Europas kleine Tiger. Christine Sonvilla

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Europas kleine Tiger - Christine Sonvilla Leben auf Sicht

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den Schweizer Jura wechselten.91 Ob sich die Burgunder Katzen in der neuen Umgebung behaupten konnten, bleibt freilich ungeklärt. Heute ist der Jura – auch unabhängig von den französischen Importen – wieder gut mit Wildkatzen besetzt.

      Die beste Wiederansiedlung ist die, die es nicht braucht. Als letzter Ausweg stellt die Methode aber eine hoffnungsvolle Chance dar, der Naturvielfalt, die wir Menschen an den Rand gedrängt haben, wieder auf die Sprünge zu helfen, und sie wird deshalb auch von der IUCN, der Weltnaturschutzunion, als wertvolle Artenschutzmaßnahme anerkannt. Doch selbst gewissenhaft durchgeführte Wiederansiedlungen kämpfen heute noch oft mit Anfeindungen. Ein Argument, das von den Kritikern gerne ins Feld geführt wird, skizziert Richard Zink von der Veterinärmedizinischen Universität Wien, der seit 2009 die Rückkehr des Habichtskauzes in Österreich vorantreibt: »Bei manchen Projekten werden Tiere falsch aufgezogen und zur falschen Zeit ins Freiland entlassen. Im Fall der Habichtskäuze beispielsweise ist es wichtig, die Tiere möglichst früh, um den 90. Lebenstag, freizulassen. Bis dahin müssen sie alle wichtigen Verhaltensweisen, die sie brauchen, um sich in der Natur zu behaupten, erlernt haben.« Dagegen verhält es sich bei Wildkatzen ganz anders. Um den 90. Lebenstag wären sie allein keinesfalls in der Lage zu überleben. Die Schweizerin Marianne Hartmann hat jahrzehntelange Erfahrung in der Aufzucht von Wildkatzen und weiß, worauf es ankommt: »Die Tiere werden im Alter von fünfeinhalb bis sechs Monaten selbstständig und können frühestens zu diesem Zeitpunkt für eine Wiederansiedlung freigelassen werden. Bis dahin müssen sie in der Gehegehaltung alle Reize und Strukturen angeboten bekommen, um ihre Verhaltensentwicklung abschließen und das Jagen erlernen zu können.«

      Was viele nicht bedenken: Selbst bei bester Vorbereitung sind Wiederansiedlungen immer Pionierarbeit, es gibt ein Auf und Ab und stets neue Erkenntnisse. Nur wer einen langen Atem hat, gewillt ist, über Jahrzehnte Extrastunden und Wochenenden zu opfern, langfristige finanzielle Mittel und zahlreiche engagierte Helfer mobilisieren kann sowie Expertise und Herzblut gleichermaßen einbringt, erntet am Ende – vielleicht – die Früchte.

      Die prinzipielle Entscheidung, ob eine Wiederansiedlung überhaupt infrage kommt, ist bei Weitem keine beliebige, sondern orientiert sich an den konkreten Kriterien der IUCN.92 Hier die wichtigsten Punkte von deren Checkliste: Die Art muss in dem für die Wiederansiedlung bestimmten Gebiet tatsächlich gelebt haben. Die Ursachen, die einst zum Aussterben führten, müssen beseitigt sein. Und es braucht genügend passenden Lebensraum sowie ausreichende Nahrungsquellen. Sollten Tiere aus wilden Beständen eingefangen werden, um sie andernorts anzusiedeln, darf das außerdem keine bestehende Population gefährden. Alternativ können Zootiere für die Zucht herangezogen werden, wie das etwa bei den Wildkatzen in Bayern der Fall war. Dabei ist es freilich nötig, die genetischen Eigenschaften der Tiere genau im Auge zu behalten.

      Wer all das auf dem Radar hat, schafft es schließlich auch, sich selbst erhaltende Bestände von einst ausgerotteten Wildtierarten wiederaufzubauen. Mit den aktuell etwa 30 von Habichtskauzpaaren besetzten Revieren im Norden Österreichs ist das ambitionierte Eulenprojekt auf einem guten Weg. Die Steinböcke sind mit rund 40 000 Tieren quer durch die Alpen wieder repräsentativ vertreten und das Comeback der einst als Kindsräuber verschrienen Bartgeier gilt überhaupt als eines der erfolgreichsten europäischen Artenschutzprojekte. Heute segeln wieder rund 220 Bartgeier in den Alpen durch die Lüfte.

      Wenn es jedoch um große Raubtiere geht, begibt man sich leicht auf gesellschaftliches Glatteis. Ein Versuch, Braunbären ab den späten 1980er-Jahren wieder im niederösterreichischen Ötschergebiet anzusiedeln, scheiterte spätestens 2011, als auch der letzte Bär der einst über 30 Individuen starken Population auf mysteriöse Weise verschwand. Ein kleines Raubtier wie die Wildkatze, die sich über die Jahrhunderte vom erbarmungslosen Killer zum Sympathieträger vieler Naturschutzorganisationen gemausert hat, dürfte mit weniger Gegenwind zu rechnen haben. Zumindest denkt man in Österreich bereits darüber nach, den Wildkatzen die Rückkehr ein wenig zu erleichtern. Die Unterstützung durch die Jagd scheint ihr sicher. Oder?

