Mit den Narben der Apartheid. Michael Lapsley
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Liebe Mutter,
ich habe mich gefreut, heute wieder mit Dir zu telefonieren. Als Du neunundachtzig warst, habe ich mich gefragt, ob Du es bis neunzig schaffen würdest – ziemlich beeindruckend für jemanden, der sieben Kinder zur Welt gebracht und gesundheitlich einiges mitgemacht hat. Ich bin überglücklich, dass Du neunzig geworden bist und Dich auch darüber gefreut hast. Mir kommt es vor, als hättest Du uns erst vor wenigen Tagen gesagt, dass Du hoffst, bis zum Jahr 2000 durchzuhalten.
In dem Jahr, bevor ich von zu Hause wegzog und Neuseeland verließ, um meine Priesterausbildung anzutreten und mich einer Ordensgemeinschaft anzuschließen, waren wir ebenbürtiger geworden. Wir konnten fast wie zwei Erwachsene miteinander reden. Ihr beide, Du und Papa, habt nie versucht, unsere Lebensentscheidungen zu beeinflussen, sondern habt uns bei dem, wofür wir uns entschieden, immer unterstützt. Ich war siebzehn, als ich ging, und bin seitdem nur in den Ferien zurückgekommen. Ich kann mich noch erinnern, wie Ihr für meine Priesterweihe nach Australien gekommen seid. Ich weiß, dass es für Dich auch die Erfüllung eines Lebenstraums war. Seit 1973 habe ich mein Leben in südafrikanischen Ländern verbracht. Du wüsstest, dass ich nicht mehr nach Neuseeland oder Australien zurückkehren würde, weil meine Lebensaufgabe in Afrika liege, hast Du einer Deiner Freundinnen gesagt. Ich hatte den Eindruck, dass Du meine Entscheidungen verstanden und akzeptiert hast.
Mit den Jahren bekam ich das Gefühl, dass Du wieder mit mir redest, als sei ich ein Kind. Als ich Dich danach fragte, hast Du ganz ehrlich geantwortet, dass Du mich nicht mehr kanntest und es deshalb einfacher war, wieder zur Mutter-Kind-Beziehung zurückzukehren. Ich wusste, dass Du recht hattest, aber es hat mir sehr wehgetan. Einige Jahre lang war ich verkrampft und konnte nur schwer mit Euch kommunizieren, wenn ich Euch besuchte. In den letzten Jahren hat sich das geändert, und unsere Beziehung ist jetzt wieder offen und gelöst.
Natürlich war der Anschlag auf mich in Simbabwe, bei dem ich ein Auge und beide Hände verlor, ein großer Schock für Dich. Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir ein paar Tage danach das erste Mal telefonierten. Es war wunderbar für mich, aber sicher sehr schmerzhaft für Dich, auch später, als Du mich im Krankenhaus in Australien besucht hast.
[39]In den letzten Jahren, als Deine Gesundheit sich verschlechterte, habe ich Dich oft gefragt, wie es Dir geht. Stets hast Du geantwortet, dass Dich die Kräfte verlassen, aber Du hast immer betont, dass „ich mich in mir selbst wohlfühle“, „ich emotional und spirituell 100% da bin“. Ich weiß, dass das wahr ist. Du hast ja gesagt, dass Du vor dem Tod keine Angst hast.
Vor einem Jahr ist kurz vor Weihnachten mein enger Freund Ndukenhle, den Du auch kennengelernt hast, an AIDS gestorben. Dein Mitgefühl und Deine Unterstützung in meiner Trauer haben mich zutiefst gerührt.
Oft erstaunt mich Dein beständiges Interesse an meinem Engagement bei Healing of Memories.
Eine meiner ehrenvollsten Aufgaben war es, die Heilige Messe in Deinem Haus zelebrieren und Dir das Abendmahl geben zu dürfen. Die Gelegenheiten, bei denen Du mich batest, Dir als Priester beizustehen, empfand ich als besonders ergreifend. Ich bewundere und beneide Dich manchmal sogar um die Tiefe und Schlichtheit Deines Glaubens an Gott und darum, wie Du diesen Glauben lebst.
Ich danke Dir für die bedingungslose Liebe, die Du mir und jedem Deiner sieben Kinder geschenkt hast. Sie hat mir eine grundlegende emotionale Stabilität verliehen. Danke dafür, dass Du stolz auf mich bist. Ich hoffe, dieses Stolzes würdig zu sein. Danke, dass Du meine Mutter bist.
Ich bete für Dich.
In aller Liebe
Michael
Meine Mutter starb mit dreiundneunzig, während ich an diesem Buch arbei tete. Bis zum Schluss war sie heiter und frohen Mutes, eine tief gläubige Frau und treue Anhängerin Jesu Christi. Sie besaß einen einfachen und unerschütterlichen Glauben und ihre ganz persönliche und direkte Erfahrung von Gottes Gegenwart. Sie wollte ihren Gedenkgottesdienst als Dankgottesdienst, und genauso war es dann auch.
