Mit den Narben der Apartheid. Michael Lapsley
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Von dem Briefbombenanschlag auf mich wurde im Radio in ganz Simbabwe, ja sogar weltweit berichtet. Während meines vierwöchigen Aufenthalts im Krankenhaus von Harare erreichten mich zahlreiche Nachrichten von Freunden und Unterstützern. Zusammen mit dem Oberhaupt meines Ordens und anderen Mitgliedern meiner Ordensgemeinschaft trafen meine beiden Schwestern, Helen und Irene, sowie ein enger Freund der Familie, Charles Hamilton, aus Australien und London ein. Eine Zeit lang war ich Pfarrer in einem kleinen Township außerhalb von Harare gewesen. Viele ehemalige Gemeindemitglieder kamen, besonders Jugendliche, aber auch einige ältere Menschen, die dafür einen langen Fußmarsch in der heißen afrikanischen Sonne auf sich nahmen. Leider wurden sie nicht zu mir gelassen.
Einige Tage nach dem Anschlag fand in der anglikanischen Kathedrale von Harare ein Gottesdienst statt. Menschen aus dem ganzen Land kamen dorthin, um für meine Genesung zu beten. Ich schaffte es, eine Botschaft für die versammelte Gemeinde zu diktieren, die meine Schwester Helen vorlas. Beim Gottesdienst sagte ein Redner Folgendes über mich:
Er kümmerte sich um südafrikanische Flüchtlinge in der ganzen Welt. Er sorgte für die Menschen des Landes, in dem er arbeitete. Er beerdigte unsere Verstorbenen, besuchte unsere Kranken, traute unsere Kameraden, taufte unsere Babys und besorgte so manchem Südafrikaner ein Stipendium. Er bot allen ein Zuhause. Er tröstete uns in guten wie in schlechten Zeiten. Vor allem aber kam dieser Unbekannte zu uns, schenkte uns seine Liebe und gewann die unsrige. Gemessen an seinem Mut sind wir alle Bettler. Die Buren werden gegen einen solch unbeugsamen Mut nicht gewinnen.
Der kubanische Botschafter besuchte mich und bot mir kostenlose ärztliche Behandlung in Kuba an, ebenso wie die Regierungen von Schweden und Norwegen. „Wir werden Ihnen jegliche Unterstützung bieten, die sie brauchen“, sagte der palästinensische Botschafter. Insgesamt boten mir sieben Länder kostenlose medizinische Behandlung an. Zu meiner großen Freude gelang es meinem ehemaligen Vorgesetzten im Lutherischen Weltbund, Wolfgang Lauer, mir Whiskey zu besorgen – eine sehr mitfühlende Geste. Leider musste ich nach einiger Zeit meinen Whiskey vor dem Abendessen aufgeben, da die Ärzte Wechselwirkungen mit den Medikamenten befürchteten. Sehr bedauerlich!
Janice McLaughlin, eine Freundin und Maryknoll-Ordensschwester aus den USA, besuchte mich im Krankenhaus zusammen mit den Pfarrern Cas [10]Paulsen und Dick O’Riordan sowie Dr. Gordon, meinem Chirurgen, und seiner Frau Sue. Gemeinsam feierten wir – Anglikaner, Methodisten und Katholiken – das Abendmahl in meinem Krankenhauszimmer, sobald ich dazu im Stande war. Trotz meiner blutigen Stümpfe schaffte ich es, das Zeichen des Kreuzes zu machen. Nach der Messe spielte Dr. Gordon Gitarre und sang für uns. Ein anderes Mal schlossen wir die Abendmahlsfeier mit der jetzigen südafrikanischen Nationalhymne, Nkosi Sikelel’ iAfrica, ab, und ich beendete sie mit dem Black-Power-Gruß.
Meine Familie in Neuseeland hatte so etwas wie den Anschlag wohl schon lange befürchtet. Sie sprachen zwar nicht darüber, wussten jedoch von den Wachpolizisten und den Gefahren, denen ich ausgesetzt war. Besonders mein Vater war, ebenso wie ich, ein sehr emotionaler Mensch. Meine Mutter sagte oft, wie erleichtert sie war, dass er das nicht mehr miterleben musste, denn er hätte es wohl nicht verkraftet. Sie war schon über 70, als ich die Briefbombe erhielt, und sie war zutiefst erschüttert. Meine Familie wurde von der Presse belagert, da ich in Neuseeland wegen meines Einsatzes gegen die Apartheid bekannt war. Die anderen Familienmitglieder schützten meine Mutter, denn sie war ein zurückhaltender Mensch und empfand zweifellos keinerlei Bedürfnis, in der Öffentlichkeit über das schreckliche Schicksal ihres Sohns zu sprechen. Sie war außerdem zutiefst religiös und setzte sich in diesen Tagen wohl intensiv mit ihrem Glauben und dem, was mir passiert war, auseinander. Ich wollte mit ihr reden. Sobald ich sprechen konnte, telefonierten wir, und selbst am Telefon kümmerte sie sich liebevoll um mich. Als ich von meinem Krankenbett aus mit ihr sprach, schien es mir, als hätte ein Schwert ihr Herz durchbohrt. Später flog sie nach Australien, um mich dort im Krankenhaus zu besuchen.
