Kinder- und Jugendbuchverlage. Ulrich Störiko-Blume

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Kinder- und Jugendbuchverlage - Ulrich Störiko-Blume BRAMANNBasics

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die wesentlich an der Stavanger Erklärung zur Zukunft des Lesens vom 3./4. Oktober 2018 beteiligt ist, die weltweit Aufmerksamkeit und Nachdenklichkeit hervorgerufen hat – weniger bei den Politikern, die vorschnell und windschnittig von einer #Digitalisierung schwärmen, deren Voraussetzungen und Auswirkung sie oft gar nicht verstanden haben. An den Studien dazu haben 200 Wissenschaftler aus ganz Europa mitgewirkt, u. a. wurden 54 Einzeluntersuchungen mit insgesamt 170.000 Teilnehmern ausgewertet.

      Auf eine extrem kurze Formel gebracht, ist der allgemeine Befund: Kurze informative Texte bis zu sieben Seiten werden mit gleicher Wirkung auf Bildschirmen und auf Papier gelesen – je länger und je komplexer die Texte sind, desto mehr ist das Lesen auf Papier von Vorteil. Wenn man die Forschungsergebnisse zuspitzt auf die Adressaten der KJBV, werden die Forscher noch deutlicher:

      Lehrern und anderen Erziehern muss bewusst gemacht werden, dass schnelles und pauschales Ersetzen von Gedrucktem, Papier und Schreibwerkzeugen durch digitale Technologien in der Grundschule nicht folgenlos ist. Wenn dies nicht von wohlüberlegten Lernmitteln und Lernstrategien begleitet wird, kann es bei Kindern zu Rückentwicklungen beim Leseverständnis und beim Aufbau kritischer Denkfähigkeit führen. (Mangen 2019)

      Anne Mangen und viele andere Forscher haben nicht einfach apodiktisch das eine (›Nur Lesen auf bedrucktem Papier wird dem Lesestoff gerecht‹) oder das andere (›Es ist vollkommen egal, auf welcher materialen Basis man liest‹) behauptet. Sie haben nach den Regeln der empirischen Sozialforschung untersucht, wie sich das Leseverständnis von identischen Texten auf den unterschiedlichen Ausgabeformen darstellt.

      1.5

      Das Kinder- und Jugendbuch zwischen Literatur, Pädagogik, Unterhaltungswirtschaft und Buchhandel

      Wessen Regeln, Kriterien und Intentionen sollen Kinder- und Jugendbücher genügen? Die mächtigsten Disziplinen, die auf das KJB einwirken, sind die Literatur, die Pädagogik, die Unterhaltungswirtschaft und der Buchhandel. Sie sehen es – in ihrer jeweils spezifischen Wahrnehmung – entweder als literarische Kategorie, als Kulturgut oder als Wirtschaftsgut. Keinem Bereich kann man die Berechtigung absprechen, hier Interessen einzubringen; aber zu keinem gehört das KJB ausschließlich.

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      Die in der #Genre-Übersicht angezeigten Kombinationen von ›populär‹ mit ›Medienindustrie‹ und von ›kommerziell‹ mit ›Buchhandel‹ wären irreführend, wenn sie ausschließlich gemeint wären. Gewiss orientieren sich die Unterhaltungsmedien an Popularität, und sie denken und arbeiten kommerziell. So muss aber auch der Buchhandel aufgestellt sein; der Begriff ›kommerziell‹ ist nicht pejorativ gemeint, sondern soll zum Ausdruck bringen, dass hier Geschäfte gemacht werden (müssen), etwa im Gegensatz zum staatlichen Bildungssystem.

      Das Kinder- und Jugendbuch: Ein Teil der Literatur?

      Paradoxerweise trifft man gerade in den Literatur- und Sprachwissenschaften gegenüber dem KJB häufig auf eine Haltung zwischen freundlicher Herablassung, Desinteresse, Zweifel an der Relevanz und Ignoranz. Die wenigen universitären Lehrstühle, Forschungsinstitute und Studiengänge, die sich auf akademischem Niveau mit dem KJB befassen, sind ein Ausdruck davon. Und auch die müssen in den Hochschul-Gremien oft mühsam für ihre Anerkennung und für Mittel argumentieren.