Als Junge war ich zweifellos sehr viel gläubiger und frommer als meine Geschwister, abgesehen von meiner Schwester Irene, die zwei unterschiedlichen Klöstern beigetreten, aber in keinem lange geblieben ist. Man könnte sagen, dass ich „voll auf die Kirche abfuhr“. Als Zwölf- oder Dreizehnjähriger war ich Messdiener in gleich zwei Kirchen, einer in der Nähe von zu Hause in der Vorstadt und einer anderen in der Stadt. Als ich in der Oberschule war, ging ich jeden Mittwoch zur Frühmette, und zwar als einziger Jugendlicher unter lauter älteren und alten Menschen. Der Priester der Stadtgemeinde war mein Beichtvater und mein geistlicher Berater. „Alle dürfen, [40]keiner muss, manche sollten“ lautet ein anglikanisches Sprichwort zum Thema Beichten in Anwesenheit eines Priesters. Einen Beichtvater auszuwählen war also ein zusätzlicher Ausdruck meiner jugendlichen Religiosität.
Leider bewies ich nicht immer ein altersgerechtes Gespür für meine Grenzen und war, denke ich, mit meiner Frömmigkeit manchmal ziemlich unausstehlich. Dies führte auf jeden Fall zu Ärger in der Kirche und sogar in meiner Familie. In der anglikanischen Kirche werden Menschen als Kleinkinder getauft, und damals wurden sie im Alter von dreizehn oder vierzehn Jahren konfirmiert, wonach sie dann am Abendmahl teilnehmen durften. „Nein, dieses Jahr nicht. Auf deine Konfirmation musst du noch ein Jahr warten“, sagte mir der Priester meiner Ortskirche. „Kommt nicht in Frage“, dachte ich. Also sprach ich noch einmal mit ihm und erklärte ihm, warum ich meiner Ansicht nach bereit sei. Anfangs zögerte er zwar, gab dann aber doch nach, und ich wurde konfirmiert. Ich wusste, dass es eigensinnig war, aber ich zog es durch.
Ein weiterer bezeichnender Vorfall ereignete sich, als ein presbyterianischer Theologe mit seinen unkonventionellen Ansichten zur Wiederauferstehung ziemliches Befremden auslöste. Damals war ich erst fünfzehn oder sechzehn, ging aber schnurstracks zu einem Treffen in der presbyterianischen Kirche, wo über diese potentielle Ketzerei diskutiert wurde. Mitten in der Debatte stand ich auf, um in die Diskussion einzugreifen und meine eigenen Ansichten darzulegen. Das war unerhört, und ich verdanke es wohl der Begleitung einer Gruppe guter Christen, dass ich nicht sofort hinausbefördert wurde. „Wer ist denn dieses altkluge Kind?“, werden die sich bestimmt gedacht haben.
Die Oberschule war schwierig für mich. Schon damals wollte ich einer Ordensgemeinschaft beitreten und zeigte kein Interesse an den Machtspielchen der anderen Jungen. Auf dem Pausenhof gab es viel Streit und Aggressionen. Ich war kein guter Sportler, und die Prügeleien mit den anderen Jungen interessierten mich nicht. Ich lebte in meiner eigenen Welt, ich interessierte mich für die Kirche und die Bibliothek, in der ich viel Zeit verbrachte und Bücher über Religion und Literatur las. Durch den Einfluss meiner Schwester Irene, die eine überzeugte Pazifistin war, schottete ich mich noch mehr ab. Später las ich auch die Werke von Gandhi und Martin Luther King. Deren Ideen übten enormen Einfluss auf mich aus, der später im Seminar noch zunahm. In neuseeländischen Oberschulen musste jeder Militärdienst leisten. An staatlichen Schulen marschierten die heranwachsenden Jungen in Uniform und mit einer Waffe in der Hand hin und her und spielten Soldat – es wirkte ziemlich lächerlich. Befreit werden konnte man von dieser Pflicht nur durch einen Brief der Eltern an den Direktor der Schule. An meiner Schule waren die einzigen Kinder, die das taten, Zeugen Jehovas. Ich ließ mich jedoch nicht beirren und kündigte der Schulleitung an, dass ich nicht an [41]der Militärausbildung teilnehmen würde und auch nicht die geringste Absicht hätte, meinen Vater um einen Brief zu bitten, denn er hatte im Zweiten Weltkrieg gekämpft, und ich nahm an, dass mein Pazifismus ihn wenig begeistern würde. Meine Eltern redeten kaum über solche Dinge. Meine Mutter gab vielleicht einen missbilligenden Kommentar