Mit den Narben der Apartheid. Michael Lapsley

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Mit den Narben der Apartheid - Michael Lapsley

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sah ich mich als Brückenkopf für die Gründung einer neuen anglikanischen Gemeinde. Ich war nun ganze achtzehn Jahre alt, hatte das erste Jahr meiner Priesterausbildung hinter mir und verfügte, um einen sehr anschaulichen jiddischen Ausdruck zu verwenden, über ein gehöriges Maß an Chuzpe – also ein für mein Alter sehr ausgeprägtes Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten. Die Mächtigen in der SSM lehnten meinen Vorschlag ab, was wohl nicht weiter verwunderlich war. Ich durfte mich als Novize bewerben, aber ohne jegliche Bedingungen. Also bewarb ich mich und wurde angenommen. Das war 1968, ich begann das zweite Jahr meiner theologischen Ausbildung und war zum Novizen der SSM-Gemeinschaft geworden.

      Das Jahr 1971 war für mich von zwei Ereignissen geprägt: Ich wurde Vollmitglied der SSM, und ich wurde zum Diakon geweiht. Vollmitglieder widmen ihr Leben dem Dienst Gottes, binden sich für ihr ganzes Leben an den Orden und leisten die Gelübde der Armut, des Zölibats und des Gehorsams. In der Praxis bedeutet dies, dass Einkommen und Besitz der Gemeinschaft gehören, die Mitglieder nicht heiraten und lebenswichtige Entscheidungen nur im Einvernehmen mit der Gemeinschaft getroffen werden. Ich war erst zweiundzwanzig Jahre alt, aber ich war bereit. Diese Entscheidung habe ich nie bereut.

      Noch im selben Jahr wurde ich zum Diakon geweiht. Nach dem Kirchenrecht muss man vierundzwanzig Jahre alt sein, um zum Priester geweiht zu werden, und normalerweise dreiundzwanzig, um Diakon zu werden. Es gab jedoch eine Ausnahme, nach der man auch früher Diakon werden konnte, und so wurde ich unter dieser Ausnahmeregelung geweiht. Ich war zwar in Australien ausgebildet worden, doch dank einer besonderen Vereinbarung zwischen dem Bischof von Canberra und dem Bischof von Waiapu in Neuseeland fand die Ordinierung in meiner Heimatkirche in Hastings statt, wo ich aufgewachsen war. Das Schöne daran war, dass meine ganze Familie, sogar meine hochbetagte Großmutter mütterlicherseits, anwesend sein konnten. Paul Reeves, der Bischof von Waiapu, der mich zum Diakon weihte, [45]wurde übrigens später Generalgouverneur von Neuseeland. Er besuchte mich im Krankenhaus in Australien, und als ich nach dem Anschlag nach Neuseeland zurückkehrte, wohnte ich bei ihm in seinem Amtssitz.

      Die drastischen Anforderungen des Lebens in einer Ordensgemeinschaft sind nicht jedermanns Sache. Für mich ist der Glaube eine Suche nach dem, was es heißt, Mensch zu sein. Einem Orden beizutreten ist für einen Christen ein möglicher Weg – nicht unbedingt der beste und bestimmt nicht der einzige – dieser Suche Sinn zu verleihen. Die Gelübde der Armut, des Zölibats und des Gehorsams zu leisten, gibt uns die Freiheit, unbeschwert die Welt zu bereisen, frei von Besitz und Familienverantwortung, und uns bei wichtigen Entscheidungen auf die Weisheit der Gemeinschaft verlassen zu können. Was den Zölibat angeht, habe ich meine eigene Entwicklung durchgemacht und anderen Menschen zugehört und bin zu dem Schluss gekommen, dass die meisten Menschen Schwierigkeiten mit ihrer Sexualität haben, wie immer diese auch aussehen mag. Ich denke, sie führt immer zu Versuchungen, innerem Ringen und Spannungen.

