Black and Blue. Wolfram Knauer
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Die Aufnahmesitzung aber enthält auch die ersten Soli des jungen Louis Armstrong. Im ›
Es wird oft und gern darauf hingewiesen, dass Armstrong aus der kollektiven Faktur des New-Orleans-Ensembles eine Solokunst geschaffen habe, dass er (zusammen mit Bechet und wenigen anderen) der erste große Solist des Jazz gewesen sei. Das ist sicher richtig, und doch sollte man nicht vergessen, dass er diese solistische Meisterschaft aus dem Geist des Kollektivs im New Orleans Jazz heraus entwickelt hatte, aus dem Wissen um die harmonischen Funktionen in der Band, um die Bedeutung der Stimmen im Vokalquartett. Der Autor Thomas Brothers hat das treffend umschrieben: Armstrong habe »die Kraft und den Reichtum kollektiver Improvisation in einer einzigen Linie« zusammengefasst.58 Man hört das bereits in einigen seiner frühen Soli, im ›Chimes Blues‹ mit Oliver etwa, in dem er Melodie- und Harmoniestimme quasi nacheinander spielt, im Vertrauen darauf, dass die Harmoniestimme im Gedächtnis des Hörers die Melodiestimme ergänzt. Wer Armstrongs Musik einzig als intuitiv erzieltes Ergebnis eines natürlichen Talents beschreibt, tut ihm nämlich Unrecht. Zur Kunst gehörte auch bei Armstrong das Wissen um Stimmführung, um harmonische Spannung, um Kadenzen und um die Wirkung von Dissonanzen und ihrer Auflösung. Armstrong mag kein Musiktheoretiker gewesen sein, aber er wusste genau, wie er all solche Techniken einzusetzen hatte, um die besten Effekte zu erzielen. Wie er das alles gelernt habe, fragte ihn Richard Hadlock später, und Armstrongs Antwort lautete: »Ich denke, Singen und Spielen ist dasselbe.«59 Er wusste genau, was er dem Vokalquartett seiner Jugend zu verdanken hatte. Er selbst hätte seine Spielweise nie als »analytisch fundiert« beschrieben, aber ein Chorus wie jener über den ›Chimes Blues‹ von 1923 ist anders als durch ein analytisches Bewusstsein für den musikalischen Prozess gar nicht zu erklären.
Am eindrucksvollsten aber ist Armstrong in ›
Armstrong betonte sein ganzes Leben lang, wie stark King Oliver ihn beeinflusst habe. Die Dämpfertechnik aber beispielsweise, für die Oliver so bekannt war, fand, von wenigen frühen Ausnahmen abgesehen (Bessie Smith’s ›Reckless Blues‹ vom Januar 1925 beispielsweise), nie wirklich ihren Weg in Armstrongs Spiel. Er variierte weniger den Sound als vielmehr die Melodie.
Armstrongs Präsenz in der Band blieb nicht ohne Folgen – auch für Oliver. Der Ältere war zwar der King, aber in den 1923 dokumentierten Aufnahmen hört man auch, dass er dem Neuen gegenüber, das Armstrong da mitbrachte, durchaus aufgeschlossen war. In ›
›Where Did You Stay Last Night‹ hatte Armstrong unter dem Titel ›Wind and Grind‹ bereits in New Orleans für die Band Kid Orys verfasst. In den beiden Fassungen des ›
Vom Oktober 1923 schließlich stammt eine Aufnahme des ›
Die Band war verständlicherweise stolz auf die von ihr eingespielten Schallplatten, und sie machte kräftig Werbung – etwa bei Straßenumzügen durch Chicago, bei denen die Band spielte und ein großes Transparent für den ›Dippermouth Blues‹ warb.60 Die Band besaß eigentlich ein großes Repertoire, hätte, wie der Schlagzeuger Baby Dodds bezeugt, ohne Probleme fünf Stunden am Stück spielen können, ohne einen Titel wiederholen zu müssen. Nach dem Beginn ihrer Plattenkarriere allerdings schränkten die Musiker das Repertoire marktgerecht ein, zum einen, weil sie auf diese Weise ihre neuen Platten promoten wollten, zum anderen, weil das Publikum eben genau nach den aufgenommenen Titeln verlangte. Viele der Stücke, die Oliver 1923 einspielte, sind Eigenkompositionen; im Lincoln Gardens mussten sie darüber hinaus sicher auch jede Menge an tagesaktuellen Schlagern spielen.
Oliver machte nicht nur für Gennett Aufnahmen, sondern auch für andere Plattenfirmen. Die ›Dippermouth Blues‹-Straßen-Bewerbung beispielsweise galt nicht der Gennett-Aufnahme vom April 1923, sondern einer Aufnahme für das Label OKeh vom 23. Juni. Es war nicht unüblich, dass Künstler für mehrere Plattenfirmen dieselben Stücke einspielten. Exklusive Plattenverträge, mit denen Künstler an ein Label gebunden werden sollten, wurden erst später üblich. Neben OKeh und Gennett kam im Oktober noch Columbia und im Dezember das Label Paramount hinzu. Diese parallele Vermarktung bot den Musikern vor allem die Chance, mehr Platten zu verkaufen und damit mehr Geld zu verdienen. Als heutige Hörer haben wir dadurch aber auch die reizvolle Gelegenheit, Stücke in mehreren Varianten zu hören, aufgenommen in unterschiedlichen Studios und unter verschiedenen Sound- und Aufnahmebedingungen. Am ausgewogensten wirken die Aufnahmen für das OKeh-Label im Juni und Oktober; in ihnen hatte der Toningenieur auch keine Probleme, den Klang des Schlagzeugs einzufangen – der Schrecken aller Toningenieure dieser frühen Zeit. Im OKeh-›Dippermouth Blues‹ jedenfalls erahnt man auch Baby Dodds’ Tom-Toms, und im OKeh-›