       Holt uns die Vergangenheit ein?

      »Kein Luchs schafft es in den Bayerischen Wald oder wieder raus«, behaupten böse Zungen. Ein trauriges Beispiel ist Luchs Alus, der von Friaul-Julisch Venetien bis in den Pinzgau gewandert war, ehe er im September 2017 ohne Kopf und Pfoten bei Bad Reichenhall im Berchtesgadener Land auftauchte. Allein zwischen 2010 und 2016 sind im Bayerischen Wald mindestens fünf Luchse illegal getötet worden.93 Inwiefern auch Wildkatzen ins Fadenkreuz genommen werden, ist ungewiss. »Nach unseren Erfahrungen in den vergangenen 15 Jahren hat sich das Verhältnis der Jägerschaft zur Wildkatze deutlich verbessert. Wir kennen mittlerweile auch einige Jäger, die stolz darauf sind, die Tiere in ihren Revieren nachzuweisen«, berichtet Sabine Jantschke, Freiwilligenkoordinatorin im Wildkatzenprojekt des Bund Naturschutz in Bayern. Aber nicht alle lassen sich gerne in ihre Karten blicken. »Ob sie schon eine Wildkatze gesichtet haben, das lässt sich aus unseren Jägern nur selten herauskitzeln«, sagt Christopher Böck, der Geschäftsführer des Oberösterreichischen Landesjagdverbandes. Auch wenn sämtliche Landesjagdverbände der Alpenrepublik hinter den europäischen Minitigern stehen und sich im Rahmen der Plattform Wildkatze engagieren94, ist damit freilich nicht in Stein gemeißelt, welche Entscheidung jeder einzelne der rund 130 000 österreichischen Jäger letztlich auf dem Hochsitz trifft.95 Ganz abgesehen davon, dass es hierzulande überhaupt erst einmal zu einem Zusammentreffen von Grünrock und Wildkatze kommen muss.

      Auf dem Balkan ist das kein Problem. Das Strandscha-Gebirge bildet die Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei und es sei in Jägerkreisen bekannt für seine großen Wildkatzen, verrät mir Forscherin Diana Zlatanova. »Mit unseren Wildkamera-Ergebnissen aus der Gegend können wir das tatsächlich bestätigen«, sagt sie. Wie in allen EU-Mitgliedsländern ist die Wildkatze auch in Bulgarien geschützt, aber ganz abgeebbt dürfte die einstige Jagdtradition noch nicht sein. In Online-Jagdforen, die als geschlossene Gruppen geführt werden, diskutieren die Waidmänner gelegentlich über unbeabsichtigte Abschüsse oder das explizite Wildern geschützter Arten. »Die großen Strandscha-Wildkatzen sind dort auch ein Thema«, so Zlatanova.

      In Rumänien verzichtet man auf Geheimniskrämerei und beruft sich gleich auf antiquarisches Gedankengut, zumindest auf der Website »Hunting in Romania«. Hier wird nicht nur stolz auf einen Wildkatzenschädel von 1967 hingewiesen, der bis heute in seiner Trophäenbewertung weltweit unerreicht sei, sondern auch explizit festgestellt, dass jedes Jahr eine gewisse Anzahl der Tiere geschossen werden müsse, um die verursachten Schäden nicht ausufern zu lassen.96 Das hatten wir doch schon mal.

      In geduckter Haltung, die Ohren angelegt, blickt eine Wildkatze eingeschüchtert aus ihrem viel zu kleinen hölzernen Käfig. Auf einem anderen Foto dösen Wildkatze und Luchs in einem gemeinsamen Gefängnis gerade einmal eine Beinlänge voneinander entfernt. Aleksandër Trajçe, der Leiter der albanischen Naturschutzorganisation PPNEA, hat mir bedrückende Bilder geschickt. Sie sind Zeugnis für die unwürdigen Bedingungen, unter denen auch heute noch viele Wildtiere leiden. »Straßenzoos waren in Albanien vor allem zwischen 2008 und 2012 sehr häufig anzutreffen«, erklärt Trajçe. Wenn auch auf internationalen Druck deutlich zurückgegangen, ganz verschwunden seien sie bis heute nicht. Die Bezeichnung »Zoo« ist dabei alles andere als passend. Restaurant-, Café- oder Barbesitzer pferchen Wildtiere in nackte Käfige, um damit Gäste anzuziehen oder mit Eintrittsgeldern eine kleine Zusatzeinnahme zu generieren. Die Tiergefängnisse liegen meist an Durchzugsstraßen, wo auch Busreisende für eine Pause inklusive Unterhaltungsfaktor leicht Halt machen können. Als Hauptattraktion blicken vor allem Braunbären hinter den Gitterstäben hervor. »Manche Restaurantbesitzer sind überzeugt davon, einen verwaisten Babybären gerettet zu haben. Andere dürften sehr wohl wissen, dass die Jäger, die die Tiere feilbieten, dafür gezielt die Mütter erschießen. Nur so kommen sie an die Jungen heran«, sagt der PPNEA-Leiter. Auch Wölfe und Rehe finden sich unter den unglücklichen Gefangenen und in der Vergangenheit waren unter ihnen sogar Exoten wie Löwen und Zebras. Wildkatzen stellen dagegen eher die Ausnahme dar. »Vermutlich

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