Black and Blue. Wolfram Knauer

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Black and Blue - Wolfram Knauer

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von Hardware nur dann Sinn macht, wenn es auch die zugehörige Software gibt, stieg Starr zugleich ins Plattengeschäft ein. 1917 richtete die Firma ein Presswerk in Richmond, ein Aufnahmestudio in Manhattan und ein zweites ebenfalls in Richmond ein. Da Starr Records so deutlich mit der Klavierbaufirma und ihrem großen Vertriebsnetz verbunden war, entkoppelte Henry Gennett die beiden Abteilungen und änderte den Namen des Labels in Gennett. So, hoffte er mit Recht, würden seine Platten auch von unabhängigen Geschäften verkauft werden, nicht nur in den Starr-Klavierhäusern.

      Das Studio auf dem Fabrikgelände der Klavierbaufirma hatte allerdings ein Problem: Es lag direkt neben einer Eisenbahnlinie, und wenn die Dampflokomotiven keine 50 Meter von der Hütte vorbeidonnerten, machte nicht nur der Lärm die Aufnahmen unmöglich, sondern die Vibrationen zerstörten zugleich die empfindlichen Wachsmatrizen, mit denen damals aufgezeichnet wurde. Das Studio war etwa 38 mal 9 Meter groß und hatte einen durch Doppelglasscheiben abgetrennten Kontrollraum. Man hatte Sägemehl zwischen die innere und äußere Wand gepackt, um den Raum möglichst schalldicht zu machen. Die Wände waren von der Decke bis zum Boden mit Teppichen behängt, und der Sound dementsprechend so trocken, dass die Musiker sich schon mal beschwerten, sie müssten sich anbrüllen, selbst wenn sie nur Meter voneinander entfernt stünden.44

      Das Label schickte Scouts nach Chicago, um Bands zu engagieren, die erfolgreiche Produktionen versprachen. Im August 1922 gingen die weißen New Orleans Rhythm Kings ins Gennett-Studio in Richmond. Paul Mares, der Kornettist der Band, hatte sich viel bei King Oliver abgeschaut, vor allem dessen beeindruckende Dämpfertechnik. Im Juli 1923 kam es in Richmond sogar zur ersten Gemeinschaftsproduktion von schwarzen und weißen Musikern in der Geschichte des Jazz, als die Rhythm Kings zusammen mit dem Pianisten Jelly Roll Morton einige Aufnahmen einspielten.

      Am 5. April 1923 aber bestiegen erst einmal die Musiker der King Oliver Creole Jazz Band einen Zug, der sie nach Richmond, Indiana, brachte. Sie gingen in ein Studio voll mit akustischen Aufnahmetrichtern und nahmen mehr als zwei Dutzend Takes auf, bevor sie sich am nächsten Tag wieder auf die Rückreise machten.

      Die Studiotechnik war damals noch rein mechanisch. Sowohl für die Aufnahme als auch für die Wiedergabe kamen also ausschließlich mechanische Mittel zum Einsatz. Grob erklärt: Die Musiker standen vor einem großen Aufnahmetrichter, der mit einer Nadel verbunden war. Die Vibrationen der Luft sorgten dafür, dass diese Nadel in einen rotierenden Wachszylinder oder eine rotierende Wachsplatte einen vertikalen Schnitt machte, dessen unterschiedliche Tiefe der Schwingungsfrequenz und Amplitude des gespielten Tons und Klangs entsprach. Mit der Zeit wurde die Aufnahmetechnik immer professioneller: In einer Abhandlung über die Geschichte der Schallplatte heißt es:

      Das Klavier steht aus schalltechnischen Gründen auf einem Podest; mehrere große und kleine Aufnahmetrichter ragen in den Raum, der einen ziemlich kahlen Eindruck vermittelt. Von der Aufnahmemaschine, die im Nebenraum steht, ist nichts zu sehen: Die Laufgeräusche sollen nicht ›mitgeschnitten‹ werden. […] Die Dynamik, d. h. Lautstärke und Brillanz einer Schallplatte, sind abhängig von der Anordnung der Instrumentengruppen während der Aufnahmesitzung. Eine Korrektur der einmal geschnittenen Matrize ist nicht möglich.45

      Erst ab etwa 1925 wurden elektrische Aufnahmeverfahren zum Studiostandard, die ein wesentlich größeres Frequenzspektrum garantierten, die Töne natürlicher und voller aufzeichneten.

      Für Jazzmusiker war die elektrische Aufnahmetechnik vor allem auch deshalb von Bedeutung, weil sie nun in ihren tatsächlichen Bandbesetzungen ins Studio gehen konnten. Bei mechanischen Aufnahmen wurden die Bandmitglieder in festgelegten Abständen zum Aufnahmetrichter aufgestellt. Der Posaunist George Brunis bei den New Orleans Rhythm Kings etwa musste auf eine seitliche Wand blasen, der Schlagzeuger Baby Dodds durfte auf King Olivers Aufnahmen von 1923 meist gerade mal auf Holzblöcken und den Rändern von Snare und Bass Drum spielen. Kontrabässe und Klavierbegleitungen gingen bei solchen Aufnahmen meist ganz unter, weshalb die Bassstimme oft von Tuba oder Basssaxophon übernommen wurde.

