Black and Blue. Wolfram Knauer
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In Chicago jedenfalls fanden die schwarzen Musiker gute Arbeitsbedingungen vor. Bevor der Gangsterkrieg 1927 richtig losging, war das Leben in den Kneipen auch noch ein wenig sicherer. Danach berichteten viele Musiker von Schießereien und der vertraglichen Verpflichtung, bei solchen Störungen auf jeden Fall weiterzuspielen. Auch das Unterhaltungsgewerbe begann unter den Bedingungen zu leiden, was genauso ein Grund für die Übersiedlung vieler Musiker nach New York war wie zuvor die Schließung des Storyville-Viertels in New Orleans ein Grund für den Umzug nach Chicago.
Joe »King« Oliver
Als Oliver 1918 in der Windy City ankam, wartete tatsächlich Arbeit auf ihn. Er spielte gleichzeitig in den Bands des Klarinettisten Lawrence Duhe und des Bassisten Bill Johnson und gründete 1920 seine eigene Band, mit der er im Dreamland Café, einem bekannten Tanzschuppen der Stadt, auftrat. Die Besetzung dieser Band entsprach im Großen und Ganzen bereits der, mit der er 1923 seine ersten und erfolgreichsten Schallplattenaufnahmen machte. Die Musiker aus New Orleans hielten in Chicago zusammen, und fast alle Musiker seiner Band waren wie er aus Lousiana in den Norden gekommen: der Posaunist Honore Dutrey, der Klarinettist Johnny Dodds, der Kontrabassist Ed Garland und der Schlagzeuger Minor »Ram« Hall. Nur die Pianistin Lil Hardin stammte aus Memphis, sie war nach einem Musikstudium an der Fisk University 1917 nach Chicago gelangt und arbeitete dort für Notenverlage. Es gab damals noch den Beruf des »song plugger«, bei dem Pianisten die neuesten Notenhits eines Verlags interessierten Kunden vorspielten und/oder sangen, um sie vom Kauf zu überzeugen.
Mit dieser Band jedenfalls erhielt Oliver im Mai 1921 ein Engagement im Pergola Dancing Pavilion in San Francisco. Der dortige Manager hatte Kid Ory gehört und eigentlich ihn engagieren wollen, doch der hatte bereits andere Pläne und empfahl Oliver. Zu Beginn ihrer Westküstentournee schloss sich die Band einer Vaudeville-Show an, in der die Musiker eine Art Südstaaten-Atmosphäre heraufbeschwören sollten, indem sie in Arbeits- und Farmklamotten auftraten – ein geradezu ikonisches Foto der Oliver-Band in Latzhosen aus dieser Zeit sollte es später es in fast sämtliche Bücher über den frühen Jazz schaffen.38 Am 17. Juni 1922 kehrte Oliver zurück nach Chicago und spielte mit der nun sogenannten King Oliver’s Creole Jazz Band im Lincoln Gardens auf der schwarzen South Side Chicagos. Mit dem Namen der Band lehnte er sich an andere Ensembles an, die das Wort Creole im Titel führten, insbesondere die Creole Band des Trompeters Freddie Keppard, die zwischen 1914 und 1918 große Erfolge auf den amerikanischen Varietébühnen gefeiert hatte. Die Konnotationen des Wortes Creole sind dabei vielfältig: Sie umfassen den Stolz auf die Abstammung von »free persons of color«, also noch vor der Abschaffung der Sklaverei freigelassenen Sklaven, aber auch auf einen helleren Teint der Hautfarbe – hier steht Creole dann für das, was anderswo als »Mulatte«, »Quadroon«, »Octoroon« bezeichnet wurde. Der früheren Creole Band übrigens gehörte auch der Bassist Bill Johnson an, mit dem Oliver gleich nach seiner Ankunft in Chicago spielte und der seinerseits in einigen der ersten Aufnahmen Olivers aus dem Jahr 1923 zu hören ist – als Banjospieler und mit einer kurzen Vokaleinlage, wenn er im ›
The King Oliver Band, 1922 (v. l. n. r.): Minor »Ram« Hall, Honore Dutrey, King Oliver, Lil Hardin, David Jones, Johnny Dodds, James Parloo, Ed Garland (Fotoarchiv, Jazzinstitut Darmstadt)
Der Lincoln Gardens war Anfang des Jahrhunderts als Royal Gardens eröffnet worden. Bill Johnson und seine Original Creole Band hatten 1918 hier gespielt. 1921 wurde der Ballsaal umbenannt, und in der Lokalzeitung wurde vom Lincoln Gardens meist vor allem wegen der Kleinkriminalität um das Veranstaltungslokal herum berichtet. Von Trinkorgien liest man, von Schlägereien, Schießereien und dem einen oder anderen Mord. Tausend Menschen konnten in dem Saal unter einer Spiegelkugel an der Decke tanzen – in der Aufmachung durchaus vergleichbar mit Diskotheken der 1970er Jahre. Ende 1924 brannte der Lincoln Gardens aus und wurde 1925 wiedereröffnet. Nun hieß der Saal erst New Charleston Café, dann Café de Paris, bevor er wahrscheinlich im Zuge von Mafiastreitereien durch eine Bombe zerstört wurde.
