Mit den Narben der Apartheid. Michael Lapsley

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Mit den Narben der Apartheid - Michael Lapsley страница 7

Автор:
Серия:
Издательство:
Mit den Narben der Apartheid - Michael Lapsley

Скачать книгу

dass der Inhalt jemanden umbringen soll. Gleichzeitig wurde ich jedoch auch zum Empfänger alles Guten, zu dem die Menschen fähig sind, nämlich Zärtlichkeit, Liebe und Mitgefühl.

      [12]

      Mit meiner Mutter Laura, in Neuseeland

1 Michael Worsnip, Priest and Partisan. A South Africa Journey (North Melbourne: Ocean Press. 1996).

      [13]2

      Genesung

      Im Parirenyatwa-Krankenhaus hatten sich die Krankenschwestern mit viel Liebe und Zuwendung um mich gekümmert, und die Ärzte hatten mich zusammengeflickt. Mein Leben war nicht mehr in Gefahr, aber meine Wunden waren nach einem Monat immer noch schartig und unverheilt. Mir standen noch viele weitere Operationen bevor, die den Heilungsprozess erleichtern und meinen Körper auf die Prothesen vorbereiten sollten, die ich den Rest meines Lebens tragen würde. Ich entschloss mich, die Behandlung in Australien fortzusetzen. Meine Schwester Helen unterrichtete Gesundheitsökonomie an der Universität von New South Wales in Sydney und organisierte meine Aufnahme im Prince-of-Wales-Universitätsklinikum. Australien war die nächstliegende Lösung, weil ich dort meine Schwester und ihren Mann Clive sowie meine Glaubensbrüder aus der Zeit meines Theologiestudiums um mich haben würde. Es war ja absehbar, dass mir eine lange Genesungszeit bevorstand und ich neben einer ausgezeichneten medizinischen Betreuung auch die Unterstützung von Verwandten und Freunden brauchen würde. Bei der Fluggesellschaft war man ziemlich besorgt, dass ich als Passagier ein Sicherheitsrisiko darstellen könnte. Das südafrikanische Regime hatte schließlich einen Briefbombenanschlag auf mich verübt und würde nun vielleicht versuchen, in der Luft das zu Ende zu bringen, was es auf dem Boden verpfuscht hatte. Trotzdem willigte die Fluggesellschaft schließlich ein, mich zu transportieren.

      Da es keine Direktflüge gab, dauerte der Flug von Harare über Perth nach Sydney fast vierundzwanzig Stunden und wäre selbst unter normalen Umständen sehr anstrengend gewesen. Aufrecht in einem Flugzeugsitz zu reisen stand für mich ohnehin nicht zur Debatte. Ich sollte in einem tragbaren Bett liegen und von einem Mitglied meines Ordens und einer Krankenschwester begleitet werden. Die Krankenschwester auszusuchen war einfach: Ich entschied mich für diejenige, deren Spritzen am wenigsten wehtaten. In dem Monat seit dem Anschlag hatte ich mein Krankenzimmer kaum verlassen – außer wenn ich zu Operationen und Untersuchungen gerollt wurde. Ich wurde rundum versorgt. Was für ein gravierender Unterschied zu meinem aktiven und unabhängigen Leben zuvor! Schon als Schuljunge in Neuseeland hatte ich oft meinen eigenen Kopf gehabt und in meinem bescheidenen Rahmen versucht, Rassismus zu bekämpfen und für Gerechtigkeit einzutreten. Später als Erwachsener übernahm ich nicht das offizielle Gedankengut, sondern [14]handelte so, wie ich es für richtig hielt. Ich hatte mir einen gewissen Ruf erworben, Autorität und ihre Auswüchse in Frage zu stellen. Ich war kampferprobt, nicht nur durch Auseinandersetzungen mit der südafrikanischen Regierung, sondern auch mit Kirchenbeamten, die ich manchmal für engstirnig oder eigennützig, wenn nicht gar rassistisch hielt. Für mich war der Kampf um die Seele Südafrikas ein ethisches Problem, das die ganze Welt betraf. Obwohl ich nur eine bescheidene Rolle spielte, hatte ich bisweilen lange Flüge zurückgelegt, um den ANC gegenüber verschiedenen religiösen Organisationen zu vertreten. Flugzeuge waren also nichts Neues für mich. Jetzt befand ich mich aber zum ersten Mal seit dem Anschlag außerhalb des Krankenhauses und lag festgezurrt auf einer Trage, die auf eine hölzerne Transportpalette gestellt wurde. Und so lag ich da, bereit, wie das übrige Frachtgut in den Jumbo-Jet geladen zu werden. „Was für eine Welt kann es für mich geben? Werde ich jemals wieder ein sinnvolles Leben führen können?“, waren die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, während ich da auf der Rollbahn lag und in den Himmel schaute.

