Mit den Narben der Apartheid. Michael Lapsley
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Bei meiner Ordinierung mit 24
Das einzige Bild meiner kompletten Familie.
Hinten: Peter, Irene, Mutter, Vater, Ian und ich. Vorne: Margaret, Barbara und Helen
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Von Haus aus gläubig
Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, besitzen die meisten von uns doch Prinzipien, die ihnen als moralische Richtschnur dienen. Für mich war diese Richtschnur immer das Evangelium, das uns dazu aufruft, menschliche Würde und Gerechtigkeit ohne Rücksicht auf die möglichen Konsequenzen zu verteidigen. Als Christen wissen wir, dass letzten Endes Gutes dem Bösen entspringt und Leben dem Tod. Wenn man dies ernst nimmt, dann spornt der Glaube dazu an, sich politisch zu engagieren. „Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun“, ist eines meiner Lieblingszitate; es stammt von dem irischen Staatsmann Edmund Burke. Folglich war der Freiheitskampf in Südafrika für mich von Anfang an eine Frage des Glaubens. Die Apartheid war ein System, das durch den Mord an den Seelen von Weißen und Schwarzen gegen Gottes Willen verstieß. Der Mut, seine Worte direkt an das Machtzentrum zu richten und seinem Glauben gemäß zu handeln, kommt weder leicht noch über Nacht. Er wird über Jahre hinweg geformt und auf die Probe gestellt und beginnt als ganz allmählicher Prozess bereits in der Kindheit. In der Bibel steht: „Als ich ein Kind war, / redete ich wie ein Kind, / dachte wie ein Kind / und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, / legte ich ab, was Kind an mir war“ (1 Kor 13,11). Der Glaube ist eine Lebensaufgabe.
Ich bin in einer kleinen Stadt namens Hastings in Neuseeland aufgewachsen. Als Ziergärtner gestaltete mein Vater im Auftrag des Stadtrates schöne öffentliche Anlagen. Er war in der Gemeinde sehr bekannt. Die Menschen sahen ihn in den städtischen Gärten arbeiten und erfreuten sich an den Blumen, die er pflanzte. Meine Mutter war ein ruhiger, bescheidener Mensch, deren tiefer Glaube in ihrer Hingabe an ihre Familie und die Kirche Ausdruck fand. Die Generation meiner Eltern wurde durch einige schwerwiegende Ereignisse geprägt. Eines, von dem uns Kindern immer wieder erzählt wurde, war das Erdbeben von Napier 1931, das sich genau an dem Tag ereignete, an dem meine Mutter auf die Oberschule kam. Das Gebäude brach über ihr zusammen. Jemand zog sie aus den Trümmern, kehrte ins Gebäude zurück und kam bei dem Versuch, weitere Menschen zu retten, ums Leben. Ohne sein mutiges Eingreifen wäre keiner von uns hier. Ich erinnere mich noch gut an die Angst in den Augen meiner Mutter, wenn es ein Erdbeben gab, was in unseren Breiten häufig vorkam. Mein Vater beruhigte sie dann, indem er einfach seine Hand auf ihren Arm legte.
[36]Natürlich beeinflussten zwei weitere einschneidende Ereignisse die Kindheit und Jugend der Generation meiner Eltern: die Weltwirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg. Kurz nach der Hochzeit meiner Eltern zog mein Vater in den Krieg. „Sein Blick sagt mir, dass er nicht zurückkommen wird“, soll meine Urgroßmutter gesagt haben, als mein Vater sich von meiner Mutter verabschiedete, und damit meine Großmutter richtig wütend gemacht haben. Wie wunderbar, dass sie doch unrecht hatte! Trotzdem sagte meine Mutter mir einmal: „Dein Vater zog in den Krieg, aber der Mann, der zurückkehrte, war nicht mehr derselbe, der weggegangen war.“
Unsere vielköpfige Familie gehörte zum Arbeiterstand und verfügte nur über begrenzte Mittel. Ich bin das fünfte von sieben Kindern, und da wir so viele waren, hatten meine Eltern stets mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Gleichzeitig habe ich viele liebgewordene Kindheitserinnerungen. In den Jahren nach dem Tod meines Vaters, als wir bereits erwachsen waren, machten unsere Erfolge meine Mutter überglücklich. Sie liebte jeden von uns auf einzigartige Weise, genauso wie mein Vater es getan hatte. Wenn ich sie besuchte, rief manchmal eines meiner Geschwister an, und ich hörte genau zu, wie sie reagierte, wenn sie die Stimme eines ihrer Kinder hörte. Jedem von uns begegnete sie mit derselben Zärtlichkeit und Freude. Unsere Eltern hatten jedem von uns ermöglicht, seine eigene Persönlichkeit zu entfalten. Sie liebten uns ohne Wenn und Aber und versuchten nie, uns in ein Muster zu zwängen. So wurden alle sieben Geschwister zu außerordentlich unterschiedlichen Menschen. Ich wusste, dass meine Mutter stolz darauf war, dass ich Priester geworden war, aber genauso stolz war sie darauf, dass Peter Ingenieur wurde und Helen Gesundheitsökonomin, und das galt für uns alle. Als wir erwachsen wurden, vergrößerte sich die Familie. Ehepartner, Partner, Freunde, Kinder, Enkelkinder und angeheiratete Verwandte – sie alle waren immer willkommen. Alle gehörten sie zur Familie, und alle wurden mit offenen Armen empfangen.