      Viele kluge Autoren, die in der Belletristik zu Hause sind, schreiben aus Respekt vor den Anforderungen an ein Bilder-, Kinder- oder Jugendbuch dergleichen nicht. Es sind nur wenige, dafür aber dann meist ganz herausragende Autoren, die sowohl allgemeine Literatur als auch für junge Leser schreiben. Der unbestrittene Altmeister dieser Doppelbegabung ist Erich Kästner. Viel zu selten, könnte man sagen, aber immer wieder finden sich Schriftsteller, die sich auf beides verstehen: Peter Härtling, Uwe Timm, Hans Magnus Enzensberger, Annette Pehnt, Franz Hohler, Burkart Spinnen, Markus Orths, um nur einige deutschsprachige zu nennen.

      Ähnlich ist es im Sachbuch-Bereich. Während es in vielen anderen Ländern überhaupt keine Frage ist, dass ein hochangesehener Fachwissenschaftler ein Sachbuch für junge Leser verfasst, z.B. Stephen Hawking, ist das bei uns eine – lobenswerte – Seltenheit, wie im Fall des Astrophysikers Harald Lesch, der sich mit der Kinderbuchautorin Gudrun Mebs zusammengetan hat, um Kindern Themen wie Evolution, Astronomie, Philosophie oder Mathematik zu erklären.

      Wie kann man diese eigenartige Diskrepanz erklären? Hier ein Versuch: Im deutschsprachigen Feuilleton wurde lange Zeit eine Unterscheidung gepflegt, heutzutage oft heftig bestritten, teils bewusst ignoriert, aber latent immer noch vorhanden: die zwischen E und U, ernster und unterhaltender Literatur. Man kennt diesen Gegensatz auch in der Musik. In der angelsächsischen, skandinavischen, frankophonen, russischen und sicher auch vielen weiteren Kulturen ist eine derartige Unterscheidung nicht gebräuchlich. Es gehört zu den großen Verdiensten eines Verlegers wie Daniel Keel, solche Grenzen gesprengt zu haben, indem er den einst von ihm mitgegründeten Diogenes Verlag nach dem Voltaire’schen Motto geführt hat:

      Jede Art zu erzählen ist erlaubt, nur nicht die langweilige. (Voltaire)

      Eine ähnliche Grenzziehung verlief früher auch durch das KJB in Gestalt der Gegenübersetzung des ›guten Buchs‹ gegen ›Schmutz und Schund‹, womit vor allem Comic-Hefte, aber auch ›Kaufhaus-Bücher‹ aus dem Franz Schneider Verlag und Ähnliches gemeint waren. Paul Maar hat für die Gegenwart einen entsprechenden Kontrapunkt formuliert:

      Früher sagte man: ›Das Buch ist gut‹.

      Heute sagt man: ›Das Buch ist gut verkäuflich‹. (Maar 2014)

      Das Kinder- und Jugendbuch: Ein Teil der Pädagogik?

      Das ›gute‹ KJB stammte entweder von einem klassischen Schriftsteller oder von einem in den neuen Kanon der KJB aufgenommenen Autor wie Otfried Preußler, Max Kruse oder Paul Maar. Alle diese großen Autoren der Nachkriegszeit haben sich dem Zugriff der Pädagogik aus guten Gründen entzogen – obwohl sie selbst einige Zeit als Lehrer gearbeitet haben.

      Dem Deutsch-Unterricht an der Schule wird ja mitunter zurecht vorgeworfen, er trage eher zum Desinteresse an der Literatur bei, als dass er junge Menschen für das Lesen begeistere. Dies hängt sicherlich, wie überhaupt jeder Lernerfolg, vom Lehrer ab. Auf eine besonders prägnante Kurzform lässt sich die Zerstörung des Zaubers der Poetik anhand des Umgangs mit Gedichten im Unterricht darstellen. Ein Gedicht ist eben etwas ganz anderes als die Summe seiner Teile, auch wenn die ›Teile‹ Wörter und Sätze sind.

       Dann wurde es ganz auseinandergenommen

      Und jeder Vers wurde einzeln besprochen.

      Das hat dem Gedicht das Genick gebrochen.

      (Bernd Lunghard: Gedichtbehandlung)

      In vordemokratischen Zeiten sollten KJB eine erzieherische Funktion im Sinne der herrschenden gesellschaftlichen Ziele erfüllen. Dominierten in der Kaiserzeit die Ideale einer autoritätshörigen, starren, oft auch nationalistischen Bürgerlichkeit, ging es in totalitären Gesellschaften um Vorbilder für die Jugend, je nach System in nationalsozialistischer oder kommunistischer Gesinnung. Damit war es – zumindest im Westen Deutschlands – nach 1945 vorbei. Auch in der Kinderliteratur der DDR konnten sich trotz staatlicher Genehmigungsprozeduren mit gelegentlichen Verboten neben systemtreuen Werken auch freie literarische Formen entfalten.

      Das Kinder- und Jugendbuch:

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