      Der Flug war genauso schrecklich, wie ich es befürchtet hatte. Beruhigungsmittel linderten meine Beschwerden zwar etwas, aber richtige Ruhe fand ich kaum. Auf meinen früheren Reisen hatte ich oft davon geträumt, wie schön es wäre, auf den langen Strecken ein Bett im Flugzeug zu haben. Schwach und in Verbände eingewickelt auf einer Trage zu liegen, die mehr schlecht als recht auf sechs Sitzen festgezurrt war, gehörte nicht zu diesem Traum. Es war sehr unbequem, und für jede Kleinigkeit brauchte ich die Krankenschwester. Die letzten Wochen hatte ich so sehr um mein Leben gekämpft, und meine Freunde hatten mich mit Liebe und Zuspruch überhäuft. Jetzt aber, in dieser unwirklich anmutenden Situation, fühlte ich mich hilflos und verletzlich.

      Als wir endlich in Sydney landeten, wartete ein Krankenwagen auf der Rollbahn, der mich planmäßig im Krankenhaus ablieferte. Obwohl ich auf einer Trage ankam und anstelle meiner Hände Verbände trug, wurden mir am Empfang Fragen über Fragen gestellt – ich nehme an, um festzustellen, ob mein Gehirn noch funktionierte. Psychologen nennen so etwas wohl psychologische Bestandsaufnahme. „Wie heißen Sie?“, wurde ich gefragt. In meinem Zustand konnte ich von Glück reden, dass ich mich noch daran erinnerte. „Welcher Tag ist heute?“ Da war ich mir wegen des Zeitunterschieds von neun Stunden, des Nachtflugs und der Zwischenlandung, die wir gemacht hatten, gar nicht so sicher. Die verantwortliche Person an der Aufnahme schien das Problem überhaupt nicht zu verstehen. Als sie mich dann noch fragten: „Wieso sind sie im Krankenhaus?“, dachte ich mir ‚Mein Gott, sieht man das denn nicht?‘

      Es dauerte bis Mitternacht – dann hatte ich endlich ein Zimmer und lag im Bett. Die Krankenschwestern versuchten alles, um es mir bequem zu machen, aber nach einem Flug von über vierundzwanzig Stunden war ich nun [15]völlig erschöpft. Im Krankenhaus in Harare war ich meistens von Freunden umgeben gewesen, und Polizisten und Soldaten hatten meine Tür bewacht. An meinem ersten Abend hier im Krankenhaus in Sydney war ich ganz allein und völlig ohne Sicherheitspersonal. In meinem geschwächten Zustand war das alles zu viel für mich. Das bisschen Energie, das mir noch geblieben war, verließ mich, und ich war vollkommen erschöpft. Mich überkam das Gefühl, dass ich in dieser Nacht sterben könnte. Noch nicht einmal meiner Schwester habe ich erzählt, dass ich in meiner Verzweiflung die Krankenschwestern bat, einige australische Freunde von mir anzurufen und sie zu bitten, für mich zu beten. Leider konnten sie niemanden erreichen. Ich versuchte, die ganze Nacht wach zu bleiben, um nicht zu sterben, aber ich wusste, dass es vergeblich war. Nur seelische Kraft konnte mich jetzt noch am Leben erhalten. Es gab nichts anderes mehr. Als die Nacht das Krankenhaus umhüllte, lag ich in meinem Bett und wiederholte leise: „Ich kann nicht ohne Hilfe überleben. Ich kann nicht ohne Hilfe überleben.“ Es war ein Gebet.

      Am nächsten Morgen erfuhr ich, dass die Schwestern das Ausmaß meiner Verzweiflung erkannt und es später geschafft hatten, meine Freunde Helen und Jim Tregea in Wagga Wagga zu erreichen. Jim war der Pfarrer, bei dem ich viele Jahre zuvor als frisch geweihter Priester und Hilfsgeistlicher tätig gewesen war. Mit beiden verbindet mich eine lebenslange Freundschaft. Als sie mich kurze Zeit später besuchten, erzählten sie mir, dass sie nach dem Anruf aus dem Krankenhaus ein Abendmahl bei sich abgehalten und die ganze Nacht für mich gebetet hatten.

      Am darauffolgenden Abend fühlte ich mich nach all den Anstrengungen immer noch zittrig. Plötzlich bemerkte ich eine schattenhafte Gestalt vor meinem Fenster. In meinem wehrlosen Zustand drehte ich völlig durch. Ich war mir sicher, dass meine Feinde mich endgültig eingeholt hatten. Der Schatten – so stellte sich heraus – war ein Fensterputzer, aber meine Angst war nicht unbegründet, denn mein Überleben war für das Regime, das mich umbringen wollte, gleichbedeutend mit einem Scheitern. Südafrikaner hatten kurz zuvor einen Bombenanschlag in Australien verübt, und ANC-Mitglieder waren in Frankreich und in Brüssel angegriffen worden. Bombenanschläge und Attentate gehörten leider zur Realität. Später schickte mir die australische Regierung einen Sicherheitsberater. Wenn ich mich in einen Schrank einsperren und die Tür abschließen würde, dann sei ich in völliger Sicherheit, gab er mir zu verstehen und ließ mich daraus meine eigenen Schlüsse ziehen. Mir war klar, dass das kein lebenswertes Leben sein würde. Ich musste vernünftig handeln, durfte mein Leben

Скачать книгу