Eine siebenköpfige Familie galt damals in Neuseeland als sehr groß. Keiner meiner Altersgenossen hatte so viele Geschwister. Trotzdem hatte ich nie Hunger und immer ein Bett, auch wenn ich mein Zimmer mit zwei meiner Brüder teilte. Das war übrigens eine gute Übung für mein erstes Jahr in einer Ordensgemeinschaft, in der ebenfalls drei bis vier Personen in einem Zimmer schliefen. Erst als ich meine Priesterausbildung abgeschlossen hatte, bekam ich endlich ein Zimmer für mich allein. Da wir als verhältnismäßig arme Menschen in einem fortschrittlichen Sozialstaat lebten, erhielten meine Eltern für jeden von uns ein wenig Kindergeld vom Staat. Am Wochenende half mein Vater in Obstgärten in der Nachbarschaft bei der Ernte, um das Familieneinkommen aufzubessern. Meine Mutter gehörte einem sogenannten Weihnachtsclub an. Jede Woche legte sie bei unserem Lebensmittelhändler ein paar Schillinge zur Seite, damit Weihnachten genug Geld beisammen war, um ein gutes Weihnachtsessen einzukaufen. Neuseeland hatte eine [37]relativ egalitäre Gesellschaft, sodass die Distanz zwischen Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten weniger ausgeprägt war als in vielen anderen Ländern. Zum Beispiel spielte mein Vater sehr gerne Bowls, ein Kugelspiel, und nahm an Turnieren mit Spielern unterschiedlichster Herkunft teil. Meine Eltern waren eifrige Kirchgänger und führende Mitglieder ihrer Gemeinde. Menschen aus vielerlei sozialen Schichten kamen hier zusammen und übernahmen auch leitende Aufgaben in der Kirche. So wuchs ich mit dem Gefühl auf, einer recht aufgeschlossenen Gemeinschaft anzugehören, konnte mir deshalb eine Zukunft der unbegrenzten Möglichkeiten vorstellen und fühlte mich nicht durch wirtschaftliche Umstände eingeengt. Ich besuchte eine gute staatliche Schule und hätte in Neuseeland an der Universität studieren können, auch wenn ich mich dann für einen anderen Weg entschied.
Um etwas Taschengeld zu verdienen, kehrte ich nach der Schule in einigen Geschäften den Boden und brachte den Müll weg. Einige Jahre lang arbeitete ich morgens auch als Zeitungsbote. Dabei war ich so erfolgreich und dienstbeflissen, dass ich genug Weihnachtstrinkgeld bekam, um für zwei Wochen nach Auckland zu meinem Onkel und meinem Cousin zu fliegen, und sogar noch genug übrig hatte, um einen Ersatzzeitungsboten für die Zeit meiner Abwesenheit zu bezahlen. In der Oberschule gehörte ich zu den besten. Die Eltern vieler meiner Mitschüler arbeiteten in Unternehmen oder übten freie Berufe aus und waren dadurch viel wohlhabender als wir. Eine Zeit lang war mir der Beruf meines Vaters peinlich. Ironischerweise habe ich mich später, als ich mehr politisches Bewusstsein und zunehmend linke Ansichten entwickelte, für meine Reaktion geschämt. „Wie schön es doch ist, dass ich aus der Arbeiterklasse komme!“, dachte ich dann. Wie sich unsere Perspektive doch ändert!
Obwohl meine Eltern regelmäßig in die Kirche gingen, redete meine Mutter kaum über ihren Glauben, und wir hielten zu Hause keine regelmäßigen Andachten. Vor dem Abendessen sprachen wir ein Dankgebet, aber wir beteten sonst nicht gemeinsam und lasen auch nicht die Bibel im Familienkreis. Man kann sagen, dass meine Mutter ihren Glauben zum Ausdruck brachte, indem sie versuchte, ein christliches Leben zu führen, anstatt ihren Glauben zur Schau zu stellen. Sie war eine charakterfeste und liebevolle Mutter, die durch ihr Beispiel lehrte und uns genügend Freiheit ließ, uns selbst zu entfalten. Sie hatte nicht das Bedürfnis, uns ihren Glauben einzutrichtern. Sie lebte ihr christliches Leben, aber es gab genügend Freiraum, Respekt und Ehrfurcht für unseren individuellen Glauben und Lebensweg. Über die Jahre bin ich ihr für alles, was sie uns mit auf den Weg gegeben hat, zunehmend dankbar. Als Priester, der regelmäßig mit Menschen anderen Glaubens und in einem säkularen