Black and Blue. Wolfram Knauer
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Oliver war nicht der einzige Musiker, der Stücke für verschiedene Plattenlabels aufnahm; insbesondere Duke Ellington ist ein gutes weiteres Beispiel dafür. Der allerdings nutzte die meisten Neuaufnahmen für Variationen im Arrangement, stellte Solo-Reihenfolgen um oder veränderte die Orchestrierung einzelner Ensemblechorusse. Oliver dagegen behielt in diesen frühen Aufnahmen zumeist das gleiche Arrangement bei – es gehörte schließlich einerseits zu seinem täglichen Standardrepertoire und andererseits war Musikern in dieser frühen Phase der Schallplattenindustrie noch lange nicht klar, dass sie ein Dokument schufen, anhand dessen ihre Kunst auch der Nachwelt erhalten und von dieser beurteilt werden würde.
Die Creole Jazz Band trat übrigens nicht nur in Chicago auf. Vom Frühjahr 1924 ist eine Rezension eines Auftritts in South Bend, Indiana, erhalten, die uns Teile ihres Konzertrepertoires überliefert: ›Dipple Mouth‹ (also ›Dippermouth Blues‹), ›High Society‹, ›St. Louis Blues‹, ›The Eccentric‹. Und dann wird da noch ein Duett vermerkt, das Armstrong mit Lil Hardin gespielt habe: ›
Vielleicht ist an dieser Stelle ein Vergleich mit Aufnahmen angebracht, die Freddie Keppard in den 1920er Jahren machte, ein Trompeter, der in Chicago als größter Konkurrent Olivers galt. Er war im Sunset Café mit einer zwölfköpfigen Kapelle zu hören, in der es mit ihm und dem Kornettisten Fats Williams eine ähnliche Konstellation gab wie in der Creole Jazz Band mit Oliver und Armstrong: Williams war für die Lead-Stimme zuständig und Keppard für den Jazz, also das spielerische Element.62 Keppard habe die höchsten Töne klar wie auf einer Flöte spielen können, erzählt Jelly Roll Morton und betont, Armstrong habe ihm in dieser Beziehung nicht das Wasser reichen können.63 Auf den erhaltenen Aufnahmen Keppards ist zumindest seine sichere Tongebung zu erleben, in ›
Die junge Chicagoer Szene
Neben den Tänzern im Lincoln Gardens waren auch junge weiße Musiker auf Armstrong und die Oliver-Band aufmerksam geworden. Sie nahmen sich die schwarzen Profis aus New Orleans zum Vorbild, schlichen in die Tanzsäle oder hielten sich hinter der Bühne auf, um möglichst jeden Ton mitzukriegen. Zugleich besorgten sie sich die Platten und spielten viele der Stücke mit der Dringlichkeit nach, die sie im Lincoln Gardens erlebt hatten. Neben Oliver orientierten sie sich auch an weißen Kapellen wie der Original Dixieland Jazz Band oder den New Orleans Rhythm Kings. Ihre Nachahmung betraf die Themen, die Art und Weise kollektiv zu improvisieren, betraf aber erstmals auch die Nachahmung einzelner Vorbilder. In die Jazzgeschichte ging vor allem ein Kreis von Freunden ein, die gemeinsam die Austin High School besuchten und insbesondere von Olivers Band begeistert waren. Die »Austin High School Gang« bestand aus Musikern wie dem Trompeter Jimmy McPartland, dem Klarinettisten Frank Teschemacher, dem Saxophonisten Bud Freeman, dem Gitarristen Eddie Condon und dem Schlagzeuger Dave Tough. Wie stark der Einfluss Olivers und Armstrongs auf diese jungen Musiker war, zeigen ihre eigenen ersten Aufnahmen, die sich am Ideal der Creole Jazz Band orientierten.
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Übrigens suchten nicht nur die jungen Chicagoer Musiker Olivers Band im Lincoln Gardens auf, sondern auch national bekannte Stars kamen vorbei. Baby Dodds etwa erinnert sich an Paul Whiteman, Guy Lombardo oder Paul Ash, die in den Lincoln Gardens kamen, wenn sie anderswo in Chicago ein Engagement hatten.
Ende der Creole Jazz Band
Warum die Creole Jazz Band Anfang 1924 auseinanderging, ist nicht bekannt, aber Geld mag eine Rolle gespielt haben. Dabei ging es sowohl um die Honorare für Aufnahmesitzungen als auch um die Aufteilung der Gage im Lincoln Gardens. Dort habe Oliver Ende 1923 95 Dollar pro Musiker und Woche erhalten, aber nur je 75 Dollar ausgezahlt. Johnny und Baby Dodds, erzählte Lil Armstrong später, hätten das herausgefunden, ihm Prügel angedroht und die Band verlassen.
Olivers Aufnahmen von 1923 gelten als Musterbeispiel des New Orleans Jazz, auch wenn Experten immer wieder bezweifelten, ob diese so kunstvoll durchgeformte Musik wirklich der in ihrer Vorstellung weit archaischer gedachten Musik in New Orleans entsprach. Schlagzeuger Baby Dodds immerhin bezeugt: »Die Oliver-Band war da ganz traditionell. Joe machte alles gemäß der Tradition in New Orleans.«66 Und selbst Armstrong war schon damals der Tradition so stark verbunden, dass er seinen Bandkollegen bald auf die Nerven fiel, wenn er immer wieder von den Brassbands seiner Heimatstadt schwärmte.67 Zwischen April und Dezember 1923 hatte die King Oliver Creole Jazz Band insgesamt 37 Tracks eingespielt, 30 verschiedene Titel. Es ist eine Musik, die im Geiste des New Orleans Jazz lebt, in der Blues, Ragtime und die populären Schlager der Zeit verarbeitet werden, die eine kollektive Energie zu erzeugen vermag und doch in Ansätzen schon andeutet, was daraus wohl mal werden kann. King Oliver ist der Chef der Band, aber Armstrong der virtuose