Europas kleine Tiger. Christine Sonvilla
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Europas kleine Tiger - Christine Sonvilla страница 10
Bedrohungen stehen für Wildkatzen auf der Tagesordnung. Ihre Angst dürften sie mit einer kräftigen Portion Wagemut kompensieren, der ihrer Größe gar nicht angepasst scheint. Das Motto lautet: Angriff ist die beste Verteidigung. Diese Strategie ist im Tierreich durchaus beliebt. Feldhamster wirken mit ihrer pummeligen Gestalt und den prall gefüllten Pausbäckchen niedlich, aber wehe, sie werden in die Enge getrieben. Dann werfen auch sie all ihren Mut in die Arena, fauchen, knurren und stellen sich auf die Hinterbeine, nicht nur, um größer zu erscheinen, sondern auch, um ihren schwarzen Bauch in Szene zu setzen. Im Kontrast zu den hellen Pfoten wirkt dieser nämlich wie ein aufgerissenes Maul und soll schon so manchen Angreifer in die Flucht geschlagen haben. Küstenseeschwalben, die auf der Nordhalbkugel in den subarktischen Regionen brüten, kennen kein Erbarmen, wenn es um das Verteidigen ihrer Brut geht. Unterschreiten Eindringlinge – Menschen inklusive – die kritische Distanz zu den Bodennestern, fliegen die Vögel Attacken und picken nach den Köpfen der ungebetenen Gäste. Das tun sie so effektiv, dass andere Vogelarten wie Eiderenten in unmittelbarer Nähe brüten, um vom Schutzschirm der Schwalben zu profitieren. Wildkatzen, Feldhamster und Küstenseeschwalben, alle drei sind für ihre Größe außerordentlich mutig. Doch es gibt eine Tierart, die übertrumpft sie alle.
Ambros Aichhorn bewirtschaftet im Salzburger Pongau den Archehof Vorderploin und hat sich sein Leben lang der Erforschung verwegener Hautflügler gewidmet. »Die Hummeln gehören zu jenen Insekten, die am besten surren und brummen können«, erfahre ich von ihm. Und das sei sogar lebensnotwendig. »90 Prozent der Hummelkolonien befinden sich nämlich in Mausnestern. Die jungen Königinnen brauchen deren gut gepolsterte Nester, die sie sogar dann noch erschnüffeln, wenn diese durch Falllaub verschlossen sind.« Ich bin gespannt, wie sich ein Gipfeltreffen zwischen Maus und Hummel abspielt. »Begegnet der Königin im finsteren Gang ein Tier, beginnt sie gewaltig zu brummen. Es ist richtig unheimlich, wie das in den unterirdischen Gängen dröhnt«, beschreibt Aichhorn und erzählt mir weiter von seinen Beobachtungen: »Als sich drei laut brummende Hummeln einer Erdmaus näherten, bekam diese ganz große Augen und zog die Ohren ein. Das heißt, sie hatte Angst. Entsprechend begann sie auch zu kreischen und graben, um sich in Sicherheit zu bringen.« So mancher Nager zeigt sich allerdings seinerseits widerspenstig, weiß Aichhorn: »Mäuse und andere Nagetiere lernen rasch das Töten der Hummeln.« Aber es kann auch anders ausgehen. »Eine Steinhummel schaffte es beispielsweise, einem Ziesel ein Nest in 145 Zentimetern Tiefe erfolgreich abzuringen.«
Rückkehr mit Starthilfe
Die Zeit der massiven Verfolgung der Wildkatze ebbte im Verlauf des 20. Jahrhunderts ab, zumindest weitgehend. Vielerorts erholen sich die Wildkatzenbestände langsam, aber stetig. Und mancherorts – in Bayern und der Schweiz – erhalten die heimlich lebenden Katzen sogar Unterstützung beim Neustart. Während Felis silvestris in ein paar Gegenden in Mittel- und Südwestdeutschland überdauern konnte, fehlt seit 1930 jede Spur von ihr in Bayern. Um diese Lücke zu schließen, wird der BN, der Bund Naturschutz in Bayern, 1984 aktiv, beginnt – unter der Leitung von Günther Worel – Wildkatzen nachzuzüchten, auf das Leben in der Natur vorzubereiten und freizulassen. An der Zucht beteiligen sich mehr als 30 Zoos und Wildtierparks quer durch Europa.77 Bis 2008 gelangen auf diese Weise 580 junge Wildkatzen in den Vorderen Bayerischen Wald, den Steigerwald, den Spessart und die Haßberge.78 Ein Jahr und noch einige Freilassungen später wurde die Auswilderungsaktion für abgeschlossen erklärt.79
Wie es bei so vielen Wiederansiedlungen der Fall ist, gab es auch in Bayern eine steile Lernkurve. Die Tiere wurden zunächst im Herbst freigelassen, in den Folgejahren dann aber überwiegend im Frühjahr und Sommer. Dadurch vergrößerten sich die Überlebenschancen der Neuankömmlinge, mit der erfreulichen Konsequenz, dass wiederholte Sichtungen gelangen, die das Vorkommen in allen Ansiedlungsgebieten und auch die Ausbreitung in neuen Bereichen bestätigten.80 Um noch genauer über den Verbleib der Neubesiedler Bescheid zu wissen, gab es außerdem drei Studien, bei denen in Summe 28 Katzen mit Halsbandsendern ausgestattet wurden.81 Im Spessart etwa musste man jedoch feststellen, dass von elf im Jahr 1999 freigelassenen und besenderten Tieren gleich drei im Straßenverkehr ums Leben gekommen waren und sich zwei weitere – wegen ausgefallener Sender – nicht mehr aufspüren ließen. Das klingt nach einem mächtigen Dämpfer. Die restlichen sechs Tiere überlebten aber, und das mindestens so lange, wie die Batterien ihrer Halsbandsender funktionierten. In zwei Fällen waren das immerhin elf Monate.82 Wer sich die hohe Jungensterblichkeit aus dem Südharz vergegenwärtigt, kommt zu dem Schluss, dass mehr als 50 Prozent durchkommender Wildkatzen in der Tat kein schlechter Schnitt ist. Die besenderten Pionierkatzen hatten außerdem keine Probleme damit, ausreichend Beute zu machen, und möglicherweise sorgten sie auch für Nachwuchs. Schon in den Jahren zuvor gelang es Forschern, mehrere Nachweise von erfolgreichen – und vermutlich auch sehr mutigen – Wildkatzenmamas sowohl aus dem Spessart als auch aus dem Vorderen Bayerischen Wald zu erbringen.83
Ist die Wiederansiedlung damit geglückt? Nicht alle würden das unterschreiben. Kritiker monieren, dass es keine ordentliche Zuchtplanung gegeben habe, dass genetische Proben erst Anfang der Nullerjahre genommen worden seien und dass vor allem Unklarheit herrsche, wo die Tiere überhaupt herkämen. Bei Auswilderungen ist es wichtig, Tiere für die Nachzucht heranzuziehen, die geografisch dem Gebiet, in das sie freigelassen werden, am nächsten sind.84 Das war in Bayern der Fall. Etwa 70 Wildkatzen – und damit drei Viertel aller Zuchttiere – waren verletzte Wildfänge aus dem Harz und damit aus Mitteldeutschland. Diese Tiere wurden an die zoologischen Gärten in Magdeburg und Thale abgegeben und bildeten den bayerischen Zuchtstamm.85 Nur etwa 15 Prozent der nachgezüchteten Tiere dürften ihren Ursprung weiter östlich gehabt haben und kamen aus dem Erzgebirge, aus Tschechien und der Slowakei.86 Die Abkömmlinge letzterer Gruppe und ihre »fremden« genetischen Anteile lassen sich heute ganz gut auf der Wildkatzenlandkarte Deutschlands abbilden, vor allem im Spessart. Kritiker meinen, dies wären die einzigen, fragmentierten Hinweise auf die einstige Auswilderung. Die genetische Linie aus dem Harz, die sich ebenfalls in Bayern nachweisen lässt, soll dagegen von selbst, unabhängig von der Wiederansiedlung, eingewandert sein.
Günther Worel, der in Bayern den Ruf hat, der »Vater der Wildkatzen« zu sein und das Projekt von Anbeginn leitete, können wir dazu nicht mehr befragen. Im Hauptberuf Schafzüchter, verstarb er bereits 2018 bei einem landwirtschaftlichen Unfall.87 Zehn Jahre zuvor, im Zuge eines Symposiums über die Zukunft der Wildkatze in Deutschland, resümierte er, dass die Wiederansiedlung geglückt sein dürfte. Er räumte aber auch ein, dass die bisherigen Erfolgskontrollen nicht ausreichend gewesen seien.88 Fest steht: Die Wildkatze, wenn auch noch vereinzelt, ist zurück in Bayern und die Wiederansiedlung hatte zweifelsohne ihren Anteil daran. Ach ja: Ordentliche Tests zur genetischen Bestimmung von Wildkatzen waren übrigens erst im Laufe der Nullerjahre verfügbar.
Anstatt strukturiert vorzugehen, setzten die Eidgenossen eher auf aktionistische Guerillamethoden. Aber der Reihe nach. Immerhin gab es auch ein paar offizielle Freilassungen in der Schweiz, in den 1960er-Jahren etwa durch das Jagdinspektorat Bern, das 19 Wildkatzen am Brienzersee freiließ. 1971 folgten vier Wildkatzen aus dem Zoo La Garenne, die bei La Sarraz am Jurasüdfuß in die Natur entlassen wurden, und sieben weitere übersiedelten 1974 und 1975 aus dem Tierpark Dählhölzli ebenfalls in den Jura.89 Parallel kam es aber auch zu einigen Freestyle-Aktionen. »Es war einfach eine andere Zeit, heute wäre das nicht mehr möglich«, gibt Wildkatzenfachmann Darius Weber zu bedenken. Einige Schweizer Naturschützer, darunter der bereits verstorbene Kunstmaler Robert Hainard, setzten auf Eigeninitiative und machten sich den Umstand zunutze, dass das benachbarte Frankreich Wildkatzen zur damaligen Zeit noch immer als »nuisible«, also als schädlich einstufte und Prämien auf den Fang der Tiere auszahlte.90 Erst 1979 wurden sie auch in Frankreich unter Schutz gestellt. Davor aber fädelten die Schweizer