      King Olivers Band war in Hochform. Die Musiker hatten zwei Jahre lang im Lincoln Gardens gespielt und kannten ihr Repertoire in- und auswendig. Die gut zwei Dutzend Takes führten schließlich zu neun veröffentlichten Titeln, darunter gleich einige der hörenswertesten Einspielungen dieser Besetzung, der ›Dippermouth Blues‹ etwa, ›Froggie Moore‹, ›Chimes Blues‹ oder ›Weatherbird Rag‹. Die restlichen alternativen Takes sind nie veröffentlicht worden, die Masterplatten wurden Ende der 1920er Jahre vernichtet. Die Besetzung besteht aus Oliver und Armstrong, Kornett; Honore Dutrey, Posaune; Johnny Dodds, Klarinette; Lil Hardin, Klavier; Bill Johnson, Banjo; und Baby Dodds, Schlagzeug. Ein Kontrabass ist nicht zu hören. Lil Hardin erzählte später von der Aufnahmesitzung:

      Wir mussten alle in diesen großen Trichter spielen. Joe und Louis standen nebeneinander, wie sie das immer taten, aber man konnte keinen Ton von Joe hören, nur Louis. Dann meinten die: ›Da müssen wir was ändern‹, und positionierten Louis etwa viereinhalb Meter weiter weg in die Ecke.46

      Die Anekdote wurde oft wiederholt; ob sie stimmt, ist durchaus fraglich: Armstrong war damals schon Profi genug, seinen Ton der Situation anpassen zu können.

      Die Musik dieser Aufnahmen zeigt den Geist des kollektiven Zusammenspiels. ›Just Gone‹ etwa ist ein vollständig im Kollektiv der Band gespieltes Stück, kein Solo, nicht einmal ein kurzer Solobreak, wie sie im frühen kollektiven Jazz sonst oft eingesetzt werden, um die Spannung aufzufangen, die sich in den Takten zuvor aufgebaut hatte. Olivers Musiker kommen sich so gut wie nie in die Quere. Die Aufgabenteilung der Melodieinstrumente – Lead-Kornett, harmonisierende Begleitung der Leadstimme durch das zweite Kornett, Grundierung durch die Posaune, Umspielung im hohen Register durch die Klarinette – ist vorgegeben, und doch wechselt immer wieder die Führung ab. Wenn man den beiden Kornettisten lauscht, meint man die räumliche Entfernung der beiden hören zu können, von der Hardin berichtete. Oliver spielt selbstbewusst, Armstrong darf harmonische Zweitstimmen intonieren, oft nicht mehr als lang gehaltene Harmonietöne, die halb- oder ganztaktig wechseln. Er erfindet aber immer wieder auch kleine Melodien, wie Kontrapunkte zur Leadstimme, die andeuten, wohin es einmal mit ihm gehen wird, schnelle Umspielungen des Themas, rhythmisch mutig, harmonisch die Grundlage ausweitend. Oft füllt er Phrasenenden auf, spielt sogenannte »fills« am Ende von Phrasen Olivers und entspricht damit seinem Part im Ruf-Antwort-Schema, das man in der afroamerikanischen Musik so oft findet. Häufig erzeugt seine Stimme ganz bewusste Dissonanzen zur Kornettstimme Olivers, die aber immer gleich wieder aufgelöst werden.

      Im ›Canal Street Blues‹ hört man im fünften Chorus ein rhythmisch besonders mitreißendes Arrangement, in dem insbesondere die beiden Kornette harmonisch parallel gehen. Es folgt ein Klarinettensolo über einer vom Banjo gespielten Basslinie (Johnson war ja eigentlich Bassist), mit harmonischer Begleitung des Klaviers und Baby Dodds an den Holzblöcken. In ›Weatherbird Rag‹ (aber auch im ›Snake Rag‹) sind jene legendären Duo-Breaks zu hören, mit denen Armstrong und Oliver im Lincoln Gardens ihr Publikum begeisterten. Solche harmonisierten Duo-Breaks mögen eingespielte Klischees gewesen sein; ihren Ursprung hatten sie den Aussagen von Zeitzeugen gemäß aber in der Improvisation. »Joe spielte am Ende des ersten Teils, was er im Break machen wollte«, berichtet etwa der Klarinettist Buster Bailey, der Anfang 1924 mit der Band spielte. »Louis hörte zu und behielt das im Kopf, und wenn der Break dann kam, dann spielten sie den Break einfach zusammen.«47 Armstrong erzählt, dass Oliver sich zu ihm hinüberbeugte, wenn die Band in vollem Schwung war, vielleicht vier oder fünf Takte vor dem Break, und ihm auf seinem Instrument die Positionen der Töne zeigte, die er im Break spielen wollte.48 Im ›Weatherbird Rag‹ lassen sich solche Zeitzeugenberichte noch heute nachvollziehen: Der Duo-Break orientiert sich an einer chromatischen Phrase, die Oliver hier zum Ende des ersten Achttakters eines

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