Das Elend der Medien. Michael Meyen
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Die Antwort steckt im Beginn dieser Einleitung: Die »Links«-Parteien in Frankreich (Sozialisten), Deutschland (SPD-Grüne), Großbritannien (Labour) und den USA (Demokraten) haben ab den 1990er-Jahren in Regierungsverantwortung die neoliberale, »rechte« Wirtschaftspolitik entscheidend vorantrieben. Blickt man in Deutschland auf die Nähe der Journalisten zur SPD in den 1970er-Jahren141 und den Grünen in den 2000er-Jahren142, dann lässt sich sagen: Sie haben nicht nur den Kurswechsel mitgemacht, sondern auch den gleichen gesellschaftlichen Aufstieg erlebt: vom Schmuddelkind der westdeutschen Nation zur Zeitgeist-Domina. Bourdieu spricht von einer Homologie der Lebenslagen, wenn Menschen mit ähnlichem Kapital ganz unabhängig von ihren Berufen die gleiche gesellschaftliche Position innehaben. Aus seinen Studien weiß man, wie eine vormals häretische Avantgarde nach ihrem Sieg im Kampf um Anerkennung die Herrschaftsmittel selbstgewordener Orthodoxie nutzt.143 Ein Beispiel: Gabor Steingart saß als Student Ende der 1980er-Jahre für die Grünen in der Marburger Stadtversammlung und trieb als Leiter der Spiegel-Wirtschaftsredaktion die Agenda 2010 voran. Die »Reform« lobpreist er später als Herausgeber des Handelsblatts und jetzt als Gründer der Plattform ThePioneer. Die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel, um ein zweites Beispiel zu nennen, wurde 1999 (mit Anfang 30) erst eine der jüngsten Professorinnen Deutschlands (in Münster) und dann 2001 Sprecherin von NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD). Den wirtschaftsliberalen Kurs von damals verteidigt sie heute als Herausgeberin der Wirtschaftswoche.
Der Frame des Dritten Weges
Die theoretischen Gedanken Bourdieus kann für das journalistische Feld in Deutschland niemand besser mit Leben füllen als Albrecht Müller, früher unter anderem Wahlkampf-Manager für Willy Brandt und Gründer der NachDenkSeiten. Müller hat erlebt, wie vor der Bundestagswahl 1972 »anonyme Kreise« um die CDU eine massive Kampagne gegen die Ostpolitik Brands führten.144 Damals habe ihm Spiegel-Chefredakteur Günter Gaus in einem Hintergrundgespräch die Idee für eine Gegenkampagne geliefert, die sich um den Begriff des ›großen Geldes‹ drehte. Wie das ›große Geld‹ heute den Journalismus nach allen Regeln der Kunst regiert, zeigt Müller an zahlreichen Beispielen, etwa beim »Nato-Angriffskrieg« in Jugoslawien oder bei der Vorbereitung der Agenda 2010 unter Federführung des Nachrichtenmagazins Der Spiegel.
Für Albrecht Müller und Bourdieu wurzelt das Elend der Medien im Neoliberalismus und in der Umkehrung des sozialdemokratischen Milieus. Ich nenne das Narrativ der beiden den ›Frame des Dritten Weges‹. Der Begriff geht auf Anthony Giddens zurück, der in den 1990er-Jahren eine Alternative zu Sozialismus und Kapitalismus ausarbeitete145 und in der Soziologie gemeinsam mit Ulrich Beck der neoliberalen Ideologie »das Wort redet«, indem sie Risikogesellschaft, Globalisierung und Individualisierung »feiern«.146
Die »wissenschaftlich vorhersehbaren Folgen der von neoliberalen Philosophien beseelten Politik« sagt Bourdieu 1999 auf eine Weise voraus, als wäre Donald Trump bereits Präsident der USA: Sehnsucht nach dem Nationalstaat, Ausländerfeindlichkeit und ganze Heerscharen von Menschen, die sich dem »erstbesten Demagogen« hingeben. Dazu zynische »Kitschfiguren« mit dem Anschein politischer Machtfülle, die aber nur mediale Mechanismen bedienen und die Entpolitisierung enttäuschter Menschen verkörpern.147 Bei der Problemdefinition ähnelt der Dritte-Weg-Frame dem Desinformations-Frame: Entpolitisierung sowie mehr rechte Akteure und mehr Populisten in einem öffentlich verrückten Raum.
