Mit den Narben der Apartheid. Michael Lapsley

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Mit den Narben der Apartheid - Michael Lapsley

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galt, mir diesen Sieg zu eigen zu machen. Zwischen der Befreiung der Menschen und meiner Arbeit als Glaubensbote habe ich nie einen Unterschied gesehen. Für mich sind sie ein und dasselbe. Für die Täter war das Versenden der Briefbombe zweifellos ein politischer Akt, mit dem sie jemanden beseitigen wollten, in dem sie eine Gefahr für den Staat sahen. Andere jedoch betrachteten das, was mir widerfahren war, mit ganz anderen Augen. Michael Worsnip, ein Freund und Priesterkollege, besuchte mich drei Tage nach dem Bombenanschlag im Krankenhaus. Später schrieb er eine Biografie über mich und schilderte diesen Besuch mit sehr religiösen Worten. Ich zitiere ihn hier mit einem Gefühl von Demut und in dem Bewusstsein, dass sie auch die Opfer zahlloser anderer Menschen beschreiben.

      Ich sah Christus. Nicht in Michael … oder doch, vielleicht doch in Michael. Christus, der leidet. Christus ohne Hände. Christus, der mit blutenden Lippen zu uns spricht. Christus mit einem Auge. Christus mit einem fehlenden Zahn. Ja, ich sah Christus in dem Bett liegen, und ich spürte seinen Zuspruch. Es war wohl eine der intensivsten spirituellen Erfahrungen meines Lebens. Ich sah kein einziges Anzeichen von Bitterkeit oder Hass. Das ist Gott, nicht wahr? Ich stand dort und konnte nur noch zusehen und zuhören, während dieses außergewöhnliche christliche Drama die Form von Fleisch und Blut annahm – geschundenes, verbranntes [6]und zerstückeltes Fleisch in Gestalt eines Freundes, Pastors, Priesterkollegen und Weggefährten.1

      Wir Freiheitskämpfer lebten alle in dem Bewusstsein, dass uns eines Tages etwas zustoßen könnte, wie es so vielen unserer Kameraden geschehen war. Die südafrikanischen Killerkommandos verfolgten ihre Ziele gnadenlos und oft mit Erfolg. Das Militär verübte sogar Attentate im fernen London. Mord, Autobomben und Psychoterror gehörten zum Alltag. Gegen Ende meiner Zeit in Lesotho, wo südafrikanische Exilanten in besonderer Gefahr schwebten, schliefen wir manchmal jede Nacht in einem anderen Haus, wenn Gerüchte von einem bevorstehenden Anschlag die Runde machten. Ich schaute auch immer unter meinem Auto nach Bomben, bevor ich den Motor anließ. Angesichts des weltweiten Amoklaufs des Apartheidregimes war dies kein blinder Verfolgungswahn. Auch wenn einige Kameraden sich etwas waghalsig über die Gefahr hinwegsetzten, hielt ich es für richtig, Vorsicht walten zu lassen. Jahre später erfuhr ich, dass südafrikanische Agenten mich tatsächlich ins Visier genommen hatten. Im Verlauf der Anhörungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission erhielt ich Einsicht in meine Sicherheitsakte. Dort fand ich den Bericht eines Agenten, der mich während einer Vortragsreise in Kanada beschattet hatte. Mein Stolz litt ein wenig, als ich las, dass er mich für einen sehr langweiligen Redner hielt. Ich widerstand der Versuchung, der Akte eine empörte Notiz beizufügen, etwa „Das stimmt überhaupt nicht. Ich war kein langweiliger Redner!“. Aber Scherz beiseite – in einer Ermittlungsakte der Wahrheits- und Versöhnungskommission über Killerkommandos fand ich einen Verweis auf eine Mitteilung eines gewissen ‚Colonel Hammer‘, der so genannt wurde, weil er angeblich einen Hammer benutzte, um Fliegen zu töten. Als ob er den Gang der Ereignisse vorausgeahnt hätte, sprach er sich dafür aus, andere Methoden in Betracht zu ziehen, um mich zu beseitigen. Ein Briefbombenanschlag sei nicht unbedingt tödlich, und ich könne zurückkehren und sie weiter heimsuchen. Genau dies habe ich dann ja auch getan.

      Mein Leben blieb auch nach dem Umzug von Lesotho nach Simbabwe in Gefahr. Ich werde nie vergessen, wie mir der simbabwische Geheimdienst mitteilte, dass ich auf einer Todesliste des südafrikanischen Regimes stand. In diesem Augenblick stand die Zeit für mich still, und ich kann mich noch lebhaft an die Einsamkeit erinnern, die ich verspürte. Es handelte sich hier nicht um irgendjemanden, von dem ich in der Zeitung gelesen hatte. Die waren hinter mir her! Manchmal wachte ich nachts durch ein Geräusch auf und dachte: ‚Warum bin ich wach geworden? Wird hier gerade ein Anschlag verübt?‘. Ich gewöhnte mir an, aus dem Bett auf den Boden zu rollen. Niemals sitzen oder aufstehen, denn genau dann wurde man zur Zielscheibe. [7]Nachdem herauskam, dass ich auf der Todesliste stand, stellte mich die simbabwische Regierung Tag und Nacht unter bewaffneten Schutz. Die Bewachung und die Tatsache, dass ich auf Beerdigungen von Kameraden sprach, erinnerten mich ständig daran, dass dieser Kampf mich jederzeit das Leben kosten konnte. Ich hatte lange mit dieser Gefahr gelebt, und das zwang mich dazu, mir Fragen zu stellen wie „Wofür lebe ich? Und was ist daran so schlimm, dass die südafrikanische Regierung mich umbringen will? Was sind meine ureigensten Werte? Woran glaube ich?“

