Europas kleine Tiger. Christine Sonvilla

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Europas kleine Tiger - Christine Sonvilla Leben auf Sicht

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ausgelegten Schlingfallen tappen, dann werden sie – vorausgesetzt, sie überleben – ebenfalls an die Straßenzoos verkauft. Trajçe erinnert sich an eine Zoo-Wildkatze, bei der er die typischen Druckmale, wie sie von Schlingfallen herrühren, um den Hals wahrnahm. Während die Hasen zwischen 30 und 40 Euro einbringen, ist eine Wildkatze wohl 50 bis 100 Euro wert. Bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von rund 480 Euro97 und einer angenommenen Fünftagewoche verdient ein Albaner 24 Euro pro Tag. Während die Zeitgenossen des Ritters Franz von Kobell ungefähr einen Tageslohn für ein erlegtes Tier einstreiften, lässt sich also im heutigen Albanien locker das Drei- oder Vierfache verdienen. Auf einem Internetmarktplatz verlangt ein Anbieter für eine »mace e egër«, eine wilde Katze, die bei Priština im Kosovo zu haben sei, gar 130 Euro.98

      Vier Straßenzoo-Wildkatzen sind Aleksandër Trajçe im Zuge der Befreiungsaktionen, die PPNEA und VIER PFOTEN in den letzten Jahren forciert haben, insgesamt untergekommen. Ein Fall brannte sich ihm besonders ein. »In Shkodra, im Norden des Landes, hielt ein Restaurantbesitzer Luchs und Wildkatze im selben Käfig. Wir besuchten die Tiere 2016 und ein Jahr später nochmal. Beide schliefen auf der gleichen Plattform und zeigten keinerlei Reaktion aufeinander oder auf die Menschen, die sie beäugten«, erzählt er verblüfft. Dergleichen wäre in der freien Natur undenkbar. Der Luchs würde nicht zögern, die Wildkatze zu töten. Sie kommen zwar, wie man mittlerweile weiß, in gleichen Gebieten vor, dennoch gehen sich Luchs und Wildkatze möglichst aus dem Weg. Bis es zur Befreiung und Umsiedlung der beiden Tiere in artgerechte Gehege kam, lebten sie über mehrere Jahre in dieser beengten Schicksalsgemeinschaft. Fast scheint es, als hätten sie einen Pakt geschlossen, sich unter diesen unwürdigen Verhältnissen miteinander zu arrangieren. Der Restaurantbesitzer meinte nur, er hätte nicht gewusst, dass es sich um unterschiedliche Arten handeln würde, für ihn wären es einfach Wildkatzen. Verwechslungen dieser Art sind uns schon aus den Jahren um 1400 bekannt. 600 Jahre später kämpfen wir offenbar noch immer mit den gleichen Missverständnissen. Das Restaurant existiert weiter, aber die Käfige sind nun leer. Immerhin. Bisher gibt es auch keine weiteren Indizien für Wildkatzen oder Luchse in albanischen Straßenzoos. Gebannt ist die Gefahr damit aber noch lange nicht. »An den Hauptstraßen sind die Zoos verschwunden, aber an versteckten Plätzen dürfte es nach wie vor welche geben«, seufzt Aleksandër Trajçe. Und Ulrike Wüstner, die für die Bärenrettungen bei VIER PFOTEN zuständig ist, hat auch keine beruhigenden Nachrichten: »Es gibt noch viele weitere dieser ›Zoos‹. Im Sommer 2020 haben uns etliche Zuschriften erreicht, die uns auf zur Schau gestellte Affen im Umkreis von albanischen Restaurants aufmerksam gemacht haben.«

       Fallen aufstellen – einmal anders

      Fotofalle klingt – vor allem, wenn man noch die Schlingfalle im Kopf hat – irgendwie martialisch. Außerdem treffen wir – mein Partner Marc begleitet mich – auch noch einen Jäger. Doch nichts von dem muss für Beunruhigung sorgen. Klemen ist die Art von Jäger, die viel lieber beobachtet, als zu schießen, und stolz darauf ist, wenn Tierarten wie die Wildkatze sein Revier durchstreifen. Er holt uns vom Jagdhaus seines Arbeitgebers, am Rande von Kočevje, ab. Es ist Mitte Juli, der erste Corona-Lockdown ist mittlerweile vorbei und es ist höchst an der Zeit, die Mission »Fotofalle« zu starten.

      Ich weiß nur zu gut, wie zermürbend es manchmal sein kann, auf ein Foto hinzuarbeiten und sich Monat für Monat nur mit der Fehlerbewältigung herumzuschlagen. Mal fällt die Technik aus, mal setzt der Regen die Blitzgeräte unter Wasser, ein andermal gibt der Akku der Kamera w. o. oder der Bewegungsauslöser feuert wegen eines Sturms auf Dauerschleife und füllt die Speicherkarte gleich in einer Nacht. Jetzt kommt noch hinzu, dass Südslowenien, von meiner steirischen Wahlheimat Mürzzuschlag aus gesehen, nicht gerade ums Eck liegt und Kontrollen der Ausrüstung maximal im Monatsrhythmus möglich sind.