Doch die Wähler von rechten Demagogen sind bei Bourdieu nur ein Symptom vielfältigen gesellschaftlichen Leids – und das Produkt einer symbolischen Revolution.
Bourdieu spricht von einer konservativen Revolution, da der Neoliberalismus mit dem Schein des Revolutionären antritt – als ein »Programm der planmäßigen Zerstörung der Kollektive«, um der »Utopie des reinen und vollkommenen Marktes den Weg zu bereiten.«148 So wie im Deutschland der 1930er-Jahre die Rückkehr zu Blut und Boden gefeiert wurde, glorifiziert der Neoliberalismus den Darwinismus: eine Rückkehr zum Raubtierkapitalismus. Bourdieu spricht von einer symbolischen Revolution, weil sich das Modell nicht nur durch die ökonomischen Pressionen von Banken, Weltwährungsfonds oder internationalen Unternehmen ausbreitet, sondern auch über Thinktanks, Experten und vor allem Journalisten, die damit symbolische Gewalt ausüben.149
Die Macht der Medien ist bei Bourdieu einerseits groß und andererseits klein. Klein ist sie aufgrund der Heteronomie des journalistischen Feldes. Die Abhängigkeit von externen Zwängen sei groß (insbesondere von Ökonomie und Politik). Trotz bester persönlicher Absichten werden Journalisten so zu »Marionetten eines Zwangszusammenhangs« – zu einer dominierten Gruppe, die über ein »seltenes Machtpotential« verfügt: Zugang zur Öffentlichkeit. Groß ist die Macht der Medien, da sie symbolische Herrschaft versprechen und durch »Intrusionseffekte« in die anderen Felder »hineinstrahlen«. Da die Logik des journalistischen Feldes ökonomischen Zwängen folgt, stellt Bourdieu sich die Medien wie ein trojanisches Pferd vor, das seine Bewertungsinstanzen in andere Felder einschleust.150
Im Kampf gegen den Wohlfahrtsstaat ist bei Bourdieu der Begriff (frame) Globalisierung »die entscheidende Waffe« – ein Mythos oder eine »Ideenmacht«, die etwa den gesellschaftlichen Glauben erzeugen kann, Arbeitnehmerrechte müssten zwangsläufig abgebaut werden, um gegen die Konkurrenz aus Bangladesch zu bestehen.151 Wie Medien-Figuren die neuen Denkkategorien »unablässig einhämmern« und die »Denk- und Wahrnehmungsstrukturen« so lange verschieben, bis die ökonomischen Vulgata als alternativlose Glaubenssätze und gemeinsamer Erwartungshorizont erscheinen, zeigt Bourdieu eindrücklich am Beispiel eines Interviews mit Hans Tietmeyer in der Zeitung Le Monde aus dem Jahr 1996. Der damalige Präsident der Bundesbank wird in der Zeitung als »Hohepriester der D-Mark« vorgestellt und damit in den Status eines »Meisterdenkers« erhoben. Tietmeyers eigentlich fatalistische Botschaft ›Sozialabbau‹ verwandelt sich durch lexikalische Spielereien und Euphemismen in eine ›Befreiungsbotschaft‹: »Reform«, »Flexibilität«, »Wettbewerbsfähigkeit«, »Steuersenkung«, »dauerhaftes Wachstum« und (das ist Tietmeyers Schlüsselwort) »Vertrauen der Märkte«. Auf diese Weise werde suggeriert, dass Politiker keine Wahl haben und harte Beschlüsse treffen müssen. »Das Volk« ist im neoliberalen Denken der Gegensatz zum Markt und wird mit »Faulheit« und »Trägheit des Geistes« assoziiert. Wer wirtschaftlich scheitert, ist selbst verantwortlich.152
Heute verbreitet der Begriff ›Globalisierung‹ zwar kaum noch Schrecken, als Drohgebärde aber kann er ersetzt werden – zum