      Ich wusste, dass ich bereit war, für die Befreiung zu sterben, aber Angst ist ein sehr menschliches Gefühl. Menschen, die keine Angst haben, sind meines Erachtens nicht ganz menschlich, und so habe ich immer gebetet, dass ich den Mut aufbringen möge, nach meinem Glauben zu handeln und mich nicht durch meine Angst einschüchtern zu lassen. Trotzdem hatte ich nie damit gerechnet, als Folge dieser Einstellung mit einer dauerhaften, schweren Körperbehinderung leben zu müssen. Aber so kam es nun mal. Das Schlimmste war eingetreten, aber mir war praktisch sofort klar, dass ich überleben würde. Deshalb fühlte ich mich trotz der großen Schmerzen siegreich.

      Ich dachte an die Folgen des furchtbaren Massakers von 1982 in Lesotho, als südafrikanische Soldaten nachts in das Land eindrangen und Bürger Lesothos sowie südafrikanische Mitglieder des ANC umbrachten, insgesamt 42 Menschen. Viele Kinder und Erwachsene starben in ihren Betten. Ich war damals im Ausland. Bei meiner Rückkehr merkte ich, dass manche Menschen andere des Verrats verdächtigten. Warum hatten manche überlebt? Warum wurden sie nicht umgebracht? Auf diese Fragen gab es keine Antwort, aber es war, als seien nur die Toten über jeden Verdacht erhaben. Phyllis Naidoo selbst wurde 1979 durch einen Briefbombenanschlag in Lesotho verletzt. Ein Jahr vor dem Anschlag auf mich wurde ihr Sohn Sahdhan in Lusaka von einem südafrikanischen Agenten kaltblütig ermordet. Phyllis wusste also, was Leiden bedeutet. An dem Abend, als sie mit mir im Krankenhaus betete, wurde mir klar, dass mein Anblick mit den blutgetränkten Verbänden schmerzliche Erinnerungen in ihr wecken musste. Trauer über ihren Verlust überkam mich, und ich hatte das Bedürfnis ihr zu sagen „Es tut mir leid, dass ich überlebt habe“, – ich wollte mich dafür entschuldigen, dass ich lebte, während ihr geliebter Sohn sterben musste, und dann weinten wir gemeinsam.

      Wenn man bedenkt, wie häufig Mordanschläge waren, ist es kaum verwunderlich, dass einer auf mich verübt wurde. Überraschend war jedoch der Zeitpunkt, denn Verhandlungen zwischen dem ANC und der Apartheid-Regierung standen unmittelbar bevor. Der südafrikanische Verteidigungsminister Magnus Malan hatte zudem versichert, dass es keine weiteren Attentate in Nachbarländern geben würde. Wir sagten uns immer wieder, dass wir nicht so gutgläubig sein dürften, ließen aber in unserer Wachsamkeit trotzdem [8]etwas nach, ebenso wie die Simbabwer, die meine Personenschützer abberiefen. Knapp drei Monate zuvor war Nelson Mandela aus dem Gefängnis entlassen worden. Der ANC und andere politische Organisationen waren nicht mehr verboten. Nur vier Tage nach dem 28. April 1990, an dem ich die Briefbombe öffnete, setzten sich zum ersten Mal Vertreter des Apartheid-Regimes und des African National Congress (ANC) in Kapstadt zusammen, um Gespräche über die Normalisierung ihrer Beziehungen zu führen. Geheime Verhandlungen hatten schon vorher stattgefunden, doch dies waren die ersten offiziellen Gespräche. Damit gab man der Welt zu verstehen, dass beide Seiten ernsthaft eine einvernehmliche Lösung anstrebten. Als Höhepunkt dieser Gespräche wurde am 4. Mai das als Groote-Schuur-Protokoll bekannte Communiqué angenommen, das als Grundlage für die darauffolgenden Verhandlungen diente.

      Natürlich stemmten sich viele Weiße gegen diese Entwicklungen. Manche meinten, dass der Anschlag auf mich womöglich diese Gespräche verzögern oder gar verhindern sollte. Außerdem wurden damals Weiße wie ich von Anhängern der Apartheid als Volksverräter verachtet und gehasst. So schmeichelhaft diese Erklärungen auch sein mögen, denke ich, dass mir dadurch viel zu viel Bedeutung beigemessen wird. Ein völlig banaler Grund wäre genauso plausibel: Vielleicht stand ich auf einer Todesliste, und der Anschlag auf mich war für die Handlanger des Regimes ein bis dato unerledigter Job, den sie in dem Irrglauben zu Ende brachten, damit die Gespräche torpedieren zu können. Was auch immer der Grund gewesen sein mag, der Anschlag auf mich war nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was kommen sollte. In den folgenden Jahren war in Südafrika nämlich die Hölle los. Das Regime brachte eine beispiellose Zahl wehrloser Menschen um. Gleichzeitig wurden die Verhandlungen mit dem ANC fortgesetzt und führten schließlich zur Schaffung einer echten Demokratie.

      Unter

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