Mit den Narben der Apartheid. Michael Lapsley

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Mit den Narben der Apartheid - Michael Lapsley

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den USA ist es für mich besonders schwierig, da dort – im Unterschied zu vielen anderen Ländern – die Türen keine Klinken sondern Türknäufe haben und ich es nicht schaffe, diese Knäufe zu drehen. Bei meiner ersten USA-Reise nach dem Attentat konnte ich mein Hotelzimmer weder betreten noch verlassen, ohne den Sicherheitsdienst zu rufen. Daraufhin beschloss ich, nicht mehr ohne persönlichen Assistenten zu reisen.

      Vor nicht allzu langer Zeit fuhr ich zu einer Tagung in einem teuer ausgestatteten Bürogebäude im Zentrum von Manhattan in New York City. Wieder wurde mir voller Stolz eine behindertengerechte Toilette gezeigt. Leider hatte auch deren Tür einen runden Knauf. In diesem Fall aber wurde die Tür gleich am darauffolgenden Tag mit einer Art Hebel ausgestattet, den ich betätigen konnte. In Restaurants muss ich oft mit der Bedienung verhandeln, damit ich meinen Tee in einem großen schlanken Glas serviert bekomme, das ich dann auch festhalten kann. Unbegreiflicherweise befürchten die Angestellten trotz meiner gegenteiligen Erfahrung immer wieder, dass das Glas durch den heißen Tee brechen könnte. Ich kann ihnen noch so geduldig erklären, dass das nicht der Fall sein wird, sie beharren dennoch darauf. Gebrochen ist es noch nie.

      Zwar hatte mich meine monatelange Genesung die Grundlagen des Lebens mit einer Behinderung gelehrt, doch als ich eine lange Vortragsreise unternahm, kam ich mir vor wie auf einer Weiterbildung. Plötzlich war ich im Ausland gefragter als je zuvor. Mein Schicksal hatte sich herumgesprochen, und viele wollten mir ihren Zuspruch persönlich übermitteln. Auch ich wollte unbedingt allen Menschen danken, die mich bei meiner Genesung begleitet hatten. Endlos über diesen Anschlag zu reden war jedoch anstrengend. Nicht, dass ich das Trauma erneut durchlebt hätte – vielmehr wurde es einfach langweilig. Ich wiederholte die Geschichte immer wieder und dachte innerlich: „Jetzt geht es schon wieder los.“

      Politisch war der ANC seit kurzem zugelassen, und es fanden offizielle Verhandlungen zwischen der weißen Regierung und der Freiheitsbewegung statt. Das Land erlebte aber auch eine Welle der Gewalt, als die weiße Regierung die Bevölkerung gegen rivalisierende politische und ethnische Gruppierungen aufzuwiegeln suchte und sie auch gegeneinander aufhetzte. Darüber hinaus verschärfte sie ihre eigene brutale Repression. Das Apartheidregime hatte es geschafft, das gesamte südliche Afrika zu destabilisieren, und ging nunmehr daran, innerhalb von Südafrika dasselbe zu tun. Angesichts der bevorstehenden Wahlen wollte die Regierung die demokratischen Kräfte dazu bringen, sich gegenseitig zu bekämpfen, anstatt die Bevölkerung für die Wahlen zu mobilisieren. Bisweilen wurde vermutet, dass die Regierung in ihrer Naivität glaubte, die Freiheitskämpfer ausmanövrieren und sich an den Kern der politischen Macht klammern zu können. Niemand wusste, wie es ausgehen würde. Würde es zu einem Blutbad kommen? War ein friedlicher Regierungswechsel möglich?

      [27]Freunde im Ausland waren gespannt, die Geschichte aus meiner Sicht zu hören, sodass ich schon 18 Monate nach dem Attentat eine doch sehr anstrengende Tour durch Norwegen, Schweden, England, die Vereinigten Staaten und Kanada antrat. Das war wohl etwas voreilig von mir, denn diese Reisen waren immer strapaziös, und ich war ja immer noch nicht ganz bei Kräften und hatte außerdem keine Erfahrung damit, wie man Reisen mit einer Behinderung wie meiner bewältigt. Wenn ich zum Beispiel mit dem Zug anreiste, musste mich jemand am Bahnsteig abholen, da ich ja das Gepäck nicht tragen konnte. Toiletten waren manchmal problematisch. Um ehrlich zu sein, konnte ich selbst nicht immer voraussehen, welche Hilfe ich benötigen würde, und meine Gastgeber waren dazu ebenfalls kaum oder gar nicht in der Lage. So improvisierten wir eben. Ich musste sie oft beschwichtigen, und wenn ich etwas kurz angebunden war, wirkten sie manchmal frustriert. Dann wurden auch endlose Empfänge abgehalten. Manchmal gab es keine Gläser, die ich halten konnte, und natürlich konnte ich mit Appetithäppchen nicht umgehen. Wenn ich mit engen Freunden zusammen bin, bitte ich sie, mir das Essen direkt in den Mund zu schieben, aber bei Fremden war mir da manchmal etwas unbehaglich zumute. All das war neu für mich und bisweilen stressig. Ich kehrte etwas geläutert nach Hause zurück und hatte nun eine realistischere Vorstellung von dem, was solche Reisen mit sich bringen.

