Kinder- und Jugendbuchverlage. Ulrich Störiko-Blume
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Nachdem 1989 die innerdeutsche Mauer gefallen war und sich auch im Osten die Marktwirtschaft wild verbreitete, schien der Nachholbedarf an in keiner Weise bevormundender Unterhaltung im Osten Deutschlands noch größer. Es führte dort zu einem großen Verlagssterben und zur Verunsicherung der Existenz zahlloser Schriftsteller, auch im KJB-Bereich, die oft in den neuen Verhältnissen bei den ›westlich‹ geprägten Verlagen mit ihren Büchern nicht mehr ankamen.
Große Hoffnungen wurden auf eine Art Medienkonvergenz gesetzt: Licence Characters (z. B. Disney-Figuren oder eine Zeichentrickfilm-animierte Biene Maja) erschienen zunächst in möglichst vielen Medien wie Film, Fernsehen, Radio, MC-Tonkassette, Buch, Zeitschrift; aber auch als Merchandising-Produkte auf T-Shirts, Geschirr, Kinderfahrrädern, Bettwäsche, Zahnpasta etc. Hier beherrschen oft internationale Medienunternehmen die Szene, die sich je nach Lage vor Ort regionale #Lizenznehmer suchen. Buch heißt in dieser Auswertungsform dann nicht: von guten Autoren geschrieben, von ausgezeichneten Illustratoren bebildert, hochwertig gedruckt – sondern von namenlosen Schreibern und schlecht bezahlten Übersetzern getextet, simpel gezeichnet, billig gedruckt und für einen erbärmlich niedrigen Preis verkauft, meist mit 99 Cent hinter dem Komma. Hier geht es ums Geschäft, hier sind Kinder als Konsumenten gemeint, und diese Medienprodukte findet man auch weniger in Buchhandlungen als im Supermarkt.
Seit schon vor der Jahrtausendwende die #Globalisierung auch die Druckindustrie erreicht hat, werden solche Buchprodukte (oft mit ›Gimmicks‹, also zusätzlichem Mini-Spielzeug aus Plastik) in großen Stückzahlen in Fernost (erst Hongkong und Singapur, später zunehmend China) hergestellt – zu Preisen, die in Deutschland, aber auch Italien oder Belgien nicht zu realisieren gewesen wären. Solche bunten billigen Buchprodukte entziehen sich jeglicher Aufmerksamkeit in der an Qualität orientierten KJB-Szene, auch bei Rezensenten, und erst recht im Bereich dessen, was für den Einsatz in der Schule in Frage kommt.
Eine neue Dimension hat das Verhältnis Literatur/Unterhaltungsindustrie bekommen, als hochwertigere Stoffe zur Verfilmung kamen: Die unendliche Geschichte, Herr der Ringe, Harry Potter, Rennschwein Rudi Rüssel, Tschick, Die Welle oder Das Schicksal ist ein mieser Verräter. In den meisten Fällen ist es so, dass zunächst ein Buch oder eine Buchserie ein großer Erfolg wird – und dann engagiert sich ein Filmproduzent; meist muss eine solche Vermarktung international laufen, da aufwändige Filmproduktionen einen ungeheuren Investitionsbedarf haben, der in einem Land gar nicht zurückverdient werden kann. Solche Filme, die dann auch im Fernsehen wiederholt werden, lösen meist einen weiteren Nachfrageschub bei den Büchern aus. So legen Verlage mitunter bei großangekündigten Kinostarts spezielle Ausgaben auf, die auf dem Cover und zum Teil auch innen mit Bildern aus dem Film ausgestattet sind. In anderen Fällen verzichten Verlage darauf, weil sich oft binnen weniger Tage entscheidet, ob ein Film beim Publikum ankommt oder nicht. In letzterem Fall geriete auch das Buch zum #Flop.
Bei Literaturverfilmungen kann man lange Debatten darüber führen, ob der Geist der literarischen Vorlage gut getroffen ist oder diese verfälscht. Berühmt war der Aufschrei von Michael Ende, der sich mit Grausen von der Verfilmung seiner Unendlichen Geschichte durch den sehr erfolgreichen Regisseur Wolfgang Petersen 1984 distanziert hat. Andere Autoren waren so glücklich mit der verfilmten Version ihres Romans, dass sie sogar eine kleine Nebenrolle übernommen haben, so John Green 2014 in Das Schicksal ist ein mieser Verräter.
