroristischen Anschläge ab 2015 haben ihrerseits politische Spannungen verschärft und neue Kontroversen über innere Sicherheit, Einwanderung und die Bedrohung durch islamistische Gewalt entfacht.
Weiterführende Literatur
– Etienne François (Hrsg.): Geschichtspolitik in Europa seit 1989: Deutschland, Frankreich und Polen im internationalen Vergleich, Göttingen: Wallstein 2013
– Frankreichs Geschichte: vom (politischen) Nutzen der Vergangenheit, Dossier in: Deutsch-Französisches Institut (Hrsg.): Frankreich-Jahrbuch 2010, Wiesbaden: VS 2011, S. 11–173
– Hartmann, Peter C.: Geschichte Frankreichs: Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München: C. H. Beck, 5. Aufl. 2015, 128 S.
– Josef Jurt: Frankreichs engagierte Intellektuelle: von Zola bis Bourdieu, Göttingen: Wallstein 2012, 288 S.
– Josef Jurt: Sprache, Literatur und nationale Identität: die Debatten über das Universelle und das Partikulare in Frankreich und Deutschland, Berlin: de Gruyter 2014, 306 S.
– [30]Kulturnation Frankreich? Die kulturelle Dimension des gesellschaftlichen Wandels. Themenschwerpunkt in: Deutsch-Französisches Institut (Hrsg.): Frankreich-Jahrbuch 2011, Wiesbaden: Springer VS 2012, S. 11–156
– Wilfried Loth: Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert, Frankfurt/M.: Fischer 1992, 304 S.
– Pierre Nora (Hrsg.): Erinnerungsorte Frankreichs, München: C. H. Beck 2005, 667 S.
– Robert Picht, Frankreich in der Identitätskrise. Nation, Staat und Politik in der internationalen Verflechtung, in: Länderprofile. Politische Kulturen im In- und Ausland, Stuttgart 1993, S. 42–55
– Jörg Requate: Frankreich seit 1945, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2011, 254 S.
– Pierre Rosanvallon: Die gute Regierung, Hamburg: Hamburger Edition 2016, 384 S.
Im Internet
– http://www.histoire-pour-tous.fr/histoire-de-france.html