Creole Jazz Band
Im Sommer 1922 entschloss sich Oliver, seine Band um einen zweiten Kornettisten zu erweitern, eine Rolle, die er selbst in der Band von Manuel Perez gespielt hatte oder Bunk Johnson in der von Buddy Bolden. Er mag sich auch an die Stunden erinnert haben, die er dem jungen Louis Armstrong einst in New Orleans gegeben hatte. Jedenfalls schickte er ihm ein Telegramm und lud ihn ein, Mitglied der Creole Jazz Band in Chicago zu werden. Er erweiterte damit die Bandbesetzung aus Kornett, Posaune, Klarinette und Rhythmusgruppe um ein zweites Kornett, vielleicht auch, weil er in Louis Armstrong Potential sah, das sein musikalisches Konzept bereichern konnte. Oliver wusste durchaus, dass der junge Armstrong technisch besser war als er, dass er einen moderneren Ansatz besaß, rhythmisch, melodisch und harmonisch eine reichere Erfindungsgabe. Aber er sagte, wie Lil Armstrong später erzählte: »Solange er in meiner Band spielt, wird er sich nicht vordrängeln können. Hier bin immer noch ich der King.«39
Armstrong ließ sich nicht lang bitten. Andere Musiker hatten ihm zuvor angeboten, New Orleans mit ihnen zu verlassen, Kid Ory etwa, als er an die Westküste gehen wollte, oder sogar Fletcher Henderson, der Anfang 1922 durch die Stadt kam und Armstrong für sein Orchester engagieren wollte. Der aber fühlte sich seiner Heimatstadt noch zu stark verbunden – oder er war von den Angeboten einfach nicht genügend überzeugt. Als Oliver ihm allerdings sein Telegramm schickte und ihn dringend bat, nach Chicago zu kommen, reagierte er innerhalb nur weniger Tage. Um den 8. Juli 1922 kam er in Chicago an. Oliver war der väterliche Freund und Mentor. Zu ihm blickte Armstrong auf, für ihn nahm er auch diese Reise ins Ungewisse in Kauf. Und finanziell verbesserte sich etliches für ihn. Wo er zuvor in New Orleans gerade mal 1,50 Dollar pro Abend verdient hatte, bekam er in Chicago 7,50 Dollar, also 52,50 Dollar pro Woche, dazu Trinkgelder, die diese Summe leicht noch einmal verdoppelten. Das entsprach mehr als dem Doppelten dessen, was ein Arbeiter damals verdiente.
Das Repertoire der Band im Lincoln Gardens bestand aus populären Hits, die sich mit Eigenkompositionen Olivers und bald auch Armstrongs sowie Blues und Tanzmusik in verschiedenen Tempi abwechselten. Bud Freeman, ein junger weißer Saxophonist, der mit seinen Freunden damals regelmäßig im Lincoln Gardens vorbeischaute, berichtete, dass die Band den Abend mit eher seichten tagesaktuellen Schlagern begonnen habe, die schon mal bis zu zehn oder fünfzehn Minuten dauern konnten.40 Wenn das Publikum dann angeheizt war und auf die Tanzfläche strömte, kamen die »heißeren« Titel. Laut Baby Dodds hatte die Band am frühen Abend noch einen anderen Job in einem Restaurant, bei dem sie »dinner music« spielen musste, ihr übliches Bandrepertoire, ein paar Walzer und tagesaktuelle Schlager. Dynamisch ging es also von wild bis soft: Teilweise spielte die Band einzelne Stellen zur Abwechslung so sanft, dass man die Füße der Tänzer hören konnte.41 Man tanzte Charleston, Black Bottom oder Bunny Hug. Es gab Showeinlagen, etwa wenn die Instrumente Tiergeräusche nachahmten, wenn Baby Dodds den Shimmy tanzte, während er weiter Schlagzeug spielte, wenn Bill Johnson im Liegen Bass spielte, oder wenn Armstrong eine seiner Tanzeinlagen zum Besten gab, die schon das Publikum in New Orleans begeistert hatten. In einigen Stücken spielte Louis auch die Slide Whistle (Kolbenflöte), eine Art Ulkinstrument, das sich sonst vor allem im Instrumentarium von Schlagzeugern befand, die zu Beginn des Jahrhunderts für alle komischen Soundeffekte zuständig waren. Solche musikalischen Slapstick-Nummern brachten der Band im Lincoln Gardens Riesenapplaus ein. Jazz war damals eben vor allem Unterhaltungsmusik, und neben dem musikalischen Drive, neben dem faszinierenden Zusammenspiel der Musiker und den Soli etwa von Armstrong gehörten auch solche Clownerien mit dazu, das Publikum zu unterhalten. Wobei wir hier ein wenig vorgreifen müssen, denn wir werden gleich die Aufnahmen diskutieren, die diese Zeit dokumentieren, und sie zeigen: