Black and Blue. Wolfram Knauer

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Black and Blue - Wolfram Knauer

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Grundierung; die Trommler treiben das ganze voran. Die größte improvisatorische Freiheit hat der Trompeter, der sich in einem Solo über diesen kollektiven Klangteppich der Band erheben darf. So ähnlich mag geklungen haben, was Armstrong begeisterte, wenn er die Marschkapellen durch die Stadt ziehen sah.

      Fate Marable

      In New Orleans, kommentiert Tom Stoddard in der von ihm herausgegebenen Autobiographie des Kontrabassisten Pops Foster, ging man durch verschiedene Stadien der Lehre, bevor man als professioneller Musiker ernst genommen wurde. Man begann als Amateur, bis man, wenn es gut lief, einen erfahrenen Musiker fand, der einen unter seine Fittiche nahm. Und wenn man talentiert und hartnäckig genug war, nahm der einen schon mal auf einen Gig mit und zahlte vielleicht sogar einen Dollar dafür. Das konnte eine Chance sein, denn die Bandleader buchten ihre Gigs meist selbst, und sie waren immer auf der Suche nach jungen Talenten. Nur wenige Musiker konnten allerdings von der Musik allein leben; die meisten hatten bürgerliche Berufe, »Friseur wie Buddy Bolden, Gipser wie Johnny St. Cyr, Klempner wie Alphonse Picou, Zigarrenmacher wie Manuel Perez, Schauermann wie Pops Foster«.32

      1919 engagierte der Pianist und Bandleader Fate Marable Armstrong. Der hatte den älteren Musiker schon zuvor oft gehört, wann immer er zum Mississippi ging und der Dampforgel eines der Schaufelraddampfer zuhörte, die von Marable gespielt wurde, um potentielle Fahrgäste zu Ausflügen auf den Booten zu animieren. Die Streckfus-Reederei, für die Marable seit 1907 arbeitete, hatte 1889 als schwimmender Paketdienst begonnen und ab 1901 Ausflugsboote hinzugenommen, von denen es 1920 fünf Stück gab. Sie waren reine Veranstaltungsboote, beförderten weder Reisepassagiere noch Ladung. Sie fuhren den Mississippi auf und ab, von New Orleans über Natchez, Memphis, St. Louis bis nach Davenport, Iowa, wo die Schiffe meistens den Winter über festmachten. Es gab unterschiedliche Ausflugsprogramme, Tagestrips etwa, die morgens begannen und bis spätabends gingen, oder Nachtexkursionen von halb neun abends bis gegen Mitternacht. Es gab Riverboats, die jeden Tag zu ihrem Anlegeplatz zurückkehrten, und andere, die den Mississippi Hafen für Hafen abfuhren und an Orte, die keine eigenen Ballsäle besaßen, ein wenig Vergnügung brachten.

      Die meisten der Bands, die in den Salons der Boote zum Tanz aufspielten, waren weiß, nicht anders als ihr Publikum. Die Ausnahme war der Montagabend, an dem jeweils eines der Boote nach St. Louis fuhr und die Band für ein schwarzes Publikum spielte. Am besten besucht waren die Wochenenden mit einer Tanzveranstaltung am Freitagabend, zwei am Samstag und mindestens einer weiteren am Sonntag.33 Wenn die Musiker länger auf dem Schiff unterwegs waren, erhielten sie 35 Dollar pro Woche plus Kost und Logis an Bord. Pops Foster, der zur selben Zeit in der Band war wie Armstrong, erinnert sich, dass der Job eigentlich recht angenehm gewesen sei: »Du spieltest Musik, die [den Streckfus-Leuten] gefallen musste, nicht dem Publikum. Solange die glücklich waren, hattest du einen Job.«34

      Armstrong reiste drei Sommer lang mit Marable auf der »S. S. Sydney«. Wie schon das Barbershop Quartett seiner Jugend, seine Zeit im Colored Waif’s Home oder die Abende mit Joe Oliver, so war auch das Engagement bei Marable für ihn eine wichtige Schule. Anders als bei Kid Ory nämlich, der selbst nicht sonderlich notenfest war, wurde genau das von den Musikern auf dem Riverboat erwartet. Marable und der Mellophon-Spieler der Band, Davey Jones, halfen Armstrong dabei, notenfest zu werden, ein Übriges taten die täglichen Proben, die bis zu zwei Stunden dauern konnten und bei denen oft Captain Joe Streckfus persönlich vorbeischaute, um mit einer Uhr in der Hand das Tempo mitzustoppen – 70 Schläge die Minute für Foxtrotts, 90 für One-Steps. Genauso nützlich war eine andere Seite dieses Engagements: Bei Marable eignete Armstrong sich ein großes Repertoire aktueller Schlager- und Blueskompositionen an. Am Abend waren insgesamt 14 Nummern zu spielen, erinnerte sich Foster später, und alle zwei Wochen wechselte das Repertoire. Man konnte die Stücke ausdehnen, sie waren in der Regel also weit länger als die Beispiele solch früher Musik auf der zeitlich begrenzten Schellackplatte erahnen lassen. Die weißen Kapellen an Bord, die oft auch Geigen in ihren Reihen hatten, spielten eher seichte Musik; und auch Marable hatte Walzer und Polkas im Programm, daneben aber eben auch Ragtimes, Blues und andere Titel, die in New Orleans gerade populär waren. Seine Band galt als »schwimmendes Konservatorium«, durch das neben Armstrong und Foster auch zahlreiche andere Musiker gingen, der Trompeter Henry Red Allen etwa, der Gitarrist Johnny St. Cyr und die Schlagzeuger Baby Dodds und Zutty Singleton. Fate Marable ging 1924 mit seinen Society Syncopators für Plattenaufnahmen ins Studio, die deutlich auf den Charleston-verrückten Tanzmarkt gerichtet waren. ›Pianoflage‹ ist ein gutes Beispiel, stark durcharrangiert und ohne nennenswerte Improvisation. Pops Foster jedenfalls, der bei diesen Aufnahmen nicht mehr mit dabei war, hat nichts Gutes über sie zu sagen: »Wenn du versuchst so zu spielen wie die Typen damals, dann bist du tot!«