Es sind oft Nebensätze und Vergleiche, in denen dem Leser der Kulturseiten auch heute noch despektierliche und/oder ignorante Äußerungen über das KJB begegnen, wie man sie eigentlich von gebildeten Journalisten nicht erwarten können sollte, die sich wenigstens ansatzweise ein Bild von der Entwicklung des KJB bis zur heutigen Qualität und Vielfalt gemacht haben. Wenn ein Kritiker einen Erwachsenen-Roman für ein wenig zu simpel geraten hält, schreibt er schon mal, das lese sich ja wie ein Kinderbuch.
Neben der Kritik wegen mangelnder literarischer Finesse ist auch der Vorwurf der Zielgruppen-Beschränktheit zu vernehmen. Die Literaturkritikerin Christine Knödler schreibt dazu:
Lange galt: Jugendliteratur ist für-Literatur; von speziellen Autor/-innen geschrieben, in speziellen Verlagen verlegt, als Sparte klar definiert. Eine Literatur, die sich an spezielle Adressaten wendet. (Knödler 2012, 160)
Ihre Schlussfolgerung, nachdem sie exemplarisch die literarischen Qualitäten mancher ›Jugendbücher‹ erläutert hat, lautet: diese ›für-Rolle‹ ist überholt, weil sich die Jugendliteratur zu einer »experimentierfreudigen, eigenständigen Literatur« weiterentwickelt hat (Knödler 2012, 165).
Die Buchkäufer sind nicht die Leser
Das klassische Dilemma des KJB ist die weitgehende Inkongruenz der Zielgruppe ›Käufer von KJB‹ mit der Zielgruppe ›Leser von KJB‹. Das ist ein großer Unterschied zur allgemeinen Literatur für Erwachsene, aber auch zum Fernsehen oder zum Internet, die sich im Prinzip direkt an ihre Nutzer wenden. Daher unterliegen KJBV stets der Versuchung, eine Literatur für Vermittler statt für die eigentliche Zielgruppe zu sein; und sie unterliegen umgekehrt der Gefahr, ihre Stärken verkennend, ihre Zielgruppe inhaltlich, sprachlich und ästhetisch zu unterfordern.
Statistische Erhebungen über Buchkäufer sind rar, insbesondere bezogen auf KJB. Die gemeinsam vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der avj (Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen) beauftragte Studie Kinder- und Jugendbücher – Marktpotenzial, Käuferstrukturen und Präferenzen unterschiedlicher Lebenswelten wurde zuletzt 2007 von GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) und Sinus Sociovision durchgeführt. Basis dafür waren zwei Erhebungen: das repräsentative GfK-Buchmarkt-Panel von 2006, für das 20.000 Personen ab 10 Jahren monatlich zu ihren Buchkäufen befragt wurden; und eine Ad-hoc-Befragung von 1.448 repräsentativ ausgewählten KJB-Käufern ab 10 Jahren. Zwei markante Ergebnisse hat diese Studie ergeben, die nach allem, was man weiß, heute nicht wesentlich anders ausfallen würden:
• 69% der KJB werden von Frauen gekauft.
• Nur bei 7% der KJB sind die Käufer unter 20 Jahre alt.
Dank der neuen gesetzlichen Regelungen zur Elternzeit und aufgrund sich verändernder Lebensprioritäten bei Müttern wie Vätern sind vermutlich heute mehr junge Väter in den Lebensalltag ihrer Kinder und damit auch in alltägliche Verrichtungen wie Bücherkaufen einbezogen. Selbst wenn der eigentliche Kauf von Erwachsenen vollzogen wird – Kinder äußern ja auch Wünsche, die erfüllt werden.
1.6
Das Kinder- und Jugendbuch als zweitgrößte Teilbranche des Buchmarkts
Immer wieder löst man selbst bei buchaffinen Menschen Erstaunen aus, wenn man nicht nur auf die kulturelle Bedeutung, sondern auch auf das ökonomische Gewicht des KJB hinweist. Aufschlussreich ist der Vergleich mit der Belletristik, die traditionell und stabil den größten Anteil am Buchmarkt darstellt.
Sowohl die Belletristik als auch das KJB verzeichnen seit den 1950er Jahren einen kontinuierlichen