Frankreich - eine Länderkunde. Henrik Uterwedde

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2.3). Inzwischen hat sich die absolute Vorherrschaft des Gesetzes der Republik stark relativiert: Der 1958 eingerichtete Verfassungsrat kann inzwischen – allerdings erst seit kurzer Zeit – auch bestehende Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen; die Regierung hat eine Fülle von Möglichkeiten, um mit Verordnungen zu regieren; schließlich hat auch die[21] europäische Integration und die europäische Rechtsetzung eine normative Kraft, die nationale Gesetze relativiert.

      d) Zentralismus

      Der Zentralismus ist mithin ebenfalls eines der Kernelemente der französischen Demokratie. Der Prozess der nationalen Einheit Frankreichs vollzog sich im wesentlichen dadurch, dass die Monarchie den territorialen Feudalgewalten die Autorität der zentralen königlichen Verwaltung gegenüberstellte und damit ihren Führungsanspruch schrittweise untermauerte und durchsetzte. Die Zentralisierung durch die königliche Verwaltung im Ancien Régime wurde durch die Französische Revolution von 1789 weiterentwickelt, systematisiert und gleichzeitig auf eine demokratische Grundlage gestellt. In der Folge entstand eine für die damalige Zeit hochmoderne, rationalisierte, in ihren Grundzügen bis in die heutige Zeit gültige Verwaltungsstruktur, die erst mit den Dezentralisierungsgesetzen von 1982 nachhaltige Veränderungen erfahren sollte: Der Zentralstaat als alleiniger Inhaber der politischen Entscheidungsgewalt schuf sich eine pyramidale Verwaltungsstruktur mit den Departements als Hauptelement. Die Pariser Zentralgewalt war durch ein engmaschiges Netz nachgeordneter Behörden im gesamten Territorium präsent. Dabei kam dem – von der Pariser Regierung eingesetzten – Präfekten als Vertreter der Staatsgewalt im Departement mit ausgedehnten Handlungs- und Kontrollbefugnissen gegenüber den Gebietskörperschaften (Departements, Kommunen) eine Schlüsselrolle zu.

      Es verdient hervorgehoben zu werden, dass die zentralistische Verwaltungsstruktur sich nicht nur als Herrschafts-, sondern auch als Modernisierungsinstrument verstand, das im übrigen Europa seinerzeit als vorbildlich angesehen wurde. Dazu kommt, dass die mit der französischen Revolution entstandenen, bis heute gültigen Grundwerte des Republikanismus unter anderem die „eine und unteilbare Republik“, d. h. die Unteilbarkeit der staatlichen Volkssouveränität beinhalten. Der Zentralismus war ferner Instrument zur Durchsetzung der demokratischen Republik gegen ihre im 19. Jahrhundert noch zahlreichen Gegner und insofern eng mit der Idee des politischen, aber auch ökonomischen und sozialen Fortschritts verbunden, während regionalistische, partikularistische Kräfte bis ins 20. Jahrhundert überwiegend zu Recht als rückwärtsgewandt eingestuft werden konnten.

      Insofern ist der Begriff des Zentralismus grundsätzlich eher positiv besetzt. Ungeachtet der seit 1982 fortschreitenden Dezentralisierung (→Kap. 4.3) gilt bis heute, dass der Zentralstaat als Garant der staatlichen Einheit und des Zusammenhalts der Nation gesehen und insofern positiv bewertet wird.

      [22]e) Laizität

      Der schon erwähnte Artikel 1 der Verfassung spricht auch von einer „laizistischen Republik“. Die strikte Trennung von Staat und Religion wurde nach erbitterten innenpolitischen Auseinandersetzungen mit dem Gesetz von 1905 festgeschrieben. Hintergrund waren anhaltende Spannungen zwischen den Kräften der demokratischen Republik (der seit 1870 existierenden Dritten Republik) und antirepublikanischen, antidemokratischen bzw. monarchistischen Kräften, zu denen auch katholische Kreise zählten. Die Dreyfus-Affäre (1894–1905; vgl. Kasten) zwischen antiparlamentarischen Kreisen und den Anhängern der parlamentarisch-demokratischen Republik bestärkte letztere in ihrer Kritik an der Haltung der katholischen Kirche und führte 1905 zur Verabschiedung des Gesetzes über Trennung von Kirche und Staat. Es garantiert die individuelle Glaubensfreiheit, verweist aber die Kirchen in den privaten Raum. Diese haben den Status privatrechtlicher Vereine (während sie in Deutschland als Körperschaften des öffentlichen Rechts gelten). Es gibt keinen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen; religiöse Symbole sind aus allen staatlichen Räumen verbannt. Das im Gesetz von 1905 durchgesetzte Prinzip des Laizismus hatte von Anfang an eine starke, bis heute spürbare Symbolkraft, weil es in den Zusammenhang mit dem Sieg der demokratischen Republik gegen ihre Feinde gestellt wurde. Noch in den 1980er Jahren gab es erbitterte Fehden zwischen Vertretern der öffentlichen Schulen und jenen der (zumeist katholischen) Privatschulen. Richtete sich das Gesetz vor 100 Jahren vor allem gegen die katholische Kirche, wird das Prinzip des Laizismus heute auch gegenüber Muslimen angewandt und ist dabei Gegenstand heftiger Kontroversen (→Kap. 8.1).