      Kurz nachdem ich aus dem Krankenhaus in Australien entlassen wurde, kehrte ich nach Simbabwe zurück. Überall schienen die Menschen mich zu erkennen, und sie freuten sich offenkundig darüber, mich wieder auf den Beinen zu sehen. Eines Tages zum Beispiel ging ich mit einem Freund im Park spazieren, als ein Polizist auf uns zutrat und sagte: „Erinnern Sie sich an mich? Ich war einer Ihrer Leibwächter, als Sie im Krankenhaus lagen. Wie fühlen Sie sich jetzt?“ Praktisch jeden Tag erlebte ich solche Momente mit Freunden und auch völlig fremden Menschen. Dies gab mir wirklich das Gefühl, in Simbabwe dazuzugehören und nicht nur ein Verbannter zu sein, der darauf wartete, nach Südafrika zurückzukehren. Kurz nach meiner Ankunft erfuhr ich zu meiner Verblüffung, dass mir in Neuseeland ein Verdienstorden, die Queen’s Service Medal verliehen werden sollte, in Anerkennung meiner Bemühungen um die Befreiung Südafrikas. Wie ich bei der Verleihungszeremonie sagte, wird diese Ehre normalerweise Wirtschaftsführern und pensionierten hohen Armeeoffizieren zuteil, aber bestimmt nicht Priestern, die sich einer nationalen Freiheitsbewegung anschließen und die moralische Zulässigkeit des bewaffneten Kampfs verteidigen! Meine Worte riefen hier und da ein Lächeln hervor, doch niemand protestierte.

      Ich begriff aber auch schnell, dass eine Behinderung für viele Menschen etwas völlig Fremdes ist. Zum Beispiel traf ich hin und wieder einige meiner früheren Kampfgefährten. Als ich mich ihnen gegenüber selbst als behindert bezeichnete, fühlten sie sich sichtlich unwohl. „Du bist doch gar nicht behindert!“ sagten sie. Was sollte der Unsinn? Tatsächlich brachten sie damit zum [28]Ausdruck, dass meine Behinderung nicht in ihre Vorstellungswelt passte. Für sie war ich ein im Kampf verwundeter Soldat, und das war’s. Dieses Konzept konnten sie verstehen, ob es meiner Realität entsprach oder nicht. Dass ich nie eine Waffe benutzt hatte, war unwichtig.

      Ich fühlte mich bereit, meine Arbeit wieder aufzunehmen, und beschloss, den Bischof aufzusuchen, der mich in der Diözese von Bulawayo als Pfarrer angestellt hatte. Der Anschlag auf mich war zwei Tage vor meinem Amtsantritt verübt worden, sodass ich meine Aufgaben dort nie wahrgenommen hatte. Dieser Bischof war ein lieber Mensch, er hatte mich auch im Krankenhaus besucht und für meine Genesung gebetet. Sieben Monate später stand ich nun vor seiner Tür. Ich erklärte ihm, dass es mir jetzt wieder gut ginge, und dankte ihm für seine Gebete. Dann fragte ich ihn nach der Aufnahme meiner Tätigkeit. Er wurde ganz verlegen, und ich fragte mich, ob er als Bischof vielleicht nicht daran gewöhnt war, dass Gott seine Gebete erhörte. „Aber Sie sind doch behindert. Was können Sie denn tun?“ sagte er schließlich. „Nun, Herr Bischof, ich kann vieles tun, ich kann sogar Auto fahren“, erwiderte ich. Ich sah das Entsetzen in seinen Augen. Vielleicht befürchtete er, mir im Auto zu begegnen. „Wissen Sie, Herr Bischof, ich denke, ich kann ohne Hände ein besserer Priester sein, als ich es mit zwei Händen jemals war“, fügte ich noch hinzu, aber es hatte keinen Zweck. Dieser Bischof war kein schlechter Mensch, er empfand mich jedoch als Belastung. Erzbischof Desmond Tutu hingegen gab mir eine Arbeit in der Diözese von Kapstadt. „Wissen Sie, ich habe einen Priester, der taub ist, und einen anderen, der blind ist. Jetzt habe ich einen ohne Hände. Na los! Worauf warten Sie?“, sagte er mit einem Augenzwinkern. Ein Bischof sah mich also als Belastung, der andere als Bereicherung.

      Es öffneten sich auch andere Türen für mich. Als ich noch in Australien im Krankenhaus lag, bekam ich einen Anruf von Horst Kleinschmidt, einem südafrikanischen Freund, der in London im Exil lebte. Er leitete den International Defense and Aid Fund, eine Organisation, die politischen Gefangenen in Südafrika juristische Unterstützung anbot. Durch seine Arbeit war er immer auf dem neusten Stand der Entwicklungen in Südafrika und wusste, dass das Apartheidregime womöglich seinem Ende entgegen ging. Horst war kurz zuvor zum ersten Mal seit langem nach Südafrika gereist und hatte dort erfahren, dass sich eine Gruppe von Psychotherapeuten mit der Frage befasste, wie man von der Apartheid geschädigten Menschen künftig emotionale und psychologische Unterstützung bieten konnte. Es wurden bereits Pläne geschmiedet, um in Cowley House, einer Einrichtung der anglikanischen Kirche in Kapstadt, ein Zentrum für traumatisierte Gewalt- und Folteropfer aufzubauen. Horst rief mich im Krankenhaus an und meinte, ich sei wie geschaffen für die Arbeit dort. Das Wunderbare an den Reaktionen von Horst und Erzbischof Tutu

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