      Sogar in meinem Orden haben einige eine Midlife-Crisis durchgemacht und ihren Zölibat hinterfragt. Einige sind aus dem Orden ausgetreten, um zu heiraten. Zwei davon waren zu meinem Erstaunen über achtzig. Solche Krisen gehören zum Menschenleben und sind manchmal weniger auf Sexualität als auf Einsamkeit und das Bedürfnis nach einem Partner zurückzuführen. Wenn man heiratet, entscheidet man sich dafür, jeden Tag verheiratet zu sein. Genauso ist es mit dem Zölibat. Die meisten von uns leben mit der Tatsache, das wir irgendwo tief im Innern unseren Lebensweg allein zurücklegen und am Ende allein sterben. Dadurch verbirgt sich in unserem Innern eine existentielle Einsamkeit, ganz gleich wie innig verbunden und nah wir unserem Ehepartner sind. Diese Realität bedeutet andererseits, dass man als Zölibatär die brüderliche Unterstützung und Zuwendung seiner Gemeinschaft genießt. „Und wer verläßt Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder Äcker um meines Namens willen, der wird’s hundertfältig nehmen und das ewige Leben ererben“, lautet eine Passage in Matthäus 19. Selbst wenn man also seine natürliche Familie verlassen hat, wird man Teil einer anderen Familie. In meinem Leben ist der Kreis dieser Familie von Jahr zu Jahr größer geworden, sodass sie nun aus der ganzen Menschheit besteht.

      Nach meiner Ordinierung als Diakon kehrte ich nach Australien zurück und wurde als eine Art Hilfspfarrer in Canberra eingesetzt. Plötzlich teilte ich mit nur drei Brüdern ein kleines Haus auf der anderen Seite der Stadt. Die zwei Jahre, die ich dort verbrachte, glichen einer verlängerten Hochzeitsreise. Ich genoss es richtig, jung zu sein – vielleicht zum ersten Mal. Das war in den frühen Siebzigern und in der Zeit der Flower-Power-Bewegung. Ich war jung und frisch geweiht. Ich fuhr mit einem kleinen Motorrad zur Gemeinde, meine langen Haare guckten unter dem blumenverzierten Helm hervor, und [46]mein Habit flatterte im Wind. Ich liebte die Gemeinde und sie mich. Ich blühte wirklich in jeder Hinsicht auf. Ich arbeitete dort voller Begeisterung und wurde von der Gemeinde herzlich aufgenommen. Mit dem Gemeindepfarrer, Jim Tregea, verstand ich mich sehr gut, und seit dieser Zeit bin ich mit ihm und seiner Frau Helen befreundet. Sie sind einfach wundervolle Menschen.

      Mitte 1973 war es dann endlich soweit: Ich war alt genug, um die Priesterweihe zu empfangen. In den Monaten vor meiner Weihe traf ich manchmal den Bischof, der mich jedes Mal fragte, ob ich denn nun alt genug sei. Am 2. Juni wurde ich vierundzwanzig Jahre alt, und am 29. Juni fand meine Priesterweihe statt. Meine Eltern und meine jüngere Schwester Margaret kamen aus Neuseeland, um der Zeremonie beizuwohnen. Es war das erste [47]Mal, dass meine Mutter Neuseeland verließ. Nach meinem ersten Gottesdienst bemerkte jemand, dass er den Eindruck hätte, ich hätte bereits mein Leben lang Gottesdienste abgehalten. Darauf erwiderte Pater Thomas Brown, der auch der SSM angehört, mit einem schiefen Lächeln, dass das wahrscheinlich zutraf und ich wohl zwanzig Jahre lang geübt hätte.

      Ich wusste, dass der Orden mich möglicherweise ins Ausland schicken würde, und nach einiger Überlegung beantragte ich, nach Japan entsandt zu werden. Von wegen! Kurz darauf wurde entschieden, dass ich nach Südafrika gehen sollte. Ich weiß heute noch nicht, wer diese Entscheidung traf und warum. Ich kann mich erinnern, in jener Nacht nicht geschlafen zu haben, weil ich instinktiv wusste, dass sich mein Leben für immer verändern würde. In der Tat sollten mein Glaube und mein Mut auf eine Art und Weise auf die Probe gestellt werden, wie ich es mir nie hätte ausmalen können.

2 uMama: Recollections of South African Mothers and Grandmothers, Kapstadt: Umuzi, 2009.

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