      Bei einer der Schiffstouren in den Norden traf Armstrong 1920 übrigens auch den Kornettisten Bix Beiderbecke. »Der war ein niedlicher Junge«, erinnerte sich Satchmo, der ja gerade mal zwei Jahre älter als Beiderbecke war, »er kam immer runter, um die Bands zu hören, und ging dann heim, um zu üben, was er gehört hatte.«35 Später machte Beiderbecke, wann immer er in Chicago war, einen Abstecher in den Lincoln Gardens, wo Armstrong mit King Olivers Creole Jazz Band auftrat. Tatsächlich entwickelte er in etwa zeitgleich mit Armstrong seinen eigenen Stil, lyrischer, sanfter, aber nicht weniger einflussreich auf die Jazzgeschichte.

      In seiner Autobiographie versichert Armstrong, dass er Beiderbecke immer verehrt habe, auch und gerade wegen seines lyrischen Ansatzes: »Wenn du einen Typen mit einem so reinen Ton wie Bix hast, dann ist es völlig egal, wie laut die anderen spielen, sein Ton wird durch alles durchscheinen.« Beiderbecke wiederum sei laut Schlagzeuger Ralph Berton unglaublich selbstkritisch gewesen, aber wann immer er Armstrong hörte, habe er einfach nur gestrahlt.36 Armstrong war sich der Konkurrenz auf seinem Instrument durchaus bewusst, aber er hatte – vielleicht, weil Beiderbecke so deutlich anders spielte und sicher auch, weil er früh starb, 1931, mit gerade mal achtundzwanzig Jahren – kein Problem damit, den Kollegen später als einen der ganz Großen anzuerkennen. »Ich hatte all seine Platten. ›Singin’ the Blues‹, sein Solo über ›From Monday On‹, Mann, wie schön: whap ba boo-dee… boo-da de-za-na.«37

      Kapitel 2

      »Chicago Breakdown«

      Goin’ to Chicago, King Oliver (1923–1925)

      Chicago

      Joseph Nathan Oliver wurde 1881 in einer kleinen Gemeinde am Mississippi River geboren und zog bereits als Kind nach New Orleans. Ab 1908 spielte er in den Brassbands der Stadt, und schnell wurden andere Musiker auf den Kornettisten aufmerksam. Bald gehörte er verschiedenen der großen Marsch- und Tanzkapellen der Stadt an: unter anderem der Onward Brass Band, der Eagle Brass Band, dem Original Superior Orchestra und der Magnolia Band. Er spielte in Kid Orys Band, in der er auch seinen »Adelstitel« »King« Oliver erhielt, bevor er sich 1918 entschied, nach Chicago zu gehen – in die Windy City, das Industrie- und Handelszentrum im Norden, wo die Arbeit mehr Geld versprach als im New Orleans der auf Druck der Navy geschlossenen Lasterhöhlen. Andere namhafte Kollegen hatten die Stadt bereits verlassen und sich in Chicago niedergelassen: Freddie Keppard etwa, Sugar Johnny Smith, Mutt Carey und Manuel Perez.

      Wir befinden uns in den 1920er Jahren, in der Zeit der Prohibition in Amerika. Der Volstead Act, der den Verkauf und Genuss von alkoholischen Getränken verbot, wurde im Oktober 1919 verabschiedet und erst vierzehn Jahre später, im Dezember 1933, durch Präsident Roosevelt wieder aufgehoben. Eine trockene Zeit war es dennoch nicht – im Gegenteil: Der Alkoholhandel blühte, wurde aber wegen des Gesetzes nicht von legalen Firmen betrieben, sondern von der florierenden Unterwelt. Das Chicago Al Capones ist weder Legende noch Einzelfall: Eine Situation wie in Chicago, wo die lokale Mafia das Sagen hatte – nicht nur beim äußerst lukrativen Alkoholschmuggel und -handel, sondern auch bei der Besetzung von Posten und Pöstchen in der Stadtverwaltung,

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