      f) Gleichheit

      „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ lautete eine der Losungen während der Französischen Revolution; sie ist heute offiziell die Devise der Republik. Dabei hat die Gleichheit (égalité) bis heute eine besondere Bedeutung. In der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26.8.1789, die noch heute Verfassungsrang hat, heißt es in Art 1: „Die Menschen sind und bleiben von Geburt an frei und gleich an Rechten. Soziale Unterschiede dürfen nur im gemeinen Nutzen begründet sein.“ Dabei geht es zum einen um die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Das abstrakte Gleichheitsprinzip erlaubt dabei keine Bevorzugung von benachteiligten Gruppen im Sinne einer positiven Diskriminierung. Darüber hinaus wird der Begriff aber auch als Versprechen der Solidarität und der sozialen Gleichheit aufgefasst. Gleichheit nicht nur der Chancen, sondern auch der materiellen Lebensbedingungen ist auch heute noch eine Forderung, die einen hohen Stellenwert in der französischen Politik besitzt.

      [23]g) Vorrang der Politik

      Schließlich gilt der sogenannte Primat der Politik, d. h. der Vorrang der Politik (die als einzige auf eine demokratische Legitimation durch das Volk verweisen kann) gegenüber den Kräften der Wirtschaft und der Gesellschaft.

1789–1792Monarchie1791 Verfassung der konstitutionellen Monarchie
1792–1799I. Republik1792–95 Konventsverfassung (nie angewandt) 1795–99 Direktorialverfassung
1799–1815Herrschaft Napoleons1799–1804 Konsulat (formal Republik) 1804–1815 Erstes Kaiserreich
1815–1848MonarchieRestauration (Bourbonen) Julimonarchie (Haus Orléans)
1848–1851II. RepublikPräsidentielles System; allgemeines Männerwahlrecht
1852–1870Zweites KaiserreichNapoleon III (Staatsstreich 2.12.1851, Verfassung 14.1.1852)
1870–1940III. RepublikVerfassungsgesetze 1875: parlamentarisches System, allgemeines Männerwahlrecht
1940–1944Vichy-RegimeAutoritäres System (Marschall Pétain)
1944–1946Provisorische RegierungZunächst unter de Gaulle; erster Verfassungsentwurf im Volksentscheid vom 5.5.1946 abgelehnt.
1946–1958IV. RepublikZweiter Verfassungsentwurf durch Volksentscheid vom 13.10.1946 gebilligt. Parlamentarisches System, seit 1944 Frauenwahlrecht.
Seit 1958V. RepublikVerfassung durch Volksentscheid vom 28.9.1958 angenommen. Parlamentarisches System mit starkem Präsident und plebiszitären Elementen. 1962: Volkswahl des Präsidenten durch Volksentscheid gebilligt.

      Quelle: eigene Zusammenstellung nach Adolf Kimmel/Henrik Uterwedde (Hrsg.): Länderbericht Frankreich, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2012, S. 377

      [24]Während in anderen Ländern, auch in Deutschland, die Sphäre der Politik eher als gleichberechtigt neben den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräften gesehen wird, liegt der französischen Vorstellung eine klare Hierarchie zugrunde: Die Politik, d. h. Staat, Verwaltung, Parlament und Regierung als Vertreter des Allgemeinwohls stehen über der Gesellschaft und der Wirtschaft, deren Akteure „nur“ Partikularinteressen vertreten. Dies verleiht staatlichem Handeln eine besondere Legitimität, die auch staatliche Interventionen

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