      Wir folgen Klemen mit unserem Auto, lassen die 16 000-Einwohner-Stadt Kočevje hinter uns und sind schon nach wenigen Minuten umgeben von Buchenwäldern. Die schmäler werdende Straße schraubt sich über mehrere Kehren ein paar Höhenmeter nach oben, genug, um im Rückspiegel das sich ausbreitende Waldmeer der Region zu erspähen. Gleichzeitig entfaltet sich in meinem Kopf die Landkarte, die mir Urša Fležar Anfang des Jahres geschickt hat. Als Klemen unvorhersehbar von der Schotterstraße – auf der wir mittlerweile unterwegs sind – in eine hochstehende Wiese abbiegt, ist mir klar, dass der schwarze Kartenpunkt schon recht nahe sein muss. Mit unserem Jeep schlurfen wir langsam hinterher, bis uns ein Feld voll mannshoher Farne stoppt.

      »Am besten, ihr nehmt gleich alles mit, es geht steil bergauf«, rät uns Klemen. Wir schultern die ganze Ausrüstung, inklusive Hammer, Machete und Holzpflöcke – man muss für jede Eventualität gerüstet sein – und stapfen hinterher, vorbei an knorrigen Rotbuchen, über umgestürzte Stämme, durch raschelndes Laub, immer bergauf, bis wir den karstdurchfurchten Kamm erreichen. Mit unzähligen Spalten, kleinen Höhlen und Überhängen bietet sich hier nicht nur der Wildkatze eine verschwenderische Auswahl an Unterschlüpfen.

      Normalerweise hat Klemen seine Wildkameras an diesem Platz positioniert. »Zu manchen Zeiten waren schon drei Stück parallel im Einsatz, um alle möglichen Winkel einzusehen«, erzählt er uns und fährt fort: »Hier geht kein Mensch, das sind alles Tierpfade.« Überall dort, wo sich Erde und Laub zwischen den Karstfurchen verdichtet haben, verlaufen Miniaturautobahnen für Hirsche, Füchse, Bären und natürlich Wildkatzen. »Im Winter, während der Paarungszeit, ist mehr los, aber es kann immer klappen«, macht uns Klemen Mut. 30 bis 40 Mal im Jahr würde die Wildkatze bei seinen Kameras vorbeilaufen, im Winter sogar mehrmals im Monat. »Und was ist deine Erfahrung im Sommer?«, wollen wir wissen. »Da bekomme ich sie im Schnitt nur einmal monatlich zu sehen«, antwortet Klemen. Wir wissen, der Juli ist alles andere als optimal. Egal, einen Versuch ist es immer wert, also legen wir los.

       Die Zeiten ändern sich

      Frank Bohlem aus Nordrhein-Westfalen ist hauptberuflich Industriekaufmann. Seine Freizeit verbringt er aber am liebsten in der Natur, als Jäger: »Ich habe 2010 meinen Jagdschein gemacht«, erzählt er mir. Die Motivation dafür war die Wildkatze. »Wie sollte ich die scheuen Tiere denn sonst zu sehen bekommen?«, erklärt er die Logik. Wenn er nachts zum Ansitz fahre, begegne er ihr öfters, achtmal habe er im letzten Jahr Glück gehabt. »Es ist spannend zu beobachten, wie vorsichtig sie sich bewegt, ganz ähnlich wie das Rotwild.«

      Ob Freizeit- oder Berufsjäger, die Wildkatze ist für viele mittlerweile mehr Faszination als Schrecken, das bestätigt auch Miroslav Vodnansky, der am Mitteleuropäischen Institut für Wildtierökologie in Wien forscht. »Viele Jäger, die einen breiteren Blickwinkel haben, sind sehr angetan von der Art, finden sie faszinierend oder zumindest interessant. Die meisten aber stehen ihr einfach neutral gegenüber.« So tönt es auch von Christopher Böck: »Sie ist eine Randwildart, die für uns kein großes Thema ist.« Die Hauskatze sei dagegen ein anderes Kaliber. Der Chef der oberösterreichischen Jäger steht mit dieser Einschätzung nicht allein da. Die IUCN listet die Hauskatze unter den 100 Worst Invasive Species, also den schlimmsten invasiven Arten99, die weltweit eine Bedrohung für viele andere Tierarten darstellen. Dass Jäger in manchen (Bundes-)Ländern gesetzlich dazu berechtigt sind, streunende Katzen, die sich mehr als 300 Meter vom nächsten bewohnten Haus entfernt haben, abzuschießen, wird an diesem Umstand allerdings nicht viel ändern.100 Ganz abgesehen davon, dass der massive Rückgang von Singvögeln, Reptilien oder Amphibien wohl kaum allein den Hauskatzen in die Schuhe geschoben werden kann, wenn gleichzeitig rasenrobotergepflegte Gärten und ausgeräumte Kulturlandschaften dominieren.101

      Den Waidmännern selbst geht es auch viel eher um den Schutz des freilebenden Wildes, für das Hauskatzen eine Gefahr darstellen würden.102 Diese in Österreich, der Schweiz oder Bayern103 übliche Abschusspraxis ist aber vor allem auch eine Gefahr für die Wildkatze, die sich von einer getigerten Hauskatze nur schwer unterscheiden lässt, insbesondere im Dämmerlicht. Böck betont: »Wir versuchen, unsere Jäger für die

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