Als ich wieder zu Kräften kam, hatte ein Teil von mir manchmal das Gefühl, dass ich noch glimpflich davongekommen war. Das Apartheidregime hatte zweimal versagt. Ich war nicht nur am Leben geblieben, sondern hatte auch keine großen inneren Verletzungen davongetragen. Obwohl ich meine Hände und ein Auge verloren und Schädelverletzungen davongetragen hatte, war mir meine Zunge geblieben, und im Grunde genommen war sie ja meine einzige Waffe gewesen. Wie brutal hingegen das Apartheidregime vorging, davon zeugt seither mein Körper. Ich war aber noch sehr schwach und über und über in Verbände gehüllt. Ehrlich gesagt, war ich genauso hilflos wie ein neugeborenes Kind. Ich konnte nichts allein tun. In manchen trostlosen Momenten dachte ich, dass Sterben sicher besser gewesen wäre. Würde das Leben sich jemals wieder wie Leben anfühlen? Wie sollte ich ohne Hände zurechtkommen? Würde ich jemals unabhängig sein und Auto fahren können? Wie würde ich denn unter diesen Umständen das Abendmahl feiern können? Menschen zu berühren war meine Art und Weise, Liebe und Zuneigung zum Ausdruck zu bringen. Was sollte ich denn jetzt bloß machen? Ich konnte immer noch nicht gut sehen, und mit jedem weiteren Tag stieg meine [11]Angst, nie mehr lesen zu können. Das wäre ein furchtbarer Schlag gewesen! So war es ein erhebender Moment, als die Ärzte später in Australien feststellten, dass ich mit einer Brille würde lesen können. Genauso wundervoll war die Nachricht, dass meine Sehkraft den rechtlichen Anforderungen für das Autofahren entsprach.
Wenn ich Besuch erwartete, machte mich das Krankenhauspersonal in der Regel zurecht und empfangsbereit. Mich präsentabel herzurichten war unter diesen Umständen natürlich nur bedingt möglich. Ich muss erschreckend ausgesehen haben. Ich kann mich an ein Paar erinnern, bei dessen Besuch ich wohl nicht ganz so ansehnlich zurechtgemacht war wie sonst. Sie sind völlig ausgeflippt. So nahm ich auf einmal die Rolle des Seelsorgers ein. „Ruhig, ruhig, es ist doch nicht so schlimm. Es hätte viel schlimmer kommen können. Schließlich bin ich noch am Leben“, sagte ich als Opfer und versuchte, meine Besucher zu trösten. Es fiel ihnen jedoch sehr schwer, meinen Anblick zu ertragen. Ehrlich gesagt ging es mir selbst, als ich später wieder besser sehen konnte, genauso.
Manchmal ertappte ich mich dabei, mich in Gedanken selbst zu beschuldigen, wie Opfer das eben tun. Vielleicht hatte ich den Briefbombenanschlag ja verdient. Ich war versucht, die Liste der Sünden durchzugehen, die ich seit meiner Kindheit begangen hatte. Es war zwar kein vorherrschendes Gefühl und entspricht auch ganz und gar nicht meinem Glauben, aber es beschlich mich dennoch, so wie bei anderen Menschen, die traumatisiert sind. In diesen finsteren Momenten stützte ich mich auf meinen einfachen Kinderglauben an einen gütigen Gott und an Jesus, der so gelitten hatte wie ich und gekreuzigt wurde. In den Jahren meiner Ausbildung zum Priester hatte ich mich intensiv mit den Psalmen beschäftigt. In ihnen fand ich nun Trost und Halt. Die Gewissheit, dass Menschen seit 4.000 Jahren auf diese Worte reagieren, tröstete mich. Vor allem aber richtete mich die Flut von Gebeten und Liebe von Unterstützern aus der ganzen Welt auf. Ich habe Sammelalben voll mit den Botschaften, mit denen ich überschwemmt wurde. So gesehen wird bei meinem Tod keine Begräbnisfeier nötig sein, weil alle schönen Dinge damals bereits gesagt wurden. Es war sehr ergreifend.
Als Adressat einer Briefbombe wurde ich zum